Landtagswahl am Sonntag In Bayern sieht es grün aus

Pfarrkirchen · Der Landkreis Rottal-Inn in Niederbayern war immer eine CSU-Hochburg. Doch die alten Gewissheiten sind in diesem Jahr vor allem eins: alt. Während die Christsozialen schwächeln, wähnen sich die Grünen im Aufwind. Und das nicht nur in den Umfragen. Ein Ortsbesuch.

 Markus Söder bittet im bayerischen Nebel handschriftlich um das Vertrauen der Wähler. Ob das hilft?

Markus Söder bittet im bayerischen Nebel handschriftlich um das Vertrauen der Wähler. Ob das hilft?

Foto: Gregor Mayntz

Auch Nicht-Bayern kennen die kraftstrotzende Grundüberzeugung: „Mia san mia.“ Aus dem Mund eines CSU-Politikers klingt in dieser „So-sind-wir-eben“-Ansage der Anspruch auf absolute Mehrheiten mit. Auf dem Wochenmarkt in Eggenfelden, Landkreis Rottal-Inn, Niederbayern, geht der „Mia“-Satz an diesem Morgen anders: „Mia ham’s euch schon g’wählt!“ Die Briefwähler reagieren damit auf die Einladung von Landtagskandidat Günther Reiser (72), an den Infostand der Grünen zu kommen. Tatsächlich zählen die Bürgermeister der Region so viele Briefwähler wie lange nicht. Gewöhnlich ein Indiz für ein gutes Abschneiden der Grünen. Hebt am Sonntag bei der Landtagswahl auch einer der schwärzesten Wahlkreise Bayerns zum grünen Höhenflug ab?

Mia Goller (40) steht neben Reiser am Stand der Grünen, und verteilt Äpfel. Sie kandidiert für den Bezirkstag und bestätigt einen ungewöhnlichen Zuspruch. Noch ist sie vorsichtig. Zu oft schon haben die Grünen die Umfragen gewonnen und die Wahl verloren. Jetzt sind die Anzeichen jedoch deutlich. Bei der Bundestagswahl vor 13 Monaten war der Kreis Rottal-Inn derjenige mit den größten CSU-Verlusten. Nach Werten zwischen 60 und 70 Prozent in den Nachkriegsjahrzehnten stürzten die Christsozialen von 58,8 auf 42,7 Prozent ab. „Das war für die wie ein Erdbeben“, sagt einer, der die Reaktionen der CSU-Leute in einem Wahllokal beobachtet hat.

Bei der gerade zu Ende gegangenen U-18-Wahl des Landesjugendrings zeigten die Noch-nicht-Wahlberechtigten der CSU in Rottal-Inn, wohin die Reise für sie gehen könnte: nicht 35 oder 33 Prozent, wie zuletzt auf Landesebene prognostiziert, sondern nur noch 28. Landesweit stimmten bloß 24,2 Prozent der künftigen Wähler für die CSU – dicht gefolgt von den Grünen mit 23,3 Prozent.

 Die Grünen Guenther Reiser und Mia Goller wähnen sich im Aufwind.

Die Grünen Guenther Reiser und Mia Goller wähnen sich im Aufwind.

Foto: Gregor Mayntz

Entsprechend vorsichtig ist Martin Wagle (48), Gärtnermeister und Besitzer eines Blumenladens in der Kreisstadt Pfarrkirchen. Der stellvertretende Bürgermeister ist hiesiger Spitzenkandidat der CSU. Noch wagt er lieber nicht, die konstituierende Fraktionssitzung der CSU am Dienstag in seinen Terminkalender einzutragen. „Da kann noch viel passieren“, sagt er mit einem verlegenen Lächeln. Für ihn ist nur eines sicher: dass er seinen Betrieb weiter führen wird. Schließlich hat sein Großvater den Laden gegründet, sein Vater hat ihn an den Sohn übergeben. Da hört ein Wagle nicht auf, auch wenn er bald Politik in München machen sollte.

