Essay Das populistische Medium

Essay Nachrichten auf Twitter sind kurz und schnell. Und es geht immer um größtmögliche Aufmerksamkeit. Twitter ist vor allem eine Plattform der Einflussreichen, die Einfluss auch auf unser Denken nimmt.

Schlecky Silberstein ist Schauspieler, Blogger, Comedian. Schlecky Silberstein wurde 1981 in Vechta geboren. Und jetzt hat er ein Buch geschrieben, in Form einer „Abrechnung“. „Das Internet muss weg“ ist der Titel, und der soll ausnahmsweise nicht als Witz verstanden werden. Vielmehr treibt Silberstein die Sorge um, wie sich unsere analoge Welt mehr und mehr in eine digitale verwandelt und umwandelt. Und dass es sehr bald Menschen geben wird, die keine Welt mehr außer der vernetzten kennen werden.

Was das mit uns macht, weiß (noch) keiner. Wie sehr es uns aber schon jetzt fulminant in Beschlag nimmt, erfahren wir alle. Jeden Tag, auf Schritt und Tritt, von Post zu Post. Im Grunde ist Schlecky Silberstein auch nicht gegen das Internet an sich; das ist keiner. Ihn gruselt’s vielmehr vor dem Social-Media-Internet, also vor unserer Kommunikation per Twitter, Facebook oder Whats App. Das tun inzwischen immer mehr Menschen.

Der Reflex auf solche Bedenken und vor allem Bedenkenträger ist berechenbar und immer der gleiche: Wer Zweifel äußert, ist meist der Rückständige oder auch einfach nur so ein Verweigerer. Er ist die Unke, der Ewiggestrige. Und seit kurzem scheint auch Robert Habeck dazu zu gehören. Habeck, Vorsitzender der Grünen, 49 Jahre alt, hat sich öffentlich von Twitter verabschiedet. Das wurde mit reichlich Häme begleitet. Denn während Trump seine sogenannte Politik inbrünstig über dieses Portal betreibt und alles Denkbare wie Undenkbare in den Echoraum mit mehr als 57 Millionen Follower zwitschert, glaubt ein deutscher Oppositionspolitiker mit immerhin 48.000 Followern darauf von heute auf morgen verzichten zu können.

Das ist auch hierzulande eine Erregung wert, wenn auch eine unlautere. Habeck entsagte Twitter nämlich, nachdem er sich dabei erwischt hatte, wie er mit seinen Kurznachrichten vor allem tolle Pointen platzieren wollte und sich darum gleich in zwei Landtagswahlkämpfen in der Wortwahl ordentlich vergriffen hatte. Habeck kehrte Twitter also erst den Rücken, als er spürte, dass Twitter ihn verändern würde oder ihn vielleicht schon verändert hatte – wie es irgendwann jedes Medium zu tun pflegt.

Noch liegen keine belastbaren und weiterführenden Forschungsergebnisse vor über die Auswirkungen unserer Netzwerksprache auf unser Denken. Aber es gibt bedenkenswerte Hinweise wie die des Bonner Philosophen Markus Gabriel, der in Zeiten zunehmender Unwissenheit bei rasant ansteigender Meinungsfreudigkeit an Kants aufklärerischen Wahlspruch erinnert, Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Angesichts „globaler Propagandasysteme, die unser digital vernetztes Denken im Minutentakt der Eilmeldungen und Posts in Verwirrung und Aufruhr versetzen, tut dies dringend not“.

Es geht bei Twitter oder allgemein in den Kommentaren der sozialen Netzwerke um Schnelligkeit, um den finalen Treffer, die richtige Pointe. Das Ausgewogene und Nachdenkliche, das Aufeinander-Bezogene hat bei Twitter keinen Raum, sagt Habeck. Twitter verändert unser Denken in dem Sinne, dass das Medium uns gar nicht denken, aber reagieren lässt. Wir müssen uns möglichst schnell zu dem und dem verhalten. Das erhöht den Kommunikationsdruck. Wer diskursiv wird, hat erstens verloren und zweitens auch gar keinen Platz dazu. 280 Zeichen sind bestenfalls tauglich für ein Menetekel. In der Sofort- und Dauerkommunikation des Mediums sind Entscheidungen verlangt. Es geht um Urteile.

Die Aufmerksamkeitsökonomie des Mediums ist wie geschaffen für Machtworte und das Medium selbst eine Bühne vor allem für Einflussnehmer. Vor diesem Hintergrund ist Twitter ein zutiefst populistisches Medium.

Diskutieren dagegen ist langsam. Das ist eine Eigenschaft der Demokratie. Sie muss langsam sein, weil sie zunächst nicht exekutiert, sondern auf Entscheidungsprozesse zielt. Die Verlangsamung ist ihre Stärke. Denn mit ihr bleibt Zeit, ein Bewusstsein zu bilden und hernach zu einem Ergebnis zu finden, mit dem möglichst viele einverstanden sein können. Es geht um Kontexte und um Entwicklung.

Der überschaubare Raum zwingt dazu, die Sache auf den Punkt zu bringen. Und man gewöhnt sich rasend schnell daran, Sachverhalte immer genau so präsentiert zu bekommen. Die Gefahr ist nicht klein, dass viele zunächst die Lust und dann auch die Fähigkeit verlieren, längere Texte lesen zu wollen und zu können.

Einfachheit liegt im Trend und sprachliche Einheitlichkeit ist dank neuer Sprachassistenten ein Ziel schon der nahen Zukunft. Doch wenn Sprachgrenzen fallen, wartet dahinter noch lange nicht die große Freiheit. Denn auch die Vielfalt unserer Sprachen ist die Vielfalt unserer Denkweisen. Sprache ist immer mehr als nur eine Benutzeroberfläche; sie ist der Motor unseres Denkens selbst. Denken funktioniert nie unabhängig vom Sprechen. Manches davon ist schon lange bekannt: Die biblische Geschichte von der Stadt Babel beginnt damit, dass alle Menschen in einer Einheitssprache miteinander reden konnten. Das aber machte sie nicht klug, sondern größenwahnsinnig. Der anschauliche Beleg dafür ist der Bau jenes sagenumwobenen Turms, der bis zum Himmel reichen sollte. Göttergleich wollten sie werden. Bestraft wurden sie dafür mit der großen Sprachverwirrung. Der Traum unbegrenzter Kommunikation endete mit dem Verlust der Kommunikation.

Wir sollten das Internet nicht abschaffen wollen. Das will selbst Schlecky Silberstein nicht. Aber wir sollten aufhören, in den Plattformen der sozialen Medien nur wertfreie Instrumente zu sehen.

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