Neue Debatte um Aussetzen der Schuldenregel SPD und Grüne drängen FDP bei Schuldenbremse in die Defensive
Berlin · Die SPD-Spitze hat eine neue Debatte über die Schuldenbremse ausgelöst: Parteichefin Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich wollen die Schuldenregel erneut aussetzen, um mehr Geld für Investitionen zu haben. Die FDP hält dagegen, doch wie lange kann sie dem Druck von SPD und Grünen standhalten?
Die Ampel-Parteien driften in der Finanzpolitik immer stärker auseinander: Die FDP wehrte erneut einen Vorstoß aus der SPD-Spitze ab, die Schuldenbremse im kommenden Jahr auszusetzen. „Durch die anhaltenden Krisen (...) ergeben sich Herausforderungen, die wir nicht aus einem Normalhaushalt stemmen können, ohne dabei andere Aufgaben zu vernachlässigen“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken unserer Redaktion. „Ich bin davon überzeugt, dass wir erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremsen-Regelung benötigen.“ FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wies das umgehend zurück.
Die Rückkehr zur Schuldenbremse nach dem Ende der Corona-Pandemie hatte die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Für FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner ist sie eine Bedingung für die Fortsetzung der Koalition. Lindner begründet die Rückkehr zur Schuldenbremse vor allem mit der hohen Inflation: Ohne eine wieder solidere Haushaltspolitik würde die Bundesregierung die Inflation anheizen und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank konterkarieren, so Lindner. Die Bundesbank gibt Lindner Recht, doch auch manche Ökonomen halten die Schuldenbremse für nicht mehr zeitgemäß.
SPD-Chefin Esken nannte explizit den Krieg in der Ukraine und den Nahostkonflikt. Krisenbewältigung auf Kosten der sozialen Infrastruktur, der Demokratieförderung oder der Integration sei mit der SPD nicht zu machen, betonte Esken. Die Schuldenbremse sei „in ihrer aktuellen Ausgestaltung“ nicht dazu geeignet, „den Nachholbedarf bei den Investitionen in eine moderne Infrastruktur zu bewältigen“, argumentierte die Sozialdemokratin. „Viel zu lange haben wir von der Substanz gelebt. Wenn sich die Schuldenbremse als Investitions- und als Innovationsbremse herausstellt, dann müssen wir diese Regelung kippen.“ Zuvor hatte sich Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) ähnlich geäußert. Allerdings will Habeck die Schuldenbremse erst in der kommenden Legislaturperiode reformieren und sich in dieser Periode an die Abmachung mit der FDP halten.
„Eine solide Finanzpolitik ist die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Die wichtigen Konsolidierungsanstrengungen dürfen nicht durch ständig wiederkehrende Debatten zur Aufweichung oder zum Aussetzen der Schuldenbremse konterkariert werden“, sagte FDP-Generalsekretär Djir-Sarai. „Wir brauchen solide und generationengerechte Finanzen, um gezielte steuerliche Entlastungen, Anreize für private Investitionen sowie Innovationen und die Modernisierung unserer Infrastruktur zu ermöglichen“, sagte der FDP-Politiker. „Die aktuellen, erneuten Forderungen, die Schuldenbremse auszusetzen, sind nicht zielführend, kontraproduktiv und erinnern an den Filmklassiker: Täglich grüßt das Murmeltier“, so Djir-Sarai.
In der Ampel-Koalition laufen die Schlussberatungen über den Entwurf des Bundeshaushalts 2024, mit dem Finanzminister Lindner die Schuldenbremse das zweite Mal in Folge einhalten will. 2020 bis 2022 wurde der Schuldendeckel zur Bewältigung der Corona-Pandemie und zur Abfederung der Energiepreissteigerungen durch den Ukraine-Krieg aufgehoben. Allein in diesen drei Jahren stieg die Nettokreditaufnahme des Bundes um über 460 Milliarden Euro. Hinzu kamen 100 Milliarden Euro als sogenanntes Sondervermögen zur Ausstattung der Bundeswehr sowie 200 Milliarden Euro für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zur Dämpfung der hohen Energiepreise.
Ifo-Chef Clemens Fuest bezeichnete Eskens Vorstoß als unbegründet und kontraproduktiv. „Für das Aussetzen der Schuldenbremse gibt es keinen überzeugenden Grund, im Gegenteil. In Deutschland herrschen hohe Inflation und Fachkräftemangel. Eine Ausdehnung der Staatsverschuldung würde lediglich die Inflation steigern und die Zinsen weiter erhöhen“, sagte Fuest. „Selbst wenn damit öffentliche Investitionen finanziert werden, würden durch die steigenden Zinsen private Investitionen verdrängt. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, an der Schuldenbremse festzuhalten“, so der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.
Ganz anders argumentierte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Die Schuldenbremse ist nicht mehr zeitgemäß und zu einer akuten Bedrohung für Deutschlands Zukunftschancen und Wohlstand geworden“, sagte Fratzscher unserer Redaktion. „Die Schuldenbremse sollte bei den vielen Krisen und Herausforderungen für 2024 nicht nur ausgesetzt werden, sondern wir brauchen dringend eine neue Schuldenregel, die deutlich stärkere öffentliche Zukunftsinvestitionen möglich macht und nicht verhindert“, sagte der DIW-Präsident.