Die aktuellen Umfragen und das Ergebnis der Jugendwahl belegen zudem, dass die Wähler der SPD den Rücken kehren. Elf Prozent bei den künftigen Wählern, genau so viel wie in der Sonntagsfrage. Für gestandene Sozialdemokraten ist das ein Drama shakespeareschen Ausmaßes. Valentin M. Kuby (27) kennt sich damit aus. Der abgewandelte Hamlet-Spruch „Kuby or not to be“ ist der Wahlkampfslogan des SPD-Landtagskandidaten. Er steht auf seinen 1200 Plakaten, den 10.000 Flyern und auch mit Sprühkreide auf den Bürgersteigen der Region. Kuby wollte eigentlich Schauspieler werden, bis er über eine Rolle im Theater an der Rott seinen Weg in die Politik fand.

Zwar hat er seinen Wahlkampf als große Inszenierung aufgezogen und im elterlichen Bauernhof ein Wahlkampagnen-Camp mit zehn Schlafplätzen für Wahlhelfer untergebracht. In Apfelbaum-Idylle ging der Student der Staatswissenschaft über Monate daran, den Wahlkreis strategisch und taktisch umzupflügen, legte gut 10.000 Kilometer zurück, kämpfte sich täglich oft 14 Stunden ab, klopfte an 7500 Türen und ist nun mit einem selbstgebastelten Lautsprecherwagen in den letzten Tagen vor der Wahl auf den Straßen unterwegs, um die Menschen an die Infostände zu locken. Doch bei seinen Durchsagen fehlen drei Buchstaben. Das Kürzel „SPD“ kommt darin nicht vor. Er wolle die Wähler ja nicht gleich verschrecken, meint Kuby. Und: „Das Image ist doch sehr angegriffen.“

Kuby ist ein Gegner der großen Koalition in Berlin und macht die Wirtschafts- und Finanzpolitik der SPD für den kontinuierlichen Niedergang seiner Partei verantwortlich. „Wir haben uns dem neoliberalen Pathos hingegeben“, klagt der Sozialdemokrat und schaut dabei auf ein Poster vom Warschauer Kniefall des SPD-Idols Willy Brandt. Zwischen Sarkasmus und Schadenfreude liegt seine aktuelle Umfrageanalyse: „Wir haben 20 Jahre für die Verluste gebraucht, die die CSU in wenigen Monaten hingelegt hat.“

Die Gründe für den CSU-Niedergang werden auch an den Ständen der anderen Parteien disktuiert: dass die CSU die Flüchtlingspolitik von Merkel richtigerweise bekämpft, sie dann aber doch wieder unterstützt habe. Dass die Koalitionsbildung in Berlin so lange gedauert und CSU-Chef Seehofer dann die Koalition im Sommer fast wieder vor die Wand gefahren habe. „Die sollen vernünftig regieren und sich nicht selbst bekämpfen“, berichtet etwa Josef Auer, der Bürgermeister von Massing. An den Stammtischen der 4100 Einwohner gebe es eine klare Erwartung: „Die CSU wird arg gerupft.“

Aber nicht nur für ihr Auftreten im Bund. Auch regionale Aufreger gebe es in Hülle und Fülle, sagt Dominik Heuwieser (33), der Landtagskandidat der FDP. Vor allem in der Schulpolitik. Der Unterrichtsausfall habe wegen der zurückhaltenden Lehrerpersonalpolitik der CSU dramatische Züge angenommen. Die Leute erzählten sich von einer Schule, in der sämtliche Klassen von der Rektorin in der Aula unterrichtet würden, weil die Kolleginnen und Kollegen fehlten oder krank seien. In einem anderen Fall habe die Schulleitung zwei ältere Schüler als Lehrer verpflichtet. Deshalb fährt die FDP konsequent das Thema Bildung im Wahlkampf hoch und kümmert sich um die Digitalisierung. „Was nutzt die Ausstattung einer Schulklasse mit Tablets, wenn das W-Lan für deren Nutzung fehlt?“, fragt Heuwieser.

