Aus von Galeria Koffer, feine Strümpfe, Mozartkugeln – was wir vermissen werden

Meinung | Düsseldorf · Mit dem Aus für 52 Galeria-Filialen in Städten wie Mönchengladbach, Leverkusen, Neuss gehen nicht nur Warenhäuser verloren, in denen es alles gab – es verschwinden auch biografische Orte. Eine Würdigung, die zu spät kommt.

Kaufhof NRW - Schließungsliste: Diese Filialen machen zu
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Diese Kaufhof-Filialen in der Region stehen auf der Schließungsliste

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Foto: Moll, Jürgen (jumo)

Wer in einer Stadt aufwächst, die nur ein Zentrum hat, nur eine Fußgängerzone gleich ab Bahnhof, kann in der Regel auch von dem einen Kaufhaus erzählen, in das jeder ging. In dem es alles gab. In dem man die anderen traf nach der Schule. Das eine Kaufhaus mit der Kleider-, Koffer-, Feinstrumpf-Abteilung. Mit Verkäuferinnen, die Namensschildchen trugen, flotte Tücher um den Hals und das Haar toupiert. Und Verkäufern mit Krawattenklemmen, die den Schlüssel zur Vitrine mit den Armbanduhren hatten und oft die Abteilungsleiter waren. Ja, so war das. Feinkost gibt es in solchen Kaufhäusern, sahnige Salate in Plastikschälchen, auf deren Preis man nach dem Abwiegen besser nicht schaut. Süßigkeiten, die nur die Tanten kauften, Geleefrüchte, Mozartkugeln, Katzenzungen aus Schokolade. Und links, jenseits der Parfümabteilung, den Lotto-Stand. Großes Glück für kleine Leute.

52 solcher Kaufhäuser sollen nun geschlossen werden, 15 davon in NRW, acht davon in der Region, eins davon in meiner Heimatstadt. Kahlschlag bei Galeria Karstadt Kaufhof droht. Befürchtet wurde er schon lange. Schon vor zwei Jahren hat das Insolvenzverfahren zur Schließung von 40 Filialen geführt. 5000 Arbeitsplätze könnten gestrichen werden, Menschen vor und hinter den Kulissen der Kaufhäuser werden nach Hause geschickt, weil es sich nicht mehr rechnet. Weil selbst eine Milliardenhilfe vom Staat den Niedergang nicht aufgehalten hat. Und die Zugeständnisse der Belegschaften auch nicht.

Das hat Gründe: Managementfehler, unternehmerische Fantasielosigkeit, die Gier von Investoren, die von Verantwortung nichts wissen wollen. Es hat aber auch damit zu tun, dass dieselben Menschen, die nun wehmütig die Kahlschlag-Nachricht beklagen, im Internet bestellen, was sie früher in der Realität einkaufen gingen – im Zentrum ihrer Städte. In der City. Mal schnell zum Kaufhof, Schulhefte und ’ne Glückwunschkarte kaufen. Oder länger geplant: eine neue Winterjacke, einen Schulranzen, Bettwäsche Made in Germany. Und hinterher ’ne Bratwurst am Außenstand. Mit Senf aus der Eimerpumpe und Blick auf die Bushaltestelle. Geschmeckt hat sie trotzdem.

Die Nachricht vom Aus für so viele Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filialen markiert also nicht nur den Niedergang eines Warenhandelskonzerns, der seinen Kunden immer weiter das Alte bieten wollte. Und als sie ausblieben auf Rabatte setzte. Und Rabatte auf Rabatte. Mit den Warenhäusern verschwinden auch biografische Orte. Für die Angestellten sowieso, aber auch für Kunden, die mit den Kaufhäusern in ihren Heimatstädten aufwuchsen. Die jetzt noch die Augen schließen können und wissen, welchen Pullover ihnen die Oma im Warenhaus kaufte. Mit Glitzerquatsch, den Mutter nie erlaubt hätte. Oder die immer noch den Schnellkoch-Topf benutzen, den eine Galeria-Verkäuferin einst empfahl. Eine von denen, die sich auskannte. Mit der Schließung von Kaufhäusern verschwinden auch Orte, in denen beraten, beguckt, befühlt und an der Kasse kurz geplauscht wird. Die tägliches Ziel sind für die, die beim Essen allein am Tisch sitzen, aber gern mal ein Schwätzchen halten. Unverbindlich, was heißt das schon? Offen für jeden, wo gibt es das sonst?

Bequemlichkeit siegt, so könnte man die Ursache für den Wandel beschreiben. Viele lassen sich lieber beliefern. So wurden Paketboten zur Dienerschaft des 21. Jahrhunderts, die sich jeder leisten kann. Dazu lockt das Internet mit unendlicher Auswahl, mit maschinengestütztem Preisvergleich, mit der umfassenden Zusammenschau von Kundenbewertungen, mit kostenlosen Retouren. Dagegen scheint nicht anzukommen, was Warenhäuser bieten: Spielzeugabteilungen, in denen man Teddybären aus dem Regal nehmen, Kleider anprobieren, Parfüms probesprühen kann. Der Konsument hat gelernt, Waren anhand von Bildern auszusuchen, mit Zoom-Lupen über Oberflächen zu fahren, Profil- und Draufsichten zu vergleichen. Dann wird bestellt. Wer bekommt nicht gerne Päckchen? Der Retourschein ist schon ausgefüllt. Der Onlinehandel passt sich an, folgt den Bedürfnissen, bietet immer neue Möglichkeiten. Das Warenhaus ist stoisch. Es muss Luxus bieten, um zu bestehen. Mixed-Use-Markthallen. Einkaufserlebnisse. Gehobene Atmosphären in attraktiven Innenstädten. Die anderen haben das Nachsehen.

Dabei geht auch das Gefühl für die Jahreszeiten verloren, wenn Kaufhäuser aus den Innenstädten verschwinden. Dann fehlen nämlich zu Jahresbeginn die staksigen Kleiderpuppen mit den Karnevalskostümen, später an derselben Stelle die Osterhasen auf den Podesten mit Frühlingsgeschirr, die Strandtaschen, Luftmatratzen, Sonnenbrillen, egal wie das Sommerwetter sich anlässt. Schaufenster im Warenhaus sind Jahreszeiten-Theater. Immer ein wenig der Saison voraus. Den Höhepunkt gab’s zu Weihnachten: wenn in filmreifen Bergwerks-Kulissen Steifftiere am Amboss die Ärmchen hoben und senkten oder in künstlichen Wäldern Eimerchen aus dem Brunnen kurbelten. Auf Knopfdruck in Bewegung, auch wenn das Kaufhaus längst geschlossen hatte. Früher gab es ja auch die Passanten am Abend. Und den Schaufensterbummel.

Galeria Kaufhof in Mönchengladbach. Auch dieses Warenhaus soll geschlossen werden.

Galeria Kaufhof in Mönchengladbach. Auch dieses Warenhaus soll geschlossen werden.

Foto: Andreas Gruhn

Zu spät. So ist das mit der Nostalgie. Schlägt erst zu, wenn alles verloren ist. Wenn eine Epoche nimmt, was eine vor ihr gegeben hat. Weil Gewohnheiten sich ändern und Werte auch. Kaufen wir eben im Einzelhandel, in Einkaufspassagen, im Internet. Und hoffen, dass den Stadtplanern etwas einfällt für die bald leergezogenen Riesen an den durchschnittlichen deutschen Fußgängerzonen. Denn sonst will bald auch da keiner mehr hin.

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