Regierungserklärung zur EU-Politik Des Kanzlers neue „Wir-schaffen-das“-Rede

Berlin · Für die Dauer der Regierungserklärung des Kanzlers zum nächstwöchigen EU-Gipfel ist aller Streit in der Koalition vergessen. Olaf Scholz erwähnt die Konfliktthemen mit keinem Wort. Das erledigt dann die Opposition im Bundestag um so deutlicher.

 Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungserklärung zum EU-Gipfel am Donnerstag im Bundestag.

Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Regierungserklärung zum EU-Gipfel am Donnerstag im Bundestag.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Keine drei Minuten spricht Olaf Scholz am Donnerstag im Bundestag über seine Vorhaben beim EU-Gipfel in der nächsten Woche, da fällt das Z-Wort zum ersten Mal: Zuversicht. Er wird es in den folgenden Minuten noch sechs Mal wiederholen. Wenn es darauf ankomme, dann schaffe Deutschland Aufbruch und Umbruch, Tempo und Transformation. Das hat der Kanzler herausgelesen aus dem Umstand, dass Deutschland ganze acht Monate gebraucht habe, um sich von russischem Gas, russischem Öl und russischer Kohle unabhängig zu machen. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir aus dieser Erfahrung die Zuversicht mitnehmen: Ja, es ist möglich, ja, wir werden den großen Umbruch hinbekommen, der vor uns liegt“, lautet die Beschwörungsformel.

Wir werden es hinbekommen - so hört sich Merkels „Wir schaffen das“ in der Variante Scholz also an. Indem er die gesamte Regierungserklärung unter das Stichwort „Zuversicht“ stellt, kann er einen Bogen um all das machen, was gerade schlecht läuft in der Regierung Scholz. Der große Umbruch werde „gut ausgehen für uns hier in Deutschland und für Europa“, sagt der Kanzler - und nach Zwischenrufen von der AfD (“ein Abbruch wird das, kein Umbruch“), schleudert er deren Bänken spontan entgegen, dass es schlecht ausgehen werde für die AfD, „weil das Geschäftsfeld weg ist“.

Beifall bei SPD, Grünen und FDP ist die Reaktion. Das tut einem Kanzler sicher gut, der gerade erleben muss, wie vor allem Grüne und FDP immer wieder über Kreuz sind und sich auch an SPD-Positionen reiben. Und so sammelt er weiter Gründe für Zuversicht ein. Die größte Halbleiterfabrik der Welt, die gerade im Saarland entstehe, den Füllstand der Gasspeicher, der jetzt 60 Prozent statt wie vor einem Jahr 30 Prozent betrage, die 14 Milliarden direkter Hilfen für die Ukraine, die so lange fortgesetzt würden „wie es notwendig ist“.

Der Kanzler spricht über die Themen des Gipfels im Stil großer europäischer Gemeinsamkeit. Wie Europa wettbewerbsfähiger werden solle in der Welt, wie im Streit um die Migration ein europäischer Rahmen entstehen könne, wie Europa die Energiepreise in den Griff bekommen wolle. Und alles überwölbt von des Kanzlers Impuls zur Zuversicht. Die lasse sich nicht verordnen. Aber Grund zur Zuversicht habe, wer auch früher schon schwierige Herausforderungen habe meistern können - „so wie es uns gemeinsam in den vergangenen zwölf Monaten gelungen ist“, hält Scholz fest. Anhaltender Ampel-Applaus ist die Antwort.

Eingeleitet hat der Kanzler seine Regierungserklärung mit dem britischen Historiker Timothy Garton Ash, dem er dankbar dafür sei, seine persönliche Geschichte Europas vorgelegt und darin beschrieben zu haben, dass die aktuellen Herausforderungen geradezu überwältigend seien. Scholz hat daraus herausgelesen, dass es jetzt darauf ankomme, gemeinsam aufzubrechen und anzupacken. Oppositionsführer Friedrich Merz greift diesen Einstieg dankbar und amüsiert auf, denn er erinnert daran, dass es genau dieser Historiker gewesen sei, der einem englischsprachigen Publikum die neue Wortschöpfung „Scholzen“ übersetzt habe als „Scholzing“. Darunter sei zu verstehen, dass man gute Absichten kommuniziere und dann jeden nur denkbaren Grund erfinde, um die Umsetzung möglichst lange hinauszuziehen.

Nun klatscht die Ampel nicht mehr. Aber die Union. Denn nun geht Merz zum Aufzählen des „Scholzens“ über und zitiert dazu erst einmal eine Frau aus dem SPD-Lager, nämlich die Wehrbeauftragte Eva Högl, derzufolge es der Bundeswehr an allem fehle. Im ganzen Jahr sei aus dem beschlossenen Hundert-Milliarden-Sondervermögen noch kein einziger Cent bei der Bundeswehr angekommen. „Das ist ein Skandal, den Sie, Herr Bundeskanzler, zu verantworten haben“, ruft Merz.

Während Frankreich und viele andere Nationen angesichts der Veränderungen in Europa und der Welt ihre Sicherheitsstrategien erneuerten, lasse die Bundesregierung das Vorhaben fallen, weil sich Kanzler- und Auswärtiges Amt über die Kompetenzen keine Verständigung fänden. Insgesamt 30 andere Vorhaben lägen auf Eis, weil sich die Koalition nicht einigen könne. „Und dann Brüssel“, sagt Merz nun, um ein weiteres bedenkliches Wort zum Handeln der Scholz-Regierung auf Europa-Ebene einzuführen. „German Vote“, also deutsches Abstimmungsverhalten, würden in der EU inzwischen Enthaltungen genannt, weil sich die Ampel-Regierung nicht darauf verständigen könne, ob sie für oder gegen ein EU-Projekt sei. „Alle Mitgliedstaaten schütteln über Deutschland den Kopf“, lautet die Zusammenfassung des Oppositionsführers in der Regierungserklärung zum EU-Gipfel.

Weil Merz feststellt, Taten und Worten klafften bei dieser Regierung so weit auseinander wie selten, bekennt Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, sich gerne an den Taten der Regierung messen zu lassen. Denn Deutschland sei besser durch die Krise gekommen, als es sich alle zugetraut hätten. Auch FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr verteidigt empört die Arbeit der Koalition und verwahrt sich gegen „Unanständigkeit“ und „Schäbigkeit“ der Opposition, die sich nicht aus der Verantwortung für die Zukunft stehlen dürfe.

AfD-Chef Tino Chrupalla nennt es „erstaunlich“, wie Scholz mittlerweile auch Regierungserklärungen inflationär gebrauche, „um den Erklärbär zu spielen“ und von der Arbeitsunfähigkeit abzulenken. Und für die Linksfraktion warnt deren Chefin Amira Mohamed Ali davor, auf einen militärischen Sieg der Ukraine zu setzen, weil dieser „unrealistisch und hoch gefährlich“ sei.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort