Union in der Krise Schicksalswahl für Merkel in Hessen

Berlin · In Berlin schwören sich die CDU-Spitzen auf die letzte Wahlkampf-Woche vor der entscheidenden Landtagswahl ein. Verliert CDU-Ministerpräsident Bouffier die Mehrheit, könnte die Regierung in Berlin wanken.

 Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, Angela Merkel, Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen und Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der Partei (von links nach rechts), am Sonntag vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, Angela Merkel, Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen und Annegret Kramp-Karrenbauer, Generalsekretärin der Partei (von links nach rechts), am Sonntag vor dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

So viel Nervosität vor einer Landtagswahl war selten im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Eine Woche vor der Landtagswahl in Hessen haben Ministerpräsident Volker Bouffier und Merkel vor einer möglichen linken Mehrheit gewarnt. Der Grad zwischen Stabilität und "linken Experimenten" sei "sehr schmal", sagte Merkel am Sonntag nach einer Sitzung der CDU-Parteigremien in Berlin. Oftmals habe es in Hessen knappe Mehrheiten gegeben. Deshalb müsse um jede Stimme gekämpft werden. Viele Wähler in dem Bundesland seien noch unentschieden, führte die CDU-Vorsitzende aus. Diesen müsse deutlich gemacht werden, dass "nur zwei Stimmen für die CDU" eine stabile Regierung garantieren könnten. Bouffier sagte, eine linke Regierung sei "das letzte, was wir gebrauchen können". Für Hessen als "wirtschaftsstarkes Land" wäre eine solche Koalition eine "Katastrophe". Tausende Arbeitsplätze würden vernichtet, Investitionen würden zurückgefahren, warnte Bouffier.

Für die CDU und ihre Vorsitzende steht viel auf dem Spiel, wenn am kommenden Sonntag in Hessen gewählt wird. Denn verlöre Bouffier seine Mehrheit, könnte auch in Berlin das vorzeitige Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel drohen. In Gefahr könnte die CDU-Vorsitzende aus zwei Richtungen geraten: Zum einen könnten in der Union jene Kräfte stärker mobilisieren, die Merkel schon lange vom Thron stoßen wollen. Zum anderen könnten in der noch viel stärker angeschlagenen SPD die Fliehkräfte überhand nehmen, die die regierende große Koalition in Berlin frühzeitig beenden wollen. Bei Neuwahlen wäre eine erneute Kandidatur Merkels beinahe undenkbar.

Ungewöhnlich war am Sonntag, dass die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer die Spitzengremien der Partei schon an diesem Tag in Berlin zusammengetrommelt hatte, normalerweise wäre der Montag der Tag dafür gewesen. Doch Kramp-Karrenbauer will in dieser letzten Woche vor der Hessen-Wahl keine wertvolle Zeit verlieren und ab Montag lieber Wahlkampf machen. Offiziell sollte es am Sonntag im CDU-Vorstand darum gehen, alle in der Partei auf den Hessen-Wahlkampf einzuschwören. Doch auch wenn darüber nicht offen gesprochen werden sollte – allen in der Union scheint bewusst zu sein, dass ein Damoklesschwert über der Koalition und damit auch Merkels vierter Regierung schwebt. In den vergangenen Wochen waren Absetzbewegungen von der Kanzlerin zu erkennen.

Noch vor der Landtagswahl in Bayern hatte etwa Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Interview laut über „Veränderungen“ in der CDU-Führung nach den beiden Wahlen nachgedacht. Merkel sei heute nicht mehr so unumstritten wie in den ersten zweieinhalb Legislaturperioden, meinte Schäuble und gab so den ewigen Spekulationen um seine Absichten neue Nahrung. Manche vermuten bei ihm immer noch Ambitionen zum Reservekanzler, falls ein schneller Übergang organisiert werden müsste. Und nach der Bayern-Wahl, die der CSU erhebliche Stimmenverluste bescherte, gingen gleich drei CDU-Ministerpräsidenten auf die CSU los – was gar nicht im Interesse Merkels gewesen sein konnte, weil sie vor der Hessen-Wahl keinen neuen Streit wollte.

Während die SPD schon um ihr Überleben zu kämpfen scheint, bekommt auch die Union die Flucht vieler Wähler zur AfD oder zu den Grünen in Umfragen zu spüren: Bundesweit kommen Union und SPD zusammen nur noch auf etwa 40 Prozent. Das zeigt sich auch im neuen „Sonntagstrend“ von Emnid für die „Bild am Sonntag“. Die Union liegt dort bei 25 Prozent (minus 1), die SPD bei 15 (minus 2) – beides sind Allzeit-Tiefstände. Hauptgewinner sind die Grünen mit nun 19 Prozent (plus 2).

Auch die Bundeskanzlerin sah angesichts der sinkenden Umfragewerte den Status der CDU als Volkspartei in Gefahr. Wenn man sich weiterhin so intensiv damit beschäftige, was 2015 in der Flüchtlingspolitik vielleicht hätte anders laufen müssen, „dann werden wir den Charakter einer Volkspartei verlieren“, warnte sie am Samstag beim Landesparteitag der Thüringer CDU. „Seit einem Jahr beschäftigen wir uns viel zu sehr damit, ob wir beleidigt sein sollen oder nicht“, sagte Merkel mit Blick auf die innerparteilichen Querelen zwischen CDU und CSU nach dem schlechten Bundestagswahlergebnis 2017 (32,9 Prozent). „Solche Menschen wählt man nicht. Wir sollten optimistisch in die Zukunft blicken.“ Merkel fügte hinzu: „Mit Griesgram gewinnt man die Menschen nicht.“

Eine Bemerkung, die auch auf den Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU, Horst Seehofer, gemünzt sein könnte. Seehofer hatte Merkel seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 immer wieder widersprochen, sich ihr entgegen gestellt und teils auch gedemütigt. Viele in der Union sehen weniger in Merkels Entscheidungen als in Seehofers Quertreiberei die Ursache für die schlechten Umfragewerte und die Stimmenverluste in Bayern. Der Innenminister und CSU-Vorsitzende, der nach der Wahl einen Rücktritt noch abgelehnt hatte, schloss diesen nun im Bayerischen Rundfunk doch nicht mehr aus. Er sei gerne bereit zu einem Parteitag, „um über eine Wahlanalyse zu reden in alle Richtungen“, sagte Seehofer. „Aber noch einmal mache ich den Watschenbaum für meine Partei nicht. Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung.“ In wenigen Wochen, beim CDU-Parteitag Anfang Dezember, könnte es auch für Merkel eng werden. (mit dpa)

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