Gesetz geht an Lebenswirklichkeit vieler Frauen vorbei Scheidungsrecht — die Reform der Reform

Berlin/Düsseldorf · Als der Gesetzgeber 2008 das Scheidungsrecht veränderte, führte das für viele alleinerziehende Mütter zum sozialen Abstieg. Das Gesetz geht an der Lebenswirklichkeit vieler Frauen vorbei. Nun wird nachgebessert. Eine Analyse.

Die Eckpunkte des Scheidungsrechts von 2008
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Die Eckpunkte des Scheidungsrechts von 2008

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Foto: ddp

Der Idee der großen Koalition von 2008 lag ein überaus modernes Leitbild zugrunde: Die Frau von heute kann für sich selbst sorgen, die Frau von heute macht Karriere, die Frau von heute ist nach dem Ehe-Aus nicht mehr auf hohe Unterhaltszahlungen angewiesen. Sie schafft das jetzt auch alleine — das Prinzip der Eigenverantwortung war geboren.

Überzeugt vom neuen Leitbild, schränkte der Gesetzgeber die Unterhaltspflichten radikal ein. Fortan sollte nach einer Trennung jeder auf seinen eigenen Füßen stehen und sich wirtschaftlich selbst versorgen. Vier Jahre nach der modernen Idee, der Reform des Scheidungsrechts, muss die Regierung die Unterhaltsreform korrigieren: Vorstellung und Wirklichkeit haben in vielen Fällen nicht zusammengepasst.

Nach der Trennung droht die Armut

"Die damalige Regierung ist mit ihrer Reform deutlich übers Ziel hinausgeschossen", sagt Nina Dethloff, Professorin für Familienrecht an der Universität Bonn. Die Regierung habe ihr Gesetzesgerüst munter auf eine Fehleinschätzung zugeschnitten — die Fehleinschätzung, wie eine Ehe in Deutschland aussieht. Denn noch immer hält in einer klassischen Familie die Frau als Mutter und Hausfrau ihrem Ehemann den Rücken für eine Karriere frei — oft ist dieses Modell alternativlos.

Für die Frauen, die vor Jahrzehnten geheiratet und Kinder großgezogen haben, ist das Scheidungsrecht zu hart. Ihnen droht nach der Trennung die Armut. "Viele Betroffene haben zu einer Zeit geheiratet, als Mütter noch als Rabenmütter galten, wenn sie nebenbei zur Arbeit gingen", sagt Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter.

Fiktive Karriere-Szenarien

Der Gesetzgeber schreibt lediglich vor, dass nach einer Scheidung allzu große Vermögensunterschiede zwischen den Partnern auszugleichen sind — und das auch nur für wenige Jahre. Dabei werden fiktive Karriere-Szenarien entwickelt, die darstellen sollen, wie das Leben und das Einkommen der Frau ausgesehen hätten, wenn sie sich gegen eine Ehe entschieden hätte. Das zu messen ist schwierig — und umstritten. Denn wenn beispielsweise die angelernte Krankenschwester nicht belegen kann, dass sie ohne die Ehe noch Medizin studiert hätte und Ärztin geworden wäre, hat sie schlechte Karten. "So darf man mit Menschen nicht umgehen", sagt Schwab.

Der Gesetzgeber will nun reagieren, indem er die Reform nachbessert und für langjährige Ehen mit traditioneller Rollenverteilung weitergehende Unterhaltszahlungen vorsieht. "Frauen, die lange verheiratet waren, dürfen durch eine Scheidung nicht ins finanzielle Abseits geraten. Wir wollen deshalb im Unterhaltsrecht klarstellen, dass die Ehedauer bei der Bemessung des Unterhalts stärker zu berücksichtigen ist", sagt die Vorsitzende der Frauenunion, Maria Böhmer. Konkrete Jahresangaben, ab wann eine Unterhaltspflicht besteht, nennt der Gesetzgeber aber weiterhin nicht. Dies bleibt im Ermessensspielraum der Scheidungsrichter.

Änderung kann am 1. März kommen

Die Regierung will nun rasch handeln. Die Koalition ist sich in dieser Frage einig. Das FDP-geführte Justizministerium hat bereits einen Gesetzestext entworfen, der in ein anderes Gesetz über internationale Regelungen zum Unterhalt für Kinder aufgenommen werden soll. Die Scheidungsrechtsänderung kann damit zum 1. März 2013 in Kraft treten.

Auch das bisherige Gesetz sah schon vor, dass beim Unterhalt auf Frauen Rücksicht genommen werden sollte, die sich in einer langjährigen Ehe auf das Alleinverdiener-Modell verlassen haben. Dies hätten die Gerichte aber nicht wie vom Gesetzgeber vorgesehen umgesetzt, betonte eine Sprecherin des Justizministeriums. Daher soll nun die Klarstellung kommen.

Eine schlechte Nachricht für die alleinerziehenden Mütter gab es am Mittwoch: In der "Düsseldorfer Tabelle", die bundesweit die Unterhaltsansprüche für Trennungskinder regelt, wurden wegen der Erhöhung der Hartz-IV-Sätze nur die Selbstbehalte für die Ex-Partner um 50 Euro erhöht — für die Kinder gab es die zweite Nullrunde in Folge. Dies war keine Überraschung, weil die Kindesunterhaltsbeträge vom Kinderfreibetrag abhängig sind — und der wurde nicht erhöht. "Es gibt offenbar keinen politischen Willen, den Alleinerziehenden zu helfen — das ist frustrierend", kritisierte Verbandschefin Schwab.

Zu wenig Unterhalt für Kinder

Nach ihren Angaben erhält schon jetzt die Hälfte der minderjährigen Kinder gar keinen oder viel zu wenig Unterhalt. Daher fürchtet Schwab, dass sich die Kinderarmut noch verstärken werde. Auch die Familiengründung werde auf diese Weise in Deutschland immer unattraktiver. "Viele Frauen fürchten, nach einer Trennung schlecht dazustehen", sagt Schwab.

Auch wenn die Regierung eine Nachbesserung plant — das Kernproblem besteht weiterhin: "Das Familienrecht muss der gesellschaftlichen Realität entsprechen", sagt Familienrechtlerin Dethloff. Diese Forderung wollte der Gesetzgeber 2008 mit seinem Frauen-Leitbild nachkommen, als er das Unterhaltsgesetz reformierte. Und es gab weitere gute Ideen für doppelt berufstätige Eltern: das einkommensabhängige Elterngeld, das im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes gezahlt wird, und die vielen Kindertagesstätten, die fleißig aufgebaut wurden, damit auch Mütter Karriere machen können.

Der tiefe Fall vieler alleinerziehender Mütter aber zeigt, dass die Institution Ehe in Deutschland stärker vom traditionellen Rollenmodell bestimmt ist, als der Gesetzgeber angenommen hatte.

(Qua)
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