Analyse Sigmar Gabriel gegen die SPD

Berlin · Der Parteichef stellt sich heute beim SPD-Konvent einer Zerreißprobe mit der Basis. Vorratsdaten und TTIP erregen Zorn.

Das ist Sigmar Gabriel
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So heftig wehte Sigmar Gabriel der Gegenwind schon seit Jahren nicht mehr ins Gesicht. Selbst die Abstimmung über ein mögliches Bündnis mit der Union Ende 2013 brachte dem SPD-Chef nicht so viel Ärger ein, wie die aktuelle Rebellion der Parteibasis gegen den Entwurf einer Vorratsdatenspeicherung. Rund 100 Parteigliederungen, vom Ortsverband bis zu Landesverbänden, haben sich bereits schriftlich gegen Gabriels Pläne gestellt und werden heute bei einem Konvent im Willy-Brandt-Haus die Vorratsdatenspeicherung unter Beschuss nehmen. Mehr als 200 Delegierte gehen mit dem Parteivorstand in den Ring - Ergebnis offen.

Nach Ansicht der Gegner des Kabinettsbeschlusses, der sich bereits in der parlamentarischen Beratung befindet und im Herbst den Bundestag passieren könnte, werden mehrere Bürgerrechte mit Füßen getreten. Laut Gesetzentwurf sollen künftig Telekommunikationsanbieter die IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten zu Telefonaten zehn Wochen speichern und Standortdaten bei Handy-Gesprächen vier Wochen lang aufbewahren - anlasslos. Ausgenommen von der Speicherung ist nur der E-Mail-Verkehr. Befürworter erhoffen sich ein mächtiges Ermittlungsinstrument im Kampf gegen Verbrechen wie Mord und Sexualdelikte. Kritiker halten dem entgegen, dass bisher noch keine Fahndungserfolge eindeutig der Vorratsdatenspeicherung zugerechnet werden konnten.

Fest steht: Das Thema ist für die SPD denkbar schlecht geeignet, um sich beim Wähler zu profilieren. Denn während die Union stets dafür war, und Grüne und Linke dagegen, gab es bei den Genossen schon immer Streit darum. Und so wundern sich viele in der SPD, warum Gabriel völlig ohne Not nun eine solche Debatte zwischen zwei unversöhnlichen Parteilagern vom Zaun brach. Konservative in der SPD hatten sich bei einem Parteitag 2011 gegen den linken Flügel durchgesetzt, auch auf Drängen Gabriels. Nun betont der SPD-Chef , der aktuelle Entwurf stehe im Einklang mit diesem Beschluss. Gegner, wie der Netzpolitiker und Abgeordnete Lars Klingbeil, sehen den Parteitagsbeschluss aber mittlerweile als nichtig an, da der Europäische Gerichtshof kürzlich einen ersten Aufschlag der Vorratsdatenspeicherung gekippt hatte.

Bei dem Konvent wird das einer der Hauptstreitpunkte. Dort wird es nicht nur für Gabriel ungemütlich. Auch Justizminister Heiko Maas steht in der Kritik. Ihn hatte Gabriel kürzlich gezwungen, seine ablehnende Haltung zur Vorratsdatenspeicherung über Bord zu werfen. Fassungslos mussten linke Genossen in den nachfolgenden Wochen mit ansehen, wie sich Maas mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) an einen Tisch setzte, um einen Kompromiss auszuhandeln. Seitdem ist es Maas' Aufgabe, den Entwurf als gelungen zu verkaufen. Mehr noch: Bei der traditionellen Spargelfahrt auf dem Berliner Wannsee Anfang Juni ließ es Gabriel sich nicht nehmen, den Justizminister ein weiteres Mal zu düpieren: "Selbst aus Heiko Maas wird nach meinem Eindruck noch ein anständiger Innerer-Sicherheitspolitiker", witzelte Gabriel auf dem Boot.

Zu den erbittersten Gegnern der Datenspeicherung zählen die Jusos. Ihre Vorsitzende, Johanna Uekermann, sagte: "Ich warte nun gespannt auf die Diskussion zu dem Thema, da ist sicher noch alles offen." An ihre Mitstreiter appellierte sie: "Lasst uns die Vorratsdatenspeicherung gemeinsam stoppen!" In der Fraktion gab es 38 Gegenstimmen. Beim Konvent, so wurde gemunkelt, könnte es gar eine Mehrheit gegen Vorratsdaten geben. Sollte das kommen, wäre es eine Blamage für Gabriel. Wahrscheinlicher aber ist eine knappe Mehrheit dafür - dann bliebe es bei einem Denkzettel. Der Konvent, ein Gremium, das Gabriel im Zuge einer Parteireform selbst geschaffen hatte, könnte ihm einen Dämpfer verpassen.

Doch Gabriel ist ein politisches Talent, ein Taktiker mit Bauchgefühl für Stimmungen in der Partei. Und so wäre es sogar denkbar, dass er gestärkt aus dem Konvent herauskommt: Setzt er sich gegen die SPD-Linken durch, beweist er Führungskraft, Entscheidungsfreudigkeit. Er wäre der Gegenentwurf zur Kanzlerin, die für ihr Aussitzen bekannt ist. Dass er mit seinem Kurs aber auch den Grünen als möglichem Koalitionspartner vor den Kopf stößt, macht Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt deutlich: "Die SPD macht sich Schritt für Schritt unglaubwürdig. Gabriel macht die SPD zu einer Abnickerpartei." Es sei zu hoffen, dass sich die SPD-Basis auf dem Parteikonvent dem widersetze, so Göring-Eckardt.

Und die Basis ist enorm unzufrieden. Neben der Vorratsdatenspeicherung ist das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, Grund für Streit. Kritiker fürchten einen Ausverkauf von Verbraucherstandards, Gabriel betont die wirtschaftlichen Vorzüge. 40 Gegenanträge liegen vor. Gestern hat Gabriel gar ein Scheitern von TTIP in Erwägung gezogen. Davon will der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer, nichts hören. Unserer Zeitung sagte er: "Wir haben eine historische Chance, die die Politik nicht verspielen darf. Denn ein vernünftig ausgehandeltes TTIP würde das genaue Gegenteil von dem bewirken, was die Gegner befürchten: Die transatlantischen Partner würden sich zu Standards und Regeln für den Handel bekennen - und sie nicht abbauen."

(jd)
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