Fischer warnt vor "außenpolitischem Totalschaden" Schröder für EU-Beitritt der Türkei
Berlin (rpo). Mitten im Streit über die von der Unions-Spitze angeregte Unterschriftenaktion gegen einen EU-Beitritt der Türkei hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder klar für die Aufnahme des Landes in die Europäische Union ausgesprochen.
"Wenn die Türkei ihren Verpflichtungen nachkommt, dann kann und sollte sie Mitglied der Europäischen Union werden", schrieb Schröder in einem Namensbeitrag für die "Welt".
Zuvor hatten führende Politiker am Dienstag quer durch die Parteien die Union eindringlich vor der Unterschriftenaktion gewarnt, weil sie letztlich den Rechtsextremisten diene. Dennoch bekannten sich die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, erneut zu dem Vorhaben.
Ziel der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei "einzig und allein ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Gleichwohl gibt es keinen Beitrittsautomatismus", schrieb Schröder. Ein EU-Beitritt der Türkei biete allerdings große Chancen für die Sicherheitspolitik und die Wirtschaft. Zudem müsse die EU ihr erstmals 1963 gemachtes Versprechen halten: "Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und der Verlässlichkeit von europäischer und von deutscher Politik", schrieb der SPD-Politiker. Für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wolle er sich auf dem Europäischen Rat am 17. Dezember nachdrücklich einsetzen.
"Die Rechtsradikalen werden das zu nutzen wissen"
Außenminister Joschka Fischer warnte die Unionsspitze vor einer Unterschriftenaktion, sonst drohe ein "außenpolitischer Totalschaden". "Was die Union macht, ist verantwortungslos", sagte der Grünen-Politiker. Die Kampagne richte sich in erster Linie gegen die türkischen Mitbürger in Deutschland und sei für das Klima im Land schädlich: "Die Rechtsradikalen werden das zu nutzen wissen." Grünen-Chefin Claudia Roth sagte im WDR, eine Unterschriftensammlung wäre in jeder Beziehung schädlich: außenpolitisch, wirtschaftspolitisch und innenpolitisch. FDP-Chef Guido Westerwelle appellierte in der "Frankfurter Rundschau" (Mittwochausgabe) an die Union, "einen Regierungswechsel nicht durch einen Verzicht auf Kontinuität in den Grundsätzen der Außenpolitik zu riskieren".
PDS-Bundesgeschäftsführer Rolf Kutzmutz warf Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber ein "Spiel mit dem Feuer" vor. Sie wollten "offenkundig 2006 mit ausländerfeindlichen Ressentiments Wahlkampf machen".
Die Türkische Gemeinde in Deutschland drohte der Union mit einem Wahlboykott, wie ihr Vorsitzender Hakki Keskin der "Welt" sagte.
Kritik auch innerhalb der Union
Innerhalb der CDU warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe, vor einer "unheilvollen Polarisierung". Der "Bild"-Zeitung sagte er, bei einer solchen Aktion bestehe die Gefahr, dass Menschen an CDU-Infostände kämen und fragten, wo sie gegen Türken unterschreiben könnten.
CDU-Chefin Merkel sagte am Montagabend bei einer CDU-Regionalkonferenz in Sindelfingen, wenn sie den Eindruck habe, dass Bundeskanzler Schröder in dieser Frage nicht ergebnisoffen verhandele, dann behalte sie sich vor, "dass wir das in einer Unterschriftensammlung dokumentieren."
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Stoiber nannte eine solche Aktion eine "durchaus erwägenswerte Überlegung". Er sei erstaunt, wie Fischer und Schröder Angst vor dem Volk hätten.