Er rechnet sich Chancen aus, im nächsten Landtag zu sitzen, „wenn wir Richtung acht Prozent gehen“. Den Hype der Grünen relativiert er. Die Wahrnehmung vom großen Erfolg der Grünen werde geprägt vom großstädtischen Milieu, „wo alles vegan und voller E-Autos ist“. Die Hoffnung auf Schwarz-Grün sei absolut verfrüht. Da gehe viel eher etwas zwischen CSU und Freien Wählern oder FDP.

Das sieht Werner Schiessl (50), langjähriger Bürgermeister von Eggenfelden und Landtagskandidat der Freien Wähler, ähnlich. Die oft als faszinierende Möglichkeit vorgerechnete Ablösung der CSU durch eine Mehrheit aus Grünen, SPD, FDP und Freien Wählern sieht er nicht: „Wo sollen da denn die Schnittmengen sein?“ Das sei schon bei Schwarz-Grün schwierig. Nicht ganz einfach auch zwischen CSU und FDP, und „am schnellsten“ gehe es bei Koalitionsverhandlungen zwischen CSU und Freien Wählern. Schiessl hat viele Kontakte in die Union und weiß auch, wie viele dort die Faust in der Tasche ballen. Weil Markus Söder bei seinen „Söder-macht’s“-Entscheidungen die eigenen Leute nicht eingebunden habe. Weit verbreitet sei die Erwartung, dass bei einem Absturz der CSU sowohl Seehofer als auch Söder gehen müssten.

Und wer kommt dann? Bei vielen in der Region richten sich die Hoffnungen auf Vize-Regierungschefin Ilse Aigner. Die solle wenigstens CSU-Vorsitzende werden. Im Wahlkampf machte Söder einen Bogen um die einstige CSU-Hochburg Rottal-Inn. Aigner kam selbstverständlich. Und so kann auch die Grüne Goller noch von einer schwarz-grünen Regierung unter Aigner träumen. „Wenn ihr euch zu den Schwarzen ins Bett legt, wähle ich euch nie wieder“, sagt ein Passant. Doch Goller, die gleich am Montag als Mitglied des Landesausschusses mit über Koalitionsverhandlungen entscheidet, glaubt, dass fünf weitere Jahre Opposition schlecht für die Natur in Bayern wären. „Wir müssen jetzt die Arten retten“, lautet ihre Begründung für die Regierungsoption.

Für den CSU-Kandidaten und Gärtner Martin Wagle hat der nächste Termin begonnen. Klinkenputzen in Simbach. In Blickweite zum österreichischen Braunau am Inn, Geburtsort von Adolf Hitler, ist die AfD mit Plakaten präsent wie an keinem anderen Ort im Kreis. „Grenzen schützen“, hängt selbst neben dem offiziellen Schild „Bundesgrenze“. Mit ihrer Migrationspolitik habe die CSU die AfD erst hoffähig gemacht, hat Grünen-Kandidat Reiser am Morgen noch geschimpft.

Martin Wagle geht mit seinem Team durch die Gartenstraße. Ein- und Zweifamilienhäuser, überall wird saniert und neu gebaut. Die Inn-Flut hat hier vor zwei Jahren gewütet. Aber es fällt kein einziges böses Wort über die CSU. Viele danken für die „großzügige Unterstützung“ durch die CSU-Politik.

„Super“, sagt Wagle, als er die Wahlabsichten der Überschwemmungsopfer hört. Vielleicht kommt es ja doch nicht ganz so schlimm, wie die Demoskopen sagen. Die berücksichtigen auch selten die Besonderheiten des bayerischen Wahlrechts. Für den Augenblick tun die Aussichten dem CSU-Mann sichtlich gut. Und wenn nicht, ist da ja immer noch die Gärtnerei. Mit viel Grün.

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