Debatte über immer radikaleren Protest Klimaaktivisten wollen Schulen besetzen
Berlin · Während sich die Aktivisten der „Letzten Generation“ auf die Straßen Berlins kleben, planen die Anhänger der Gruppe „End Fossil“ ab Dienstag die Besetzung von Bildungseinrichtungen. Nicht alle Aktionen sind legal, warnen Rechtsexperten.
Es liest sich wie eine Gebrauchsanweisung zum Klimaprotest: „Wie besetze ich meine Schule oder Uni: Eine Anleitung in fünf Schritten“ – so lautet der Titel eines Instagram-Posts der Initiativen „End Fossil“ und „Lützerath Lebt“. Damit rufen die Aktivistengruppen zu bundesweiten Schul- und Uni-Besetzungen ab kommendem Dienstag auf. Seit vergangener Woche will die „Letzte Generation“ zudem Berlin lahmlegen. Alle Initiativen haben ein gemeinsames Anliegen: Sie wollen Politik und Gesellschaft auffordern, stärkere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Doch: Was darf Aktivismus? Und wo sind seine Grenzen? Angesichts drohender Schulblockaden rückt diese Debatte erneut in den Vordergrund.
Eine Sprecherin von „End Fossil“ hält jede Form des Aktivismus für „wünschenswert“, welche die lebensbedrohliche Datenlage über die Klimakatastrophe in die Öffentlichkeit trage, ohne die Gesellschaft zu gefährden und Druck auf die „radikal untätigen“ Entscheidungsträger aufbaue. Es sei Zeit, dass die Jugendbewegung über Schulstreiks und Demonstrationen hinaus- und zum friedlichen zivilen Ungehorsam übergehe. „Wir weigern uns, ignoriert zu werden“, fügt sie hinzu.
Die Wahl von Schulen und Universitäten als Orte für Besetzungen sei dabei ganz bewusst erfolgt. Die Aktivisten wollen die Räume nutzen, um Platz für Austausch und Bildung zu schaffen. Einige Besetzungen sollen „jeden Tag mit Vorträgen, Workshops und Diskussionen füllen, verfolgen also das Ziel, den besetzten Raum als Bildungsort zu verstehen“, so die Sprecherin. In der Vergangenheit seien sie damit bereits erfolgreich gewesen: Nach Forderungen der Aktivisten habe die Universität Barcelona unter anderem einen Grundlagenkurs über Klimagerechtigkeit eingeführt – angeregt durch zivilen Ungehorsam.
Aber was bedeutet der Begriff eigentlich? „Die Diskussion um den zivilen Ungehorsam ist so alt wie die Straßenblockaden“, sagt Gerhard Seher, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Freien Universität Berlin. Das Wort „Ungehorsam“ beziehe sich auf die Rechtsordnung. „Es geht um Handlungen, die rechtswidrig sind – und das wissen die handelnden Personen auch.“ Mit dem Zusatz „zivil“ wollten sich die Beteiligten gegenüber üblichen Kriminellen abgrenzen. Aus rechtlicher Sicht sei ziviler Ungehorsam aber schlicht rechtswidrig. „Die Grenzen von Aktivismus sind also dort, wo unsere Rechtsordnung die Grenzen für uns alle setzt. Es gibt kein gesondertes Recht für subjektive Überzeugungen“, sagt Seher.
Konkret machten sich die Aktivisten mit der Besetzung von Schulen und Universitäten des Hausfriedensbruchs strafbar, warnt der Jurist. Auch die Schulpflicht würde verletzt, wenn Schüler im Zuge der Aktionen dem Unterricht fernblieben. Das sei aber ein untergeordneter Rechtsverstoß, der im Regelfall keine Sanktionen nach sich ziehe – Schulschwänzer gibt es schließlich auch außerhalb von Aktivismus. Schwerwiegender sei hingegen der Aufruf der Organisatoren zum Besetzen von Gebäuden. Die Organisatoren würden damit zu Straftaten aufrufen, es handele sich um eine Anstiftung zum Hausfriedensbruch, so der Rechtsexperte.
Aber: Es kommt auf die Feinheiten an. Oft enthalten die Anweisungen keine konkreten Ort- oder Zeitangaben. Oder es sind legale Handlungsanweisungen eingeschlossen wie „Fragt eure Schulleitung, stimmt euch mit ihr ab.“ Seher sagt: „Wenn die Schule an der Organisation der Besetzung beteiligt ist oder die Schulleitung nach Absprache bereit ist, die Aktion zu dulden, handelt es sich nicht um Hausfriedensbruch.“
In der Politik lassen einige Akteure keinen Zweifel daran, was sie von den derzeitigen Aktionen der unterschiedlichen Initiativen halten. „Ob Aktivist, Demonstrant oder jemand, der nichts mit der Politik zu tun hat: Eine Demokratie funktioniert nur so lange, wie die gemeinsam beschlossenen Regeln eingehalten werden“, sagt Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, gegenüber unserer Redaktion. „Niemand steht über dem Gesetz, auch nicht die ‚Letzte Generation‘.“ Die Grüne Jugend äußerte sich auf Anfrage nicht dazu, wo sie die Grenzen zieht.
Rechtswissenschaftler Seher dagegen zieht ein klares Fazit: „Das Recht gilt für alle, unabhängig davon, ob sie diesem zustimmen oder nicht zustimmen. Ein offener Rechtsbruch kann vom Recht nicht geduldet werden.“ Der Klimawandel bringt jedoch für Menschen weltweit extreme Konsequenzen mit sich. Insbesondere Klimaaktivisten berufen sich bei ihrem Vorgehen und den angewandten Maßnahmen daher häufig auf die Dringlichkeit angesichts sich häufender schwerwiegender Naturereignisse wie zum Beispiel Flutkatastrophen. Sind globale Ausnahmezustände Grund und Argument genug, um rechtliche Grenzen auszureizen und zu überschreiten? Für Seher ist die Sachlage klar. „Aus Sicht des Rechts kann die Antwort nur sein: Nein.“