Abkehr vom Grundsatz der Unschuldsvermutung Scharfe Kritik an Schäubles Vorschlag

Berlin (RPO). Scharfe Kritik schlug Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) entgegen, als er erklärte, der Grundsatz der Unschuldsvermutung könne im Anti-Terror-Kampf nicht gelten. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Andreas Pinkwart, mischte sich jetzt in die Diskussion ein. "Der Bundesinnenminister schießt bei der inneren Sicherheit erheblich über das Ziel hinaus. Wir dachten schon, das sei von seinem Vorgänger Schily ausgereizt worden, aber es geht offensichtlich weiter", sagte Pinkwart unserer Zeitung.

So will Innenminister Schäuble gegen den Terror kämpfen
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Foto: ddp

Die Freiheiten weiter einschränken zu wollen das sei der falsche Weg, dem Terrorismus in der zu Welt begegnen. Denn dann hätten die Terroristen genau das erreicht, was sie wollten, nämlich die freiheitliche Demokratie erschüttern

Schäuble hatte dem "Stern" gesagt, der Grundsatz der Unschuldsvermutung könne im Kampf gegen terroristische Gefahren nicht gelten. "Wäre es richtig zu sagen: Lieber lasse ich zehn Anschläge passieren, als dass ich jemanden, der vielleicht keinen Anschlag begehen will, daran zu hindern versuche. Nach meiner Auffassung wäre das falsch."

"Dieser Vorschlag ist vollkommen indiskutabel", sagte der schleswig-Holsteinische Innenminister Ralf Stegner (SPD) am Mittwoch in Kiel. Er forderte Schäuble auf, in der Sicherheitspolitik nicht den Boden der Verfassung zu verlassen. Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte, Schäuble "operiert weit jenseits der Verfassung, wenn er die Unschuldsvermutung bei Verdächtigten außer Kraft setzen will". Massive Kritik kam auch von der FDP.

Stegner erklärte in Kiel: "Die Unschuldsvermutung ist ein unveränderbares Wesensmerkmal unseres Rechtsstaats." Wer dies im Kampf gegen den Terror aufgebe, beseitige ein Kernelement der Verfassung. Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck forderte Schäuble auf, nicht "an den Grundfesten unserer Verfassung zu rütteln". Stattdessen solle der Innenminister umsetzbare Vorschläge in der Sicherheitspolitik unterbreiten "und nicht solche, die ihn auch in der Koalition offensichtlich zunehmend isolieren", sagte Beck der "Netzeitung".

Der FDP-Innenexperte Max Stadler sagte, Eingriffe in die Grundrechte der Bürger dürften auch zur Gefahrenabwehr nicht einfach "ins Blaue hinein" vorgenommen werden. "Vielmehr braucht man in einem Rechtsstaat immer konkrete Verdachtsmomente, wenn man gegen einen Bürger vorgeht", sagte Stadler der "Netzeitung" Das gelte auch bei der Abwehr terroristischer Gefahren.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte: "Selbst wenn es um Gefahrenabwehr geht, kann ich nicht alle, also auch völlig unschuldige Menschen, unter Generalverdacht stellen." Sie warnte in der "tageszeitung" (Donnerstagausgabe) vor einer weiteren Verschärfung der Sicherheitsgesetze, etwa der pauschalen Speicherung aller Telefonverbindungsdaten. Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, warf Schäuble vor, "jedes rechtsstaatliche Maß" zu verlieren.

Schäuble äußerte sich in dem Interview auch zur Verwendung von Informationen, die unter Folter erlangt wurden. Der CDU-Politiker betonte, dass er Folter strikt ablehne. Wenn jedoch Nachrichtendienste von anderen Diensten Informationen über einen Anschlag erhielten, wäre es "absurd", die Informationen nicht zu nützen, weil "nicht ganz so zuverlässig wie bei uns garantiert ist, dass sie rechtsstaatlich einwandfrei erlangt wurden". Dazu sagte Grünen-Chefin Roth, Schäuble erweise sich als "gelehriger Schüler von Folterbefürwortern und als Kooperationspartner von schlimmen Diktatoren, wenn er unter Folter erpresste Informationen verwerten will". Damit schaffe er die Nachfrage für Folterinformationen.

(afp)
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