„Sehr unverschämte Angriffe“ Sexismus im Bundestag – Was sich Politikerinnen anhören müssen

Berlin · Sexismus gebe es überall, sagt Familienministerin Anne Spiegel – die politische Arbeit im Bundestag sei davon nicht ausgenommen. Auch andere Bundestagsabgeordnete berichten von Zwischenfällen und verweisen vor allem auf die AfD.

 Der Deutsche Bundestag (Symbolfoto).

Der Deutsche Bundestag (Symbolfoto).

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Es sind Sätze wie „Ich ficke dich zu Tode“, die Claudia Roth per E-Mail erreichen. Beleidigungen wie „Hässliche Fratze“ sind noch die milderen Formen der Hassbotschaften, mit denen es die Grünen-Politikerin seit Jahren, vor allem im Netz, zu tun hat. „Was mir am meisten begegnet, sind die sexualisierten Gewaltfantasien“, sagt sie. „Da machen Männer sich Gedanken darüber, wie sie eine Frau mit sexualisierter Gewalt verletzen, entwürdigen und in ihrer Seele abtöten.“ Die 66-Jährige ist seit kurzem Kulturstaatsministerin im neuen Kabinett von Olaf Scholz. Sie hat im männlich dominierten Bundestag schon einige Jahre hinter sich – auch als Vizepräsidentin saß sie bis 2021 im Hohen Haus.

Angesprochen auf sexistische Angriffe im Bundestag berichtet die Grünen-Politikerin über „üble Einwürfe, wenn eine Frau redet“ und Abgeordnete, die Frauen gar nicht erst zuhören. „Mir sagen Frauen, sie fühlen sich gescreent, wenn sie zum Redepult gehen: Dann gibt es Pfiffe. Frauen werden von oben bis unten angeguckt.“ Schnell wird im Gespräch mit Roth deutlich: Auch wenn sich das Heftigste in der Netz-Welt abspielt, geht es im Bundestag alles Andere als sexismusfrei zu.

Das legt auch eine Studie des Instituts Allensbach nahe, die Ende 2021 veröffentlicht worden war. Demnach klagen vier von zehn Politikerinnen über Sexismus-Erfahrungen im Alltag. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne), erst seit wenigen Wochen im Bundestag und früher Ministerin in Rheinland-Pfalz, berichtet, sie habe sich im Parlament „nicht lange umhören müssen“, um zu erfahren, dass andere Frauen dort Sexismus-Erfahrungen gemacht hätten. „Und zwar über Parteigrenzen hinweg.“

Auch im Bundestag würden Frauen „sehr unverschämte Angriffe, weil sie Frauen sind“, erleben – ein Phänomen, das sich Spiegel zufolge auch gegen Mitglieder der LSBTIQ-Community richte, zu der unter anderem schwule, lesbische und transsexuelle Menschen gehören. Zu den Urhebern sagt Spiegel: „Das kommt vor allem von rechts, von der AfD. Ich habe einiges erzählt bekommen, was sich da in der letzten Legislaturperiode im Bundestag abgespielt hat. Das fand ich schon erschreckend.“ Sie selbst habe in ihrer Zeit im rheinland-pfälzischen Landtag auch „Zwischenrufe unter der Gürtellinie“ erlebt.

Auch die erstmals in den Bundestag eingezogene FDP-Abgeordnete Anja Schulz berichtet, dass mit Frauen mitunter anders umgegangen werde – weil sie Frauen sind. Ihr bisheriges negatives „Highlight“ im Plenum sei eine Bemerkung gegenüber einer anderen Abgeordneten gewesen: „Wo hat die denn ihre Brüste gelassen?“, habe sie aus den Reihen der AfD vernommen. In der neuen Konstellation des Bundestags – jünger und weiblicher – sieht die 36-jährige Schulz eine Chance, Sexismus offener zu thematisieren. Der Frauenanteil im Parlament ist in dieser Legislatur von 30,7 auf 34,8 Prozent gestiegen.

Der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix, verweist ebenfalls auf die AfD und sagt: „Die AfD reduziert Frauen auf die Rolle der ‚Mutter der Nation‘ – deren Aufgabe darin besteht, Kinder zu gebären und in Alleinverantwortung großzuziehen.“ Damit verfolge die Partei das Ziel, dass „genügend deutsche Kinder geboren werden, damit Deutschland nicht ausstirbt“.

Feminismus und „der sogenannte Gender-Wahn“ würden dieses Ziel bedrohen. „Ich habe solchen Schwachsinn aus den Reihen der AfD im Familienausschuss oft gehört“, sagte Rix. Mit Blick auf den Bundestag bestätigt er: „Ja, Frauen erfahren auch hier Diskriminierung aufgrund ihres Frauseins.“

In der AfD zeigt man in die andere Richtung. „Insbesondere sogenannte Feministinnen der Grünen“ würden sich mit einem gegen Männer gerichteten Sexismus hervortun, sagt der familienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Martin Reichardt. Den Vorwurf, seine Fraktion verstärke eine sexistische Stimmung gegen Frauen, weist er als „übliche Anti-AfD-Hetze“ zurück. Das Thema Sexismus spiele im Parlament eine „untergeordnete Rolle“. Zugleich verweist er aber auf Beleidigungen von AfD-Frauen. Eine Abgeordnete sei während ihrer Rede als „Nazi-Fotze“ beschimpft worden, berichtet Reichardt. Ordnungsrufe bei „solchen Zwischenrufen“ gebe es selten, behauptet er.

Im Protokoll der Bundestagsverwaltung für die vergangene Wahlperiode (2017-2021) sind insgesamt 46 Ordnungsrufe erfasst. Allein 32 davon gehen demnach auf das Konto der AfD. Wie eine Recherche der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergeben hat, ging es nur in drei Fällen um frauenfeindliche Äußerungen. Die restlichen Ordnungsrufe von Abgeordneten anderer Fraktionen gingen größtenteils auf Beleidigungen von AfD-Abgeordneten und auf das Nicht-Tragen des Mund-Nase-Schutzes zurück.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) versichert, dass die jeweilige Sitzungsleitung sexistischen Aussagen in Plenarsitzungen „mit deutlichen Worten und gegebenenfalls mit Ordnungsmaßnahmen entschieden entgegentreten“ würde. „Sexismus oder gar sexuelle Belästigung ist nicht hinnehmbar. Es ist unsäglich für die Betroffenen, und wenn es im parlamentarischen Raum erfolgt, verletzt es zudem die Würde des Hauses“, sagt Bas der dpa. Die Parlamentspräsidentin wirbt dafür, „sexistische Vorfälle zu thematisieren, sich dergleichen nicht gefallen zu lassen und dies gegebenenfalls zur Anzeige zu bringen“.

(mba/dpa)
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