Justiz in der Kritik Sebastian Edathy: Die Volksseele kocht

Düsseldorf · Seit Tagen rollen im Fall Edathy die Empörungswellen. Der fixe Ausgang des Strafverfahrens sorgt dafür, dass der Keil des Missverständnisses zwischen Rechtspraktikern bei Gericht, Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälten und juristisch nicht geschulten Deutschen noch tiefer ist als das ohnehin der Fall zu sein scheint.

Sebastian Edathy: "Die Vorwürfe treffen zu" - Bilder des Prozesses
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Kinderporno-Prozess in Verden: Sebastian Edathy legt Geständnis vor Gericht ab

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Foto: dpa, jst cul

"Der deutsche Michel", diese Volkscharakter-Karikatur von uns Teutonen, steht für geistiges Zipfelmützenträgertum: ein bisschen zu gutmütig, nicht besonders rege, mehr träge. Doch wehe, wenn "Michel" die Wut packt, er vor Zorn bebt. Dann gibt er keine Ruhe.

Wenn es nicht bloß eine individuelle Erregung ist, sondern eine kollektive, spricht man vom Volkszorn. Dieser entzündet sich bevorzugt an politischem Tun oder Unterlassen, aber sehr oft auch an Entscheidungen der Justiz.

Der vorläufig letzte Beleg dafür sind die zigtausendfach anrollenden Empörungswellen, die seit zwei Tagen auf die Gestade des Landgerichts in Verden treffen. Der seltsam anmutende, fixe Ausgang des Strafverfahrens gegen den früheren SPD-Jungstar und einstmals politisch hoffnungsvollen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wegen des Verdachts des Besitzes von kinderpornografischen Materials sorgt dafür, dass der Keil des Missverständnisses zwischen Rechtspraktikern bei Gericht, Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälten und juristisch nicht geschulten Deutschen noch tiefer ist als das ohnehin der Fall zu sein scheint.

5000 Euro erscheinen läppisch

Vor allem aus dem Internet erschallt ein ganz lautes "Wie kann man nur!". Daran beteiligt sich an vorderer Front der bekannte Schauspieler Til Schweiger, der sich seit Jahren in Vereinen gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen vorbildhaft engagiert und wohl auch daraus das Recht ableitet, zur Verfahrenseinstellung gegen läppisch erscheinende 5000 Euro Stellung zu nehmen.

Edathy wiederum - was die Wut auf seine kaltschnäuzige Uneinsichtigkeit noch verstärkt - , reagierte wiederum auf Schweiger wie die verfolgte Unschuld. Er fragt frech und scheinbar empört, warum ihn Til Schweiger kommentiere.

Ohne Gesetz keine Strafe

Der Schauspieler, der vier Kinder hat, spricht wohl auch stellvertretend für viele Väter und Mütter, die kaum begreifen, dass jemand wie Edathy, der kinderpornografisches Foto- und Videomaterial in seinem Besitz hatte (ohne hinreichenden Tatverdacht hätte das Gericht in Verden die Anklage gar nicht zugelassen), als freier, dazu nicht vorbestrafter Mann den Prozess hinter sich lassen und seines Weges gehen kann.

Wäre das Hauptverfahren gegen ihn bis zum Beweis seiner Schuld oder (in dubio pro reo!) Unschuld zu Ende geführt worden, hätte er im Falle einer Verurteilung laut Paragraf 186 b IV des Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen müssen.

"Zum Kotzen"

Dass der Bundestag inzwischen den anrüchigen, aber zuvor nicht strafbaren Besitz so genannter Posing-Fotos nackter Kinder unter Strafe gestellt hat, würde Edathy ohnehin nicht schaden, weil man ("Nulla poena sine lege") nur jemanden für etwas bestrafen kann, das zum Zeitpunkt der Tat als strafbare Handlung gesetzlich definiert war.

Während der Schauspieler Til Schweiger dezidiert, aber vergleichsweise maßvoll die Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage nach Paragraf 153 a der Strafprozessordnung kritisiert und nur das Verhalten Edathys deftig anprangert ("Ihre Larmoyanz finde ich zum Kotzen"), keilen andere Netz-Aktivisten richtig aus.

Die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit

Ein Ex-Insasse bei "Big-Brother" lässt seinem Ekel gegen "den Bastard" freien Lauf. Und ein ehemaliger Fußballspieler namens Hans Sarpei nennt überzeugungsstark, aber ohne Kenntnis der Gesetzeslage die Entscheidung "unfassbar dumm und dreist".

Bei der Lektüre der Zuschriften und eingedenk der tausendfach gestützten Online-Petition auf Rücknahme der Einstellungsentscheidung fällt einem ein irritierender, aber zutreffender Satz des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, ein: "Bei Gericht bekommen sie Recht, keine Gerechtigkeit." Was Gerechtigkeit ist, darüber gehen gemeinhin die Meinungen stets stark auseinander.

Das öffentliche Interesse ist nach wie vor groß

Gericht, Staatsanwaltschaft und Edathys Verteidigung sind der Meinung, dass die Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage dem geschriebenen Recht entspricht und unter den Kriterien des § 153 a StPO vertretbar erscheint. Immer wieder wurde zuletzt von Rechtspraktikern darauf hingewiesen, dass in Deutschland jährlich etwa hunderttausendmal von dieser strafprozessualen Möglichkeit Gebrauch gemacht werde, eben auch in ähnlich gelagerten, wenn auch nicht so prominent besetzten Fällen wie dem des Sebastian Edathy.

Allerdings wird man sagen müssen, dass die Prozessbeteiligten auf schmalem Grat wandelten, weil sie beschlossen, dass die Zahlung von 5000 Euro ausreiche, um das öffentliche Interesse an einer normalen Strafverfolgung schmilzen zu lassen. Man hat aber jenseits einzelner Netz-Pöbeleien doch den Eindruck, dass sich ein öffentliches Interesse an der gründlichen strafrechtlichen Aufarbeitung der Anklage gegen Edathy nicht gelegt hat, bloß weil der Herr Ex-Abgeordnete mit den krankhaften oder perversen Gelüsten zusätzlich zu seinem Ruf nun auch 5000 Euro los ist.

Charakterlosigkeit ist eben nicht strafbar

Jedoch, es bleibt bei dem alten ironisch eingefärbten Juristenspruch, wonach ein Blick ins Gesetzbuch die Rechtsfindung erleichtere: Edathy war bislang noch nicht mit den Strafgesetzen in Konflikt gekommen, die ihm nachzuweisenden Fälle von kinderpornografischem Material waren offenbar nicht so zahlreich. Deshalb war das Einstellungs-Kriterium ("keine entgegenstehende Schwere der Schuld") erfüllt. Dass Edathy sich nicht bei den anonym bleibenden, für Konsumenten wie ihn benutzten, missbrauchten Kindern und Jugendlichen entschuldigte, zeigt zwar, mit welchem Charakter wir es bei ihm zu tun haben; strafbar ist Charakterlosigkeit aber eben nicht.

(mc)
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