Sexismus in der Politik "So hässlich bist du doch gar nicht, dass du in die Politik gehen musstest"

Düsseldorf · Politikerinnen im Land- und im Bundestag berichten von ihren Erfahrungen in einem männlich geprägten Umfeld. Weibliche Abgeordnete in Düsseldorf engagierten eigens einen Coach, um besser gewappnet zu sein.

"Warum hat man Frauen über Jahrtausende unterdrückt? Es hat sich bewährt": Zoten und Sprüche gegen Frauen. (Symbolbild)

"Warum hat man Frauen über Jahrtausende unterdrückt? Es hat sich bewährt": Zoten und Sprüche gegen Frauen. (Symbolbild)

Foto: Rainer Jensen/dpa

An ihre erste Zeit als Landtagsabgeordnete kann Sarah Philipp sich noch gut erinnern. Vor allem an die Sitzungen. Da kam es immer wieder vor, dass die SPD-Politikerin gefragt wurde, für welchen Abgeordneten sie denn eigentlich arbeite. "Damals hat mich das sehr geärgert", sagt Philipp, "heute wäre das nicht mehr so." Die 34-Jährige ist inzwischen stellvertretende Fraktionschefin und damit eine der wichtigsten Frauen der nordrhein-westfälischen SPD.

Ähnlich erging es Daniela Jansen. Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in NRW saß fünf Jahre lang im Düsseldorfer Landtag. Manch eine Begegnung hat sie in unguter Erinnerung: "Ein Kollege sagte mal zu mir: 'Du bist die erste Vorsitzende der SPD-Frauen, die ich nicht von der Bettkante schubsen würde.' Ich antwortete: 'Es wird nie passieren, dass ich auch nur in die Nähe deiner Bettkante komme.'" Im Düsseldorfer Landtag würden manche Abgeordnete Kolleginnen begrüßen, indem sie ihnen gönnerhaft den Kopf tätschelten, sagt Jansen. Und nahezu an der Tagesordnung sei es, dass der Lärmpegel im Plenarsaal steige, sobald eine Politikerin am Rednerpult stehe: "Die Männer quatschen dann laut miteinander, machen Zwischenrufe oder stehen auf und gehen raus." Jansen sieht darin eine Taktik, um Frauen aus dem Konzept zu bringen.

Auch Sarah Philipp kennt solche Situationen. "Es gibt die Erwartung: Wenn ein Mann nach vorn tritt, muss ja etwas Wichtiges kommen." Frauen hingegen kassierten eher auch mal Lacher.

Nicht alle Politikerinnen reden so offen über ihre Erfahrungen. Zwar führte die "Me-too"-Debatte anders als etwa in Großbritannien bisher in Deutschland nicht zu Rücktritten von Politikern. Die vielen Äußerungen betroffener Frauen legen aber nahe, dass Sexismus auch hier im politischen Alltag ein Problem von gewisser Tragweite ist. Im Rahmen des WDR-Projekts "Docupy" etwa schildern zurzeit viele Bundespolitikerinnen in Videoclips ihre Erfahrungen auf Twitter, Facebook, Instagram und auf der WDR-Homepage. Dazu gibt es auch einen Hashtag: #Ungleichland.

Der früheren Bundestagsvizepräsidentin und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) etwa fällt auf die Frage "Als Frau im Bundestag - spielt Ihr Geschlecht eine Rolle?" folgende Bemerkung eines männlichen Kollegen ein: "So hässlich bist du doch gar nicht, dass du in die Politik gehen musstest." Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) zitiert: "Aus dieser attraktiven Politikerin hätte man doch deutlich mehr machen können." Und auch ihre Parteikollegin Margit Stumpp musste sich schon einiges anhören: "Ich sei ja bemerkenswert kompetent, und es klang schon so dieses Überraschen durch. Und außerdem hätte ich den schönsten Arsch im Gremium." Ähnlich drastisch ist eine Äußerung, an die sich die Berliner CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann erinnert und die mit einer rhetorischen Frage beginnt: "Warum hat man Frauen über Jahrtausende unterdrückt? Und dann kommt der Satz: Es hat sich bewährt."

Die Abgeordneten sind sich überwiegend darin einig, dass solche Äußerungen vor allem einem Ziel dienen: Macht auszuüben. Frauen sollten verunsichert und so die althergebrachten Rollenmuster wiederhergestellt werden.

"Ich musste mir ein dickes Fell antrainieren"

In Debatten würden Redebeiträge von Frauen gern ignoriert. "Wenn eine Frau das Gleiche oder das Gleiche besser gesagt hat, werden Sie nicht erleben, dass die Männer sich auf die Frau beziehen - sondern auf den Mann", sagt CDU-Politikerin Motschmann. Die Mechanismen seien sehr subtil.

Ex-Ministerin Renate Künast von den Grünen pflichtet ihr bei: "Männer beziehen sich offensiv aufeinander, und sie unterstützen sich auf diese Art und Weise sehr." Das ist im Bundestag offenbar nicht anders als im Düsseldorfer Landtag. "Wenn eine Politikerin ein Argument vorbringt, ignorieren das manche Männer und tun so, als hätte niemand etwas gesagt", weiß auch Jansen aus Erfahrung. Die Strategien gegen solche Anwürfe sind unterschiedlich. "Ich musste mir ein dickes Fell antrainieren, weil ich für Bereiche wie Bauen und Verkehr zuständig war, in denen überwiegend Männer unterwegs sind", sagt etwa NRW-SPD-Fraktionsvize Philipp.

In Düsseldorf beschlossen einige SPD-Frauen zudem, sich besser zu wappnen. Zwölf von ihnen engagierten in der vergangenen Legislaturperiode einen Coach und nahmen an einem "Arroganztraining" teil. Sie übten sich in Schlagfertigkeit und trainierten ihr Verhalten in konkreten Situationen. Etwa darin, was zu tun ist, wenn man am Rednerpult steht und es partout nicht leise wird.

Doch es gebe Hoffnung. In letzter Zeit, so konstatieren einige Frauen, sei das Bewusstsein für das Thema gewachsen, insbesondere auch unter Männern. Im Grunde wüssten die meisten männlichen Kollegen ja auch ganz genau, meint die SPD-Politikerin Jansen, wo die Grenze zwischen einem freundlich gemeinten Kompliment und einer Zote liegt: ",Das Kleid steht dir gut' ist etwas anderes als ,Du hast aber mächtig Holz vor der Hütte'."

(kiib)
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