Gefahr für öffentliche Schwimmbäder? Bundesfinanzhof rüttelt an Steuerprivileg für kommunale Betriebe

München · Ein vor zehn Jahren von der Bundesregierung offenbar nicht geschriebener Brief nach Brüssel könnte Deutschlands Kommunen im Nachhinein teuer zu stehen kommen - im schlechtesten Fall drohen immense Steuernachzahlungen.

 Das Freibad in Rees wird von den Stadtwerken betrieben.

Das Freibad in Rees wird von den Stadtwerken betrieben.

Foto: van Offern, Markus (mvo)

Wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Beihilferecht legt der Bundesfinanzhof die Privilegierung kommunaler Betriebe im deutschen Steuerrecht dem Europäischen Gerichtshof vor. Dabei geht es um die Frage, ob kommunale GmbHs die Verluste chronisch defizitärer Tätigkeiten wie den Betrieb von Schwimmbädern steuerlich verrechnen dürfen und damit weniger Körperschaftsteuern zahlen als private Firmen, bei denen derartige Verlustverrechnungen strenger behandelt werden.

Der Bundesfinanzhof sieht diese vielerorts praktizierten Verlustverrechnungen als „verdeckte Gewinnausschüttung“ an die Kommunen, wie aus der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des höchsten deutschen Finanzgerichts hervorgeht.

Die unmittelbare Auswirkung ist zunächst einmal - womöglich jahrelange - Rechtsunsicherheit in Rathäusern, Kreisverwaltungen und Gemeindeämtern. Denn bis der EuGH entschieden hat, wird unklar sein, ob das kommunale Privileg im Körperschaftsteuergesetz rechtswidrig ist. Und sollte der EuGH ebenso wie der BFH zu dem Schluss kommen, dass es sich bei diesem Steuerprivileg um unzulässige staatliche Beihilfe für die betreffenden Betriebe handelt, müsste die EU-Kommission sich damit befassen.

Im für die Kommunen ungünstigsten Fall drohen in einigen Jahren Steuernachforderungen über einen Zeitraum von vielen Jahren. In dem konkreten Streitfall, der nun an den Europäischen Gerichtshof geht, hatte eine Kommune in Mecklenburg-Vorpommern ihr Schwimmbad mit den Stadtwerken zusammengelegt. Wegen der Dauerverluste des Schwimmbads machte dann das Heizkraftwerk weniger Gewinn. Der Fachbegriff dafür: „steuerlicher Querverbund“.

Schwimmbäder in ganz Deutschland wäre in Gefahr

„Wenn der EuGH zu der Auffassung kommen sollte, dass das rechtswidrige Beihilfen sind, wäre die gesamte Schwimmbadversorgung in Deutschland in Frage gestellt“, sagte Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. „Es gibt kein kommunales Schwimmbad, das sich wirtschaftlich trägt, die werden alle bezuschusst. Das ist ja auch so gewollt, weil es sich um eine Dienstleistung für die Bürger handelt.“

Doch geht es keineswegs nur ums Schwimmen. Die kommunale Daseinsvorsorge umfasst eine Vielzahl von Dienstleistungen für die Bürger: Altenheime, Busse, Büchereien, Kindergärten, Krankenhäuser, um nur einige zu nennen. „Die Entscheidung hat grundlegende Bedeutung für den steuerlichen Querverbund in der kommunalen Daseinsvorsorge“, sagte Zimmermann. „Das reicht weit über den Schwimmbadbetrieb hinaus.“

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) warnte vor Folgen für die Bürger: „Wenn der kommunale Querverbund nicht mehr angewendet werden dürfte, könnten in der Folge viele kommunale Leistungen wie ÖPNV und Schwimmbäder im derzeitigen finanziellen und rechtlichen Rahmen nicht mehr erbracht werden“, erklärte ein Sprecher.

Viele kommunale Einrichtungen schreiben chronische Verluste. Damit die Bürger diese Angebote nutzen, dürfen sie nicht zu teuer sein. Um die Kosten zu minimieren, praktizieren viele Kommunen ein Steuersparmodell, das Privatfirmen nicht möglich ist.

Bundesregierung hat EU-Kommission nicht informiert

Denn die Finanzämter versuchen prinzipiell, Schlupflöcher zu stopfen. Findige Unternehmer könnten sich dauerdefizitäre Tätigkeiten zulegen, deren Verluste mit ansonsten sprudelnden Profiten verrechnen und somit ihre Steuerlast minimieren. Bei Privatfirmen ist das Steuerrecht streng: Derartige Verlustverrechnungen zählen als verdeckte Gewinnausschüttung - und haben keine Minderung der Steuerlast zur Folge.

Der BFH hatte schon 2007 geurteilt, dass das auch für kommunale Eigenbetriebe gelten soll. Und deswegen hatte die frühere schwarz-gelbe Bundesregierung 2009 in das Körperschaftsteuergesetz eine ausdrückliche Ausnahme für kommunale Eigenbetriebe aufgenommen.

Doch auch vor zehn Jahren galt schon der Grundsatz, dass staatliche Bevorzugung bestimmter Firmen in der EU nicht erlaubt ist. Will ein Land solche Beihilfen gewähren, muss es die EU-Kommission informieren. Doch das hat die damalige Bundesregierung offensichtlich nicht getan. Der Bundesfinanzhof darf nicht politisch agieren - die Richter müssen sich streng an die rechtlichen Vorgaben halten.

Nun soll der EuGH entscheiden. Der Städte- und Gemeindebund argumentiert, dass die kommunale Daseinsvorsorge etwas grundlegend anderes sei als eine gewinnorientierte Firma: „Wir sind erstmal optimistisch, dass auch der EuGH sieht, dass es sich dabei um Tätigkeiten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse handelt, die für die Gemeinschaft von Nutzen sind“, sagt Zimmermann. „Da müssen auch steuerliche Privilegien zulässig sein.“

(cbo/dpa)
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