Zehntausende demonstrieren gegen Bankenmacht Schäuble: "Nehme Proteste sehr ernst"

Frankfurt/Berlin (RPO). Die Wut auf gierige Spekulanten entlädt sich auch in Deutschland. Zehntausende Menschen sind gegen die Macht der Banken und für mehr Demokratie auf die Straße gegangen. In gut 50 Städten versammelten sich am Samstag etwa 40.000 Demonstranten, wie das globalisierungskritische Bündnis Attac schätzte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte am Sonntagabend in der ARD, er nehme die Proteste "sehr ernst" und beobachte sie "mit großer Aufmerksamkeit". Neue Proteste wurden bereits angekündigt.

Die Eurozone hilft, aber Deutschland fordert Klarheit: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Die Eurozone hilft, aber Deutschland fordert Klarheit: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).

Foto: AP, AP

Die Politik müsse "überzeugend darlegen", dass sie selbst die Regeln bestimme und nicht nur "von den Märkten getrieben" werde. Der Minister warnte vor einer "Krise des demokratischen Systems", falls die Politik das Vertrauen der Menschen nicht wiedergewinnen könne.

Berlusconi verurteilte die Krawalle

In Rom kam es zu den schwersten Krawallen seit Jahren. Hunderte vermummte Demonstranten setzten Autos in Brand, warfen die Schaufenster von Banken und Geschäften ein und zerstörten Ampeln und Laternen. Die Polizei feuerte Tränengas und Wasserwerfer auf die Menge ab, aus der sie mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen wurde.

Friedliche Demonstranten und Anwohner in der Nähe des Colosseums flüchteten sich vor den Straßenschlachten in Hotels und Kirchen. "Wir können nicht weitermachen mit Staatsschulden, die nicht wir zu verantworten haben, sondern diebische Regierungen, korrupte Banken und Spekulanten, denen wir völlig egal sind", sagte der 49-jährige Nicla Crippa. "Sie haben eine internationale Krise verursacht und profitieren auch noch davon. Sie sollten dafür zahlen".

Ministerpräsident Silvio Berlusconi verurteilte die Krawalle. Roms Bürgermeister Gianni Alemann klagte, die italienische Hauptstadt werde noch lange am moralischen Schaden der gewaltsamen Auseinandersetzungen zu tragen haben.

Festnahmen in den USA

Am New Yorker Times Square machten etwa 5000 Menschen ihrem Ärger über die Banken Luft. Über 70 Menschen wurden in Manhattan wegen Blockaden, Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und Hausfriedensbruch bei einer Citibank-Filiale festgenommen. In Chicago nahm die Polizei 175 Menschen fest.

Im hoch verschuldeten Portugal gingen in Lissabon und in Porto jeweils mehr als 20.000 Menschen auf die Straße. Sie riefen Sprüche wie "Diese Schulden sind nicht unsere" und "Keine weiteren Rettungspakete für Banken". In Griechenland protestierten etwa 4000 Menschen auf dem Athener Syntagma-Platz, Spruchbänder trugen die Aufschrift "Griechenland steht nicht zum Verkauf". In Paris zog ein Protestmarsch mit etwa 1000 Menschen aus dem Arbeiterviertel Belleville vor das Rathaus.

In London versammelten sich 2000 Demonstranten vor der St.-Paul's-Kathedrale am Rande der City, des Finanzdistrikts. Er habe seine beiden Kinder mitgebracht zu den Protesten, um ihnen zu zeigen, dass die Bevölkerung eine Stimme habe, sagte der 31-jährige Joe Dawson, der als Banker entlassen worden war. "Ich bin nicht mehr passiv, und ich will auch nicht, dass sie es sind. Es ist auch ihre Zukunft", erklärte Dawson, der in vier Teilzeitjobs arbeitet, um über die Runden zu kommen. Etwa 250 Menschen errichteten vor der Kathedrale eine Zeltstadt.

Protest vor dem Kanzleramt

Allein in der Hauptstadt Berlin zogen zwischen 8000 und 10.000 Kapitalismuskritiker zum Kanzleramt. Auf Transparenten standen Slogans wie: "Wäre die Erde eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet" oder "Zeit für echte Demokratie, Wacht auf!" Einige Hundert besetzten die Wiese vor dem Reichstagsgebäude. Die Sitzblockade wurde nachts aufgelöst.

In Frankfurt zogen mehr als 5000 Menschen vor die Europäische Zentralbank (EZB). Der Platz neben dem Eingang soll "auf unbestimmte Zeit" blockiert werden. Den Demonstranten wurde ein Theaterstück mit dem Titel "Europa - eine griechische Tragödie" geboten.

Kapitalismuskritiker versammelten sich auch in Köln, Düsseldorf, München, Hamburg und anderen großen Städten. Die Proteste folgen dem Vorbild der "Occupy Wall Street!"-Bewegung in den USA; Samstag war ein weltweiter Aktionstag. Attac wertete diesen als Erfolg: "Der Funke ist übergesprungen, die Bewegung ist da." In mehr als 900 Städten in 82 Ländern hätten Teilnehmer "ihre Wut über die Macht der entfesselten Finanzmärkte auf die Straße getragen", hieß es.

Attac rief zugleich zu neuen Protesten für Samstag auf. Anlass ist der EU-Gipfel in Brüssel am Tag darauf, bei dem ein neues Bankenrettungspaket geschnürt werden soll. "Erneut sollen die Verursacher der Krise enorme Summen erhalten, während die Kosten auf die Bevölkerung abgewälzt werden", sagte Alexis Passadakis vom Attac-Koordinierungskreis.

Zu den Forderungen der Bewegung "Echte Demokratie jetzt!", die sich als offenes Netzwerk versteht, gehören die Stärkung direkter Demokratie, die Zerschlagung großer Banken, die Austrocknung von Steueroasen und das Verbot spekulativer Finanzprodukte. Die "Profiteure der Krise" müssen nach Auffassung der Demonstranten mit einer Finanztransaktionssteuer und höheren Abgaben auf Spitzeneinkommen belastet werden.

"Jagt die Zocker vom Börsen-Hocker"

In Köln zogen etwa 1.500 Menschen durch die Innenstadt. Auf Transparenten forderten sie mehr soziale Gerechtigkeit. Auch in Hamburg gingen mehrere Tausend Menschen auf die Straße.

In München kamen Hunderte Menschen friedlich zusammen. Sie führten Transparente wie "Jagt die Zocker vom Börsen-Hocker" und "Zwingt die Banken in die Schranken" mit. Einige streckten nach dem Vorbild arabischer Proteste Schuhe wurfbereit in die Höhe.

Linke will radikalen Kurswechsel

Unterstützung für den Protest äußerten Linke und SPD. Der Linken-Vorstand verabschiedete eine Resolution, in der die Aktionen als dringend geboten begrüßt werden. Parteichef Klaus Ernst forderte einen "radikalen Kurswechsel" der Politik. "Die Losung muss lauten: Erst der Mensch, dann die Banken, erst die Europäer, dann der Euro", sagte er dapd am Rande der Kundgebung in Berlin.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, erklärte, der Protest müsse in praxistaugliche Konzepte umgesetzt werden. Die SPD habe Pläne zur Regulierung der Finanzmärkte und gegen die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit ein gerechtes Steuer- und Finanzkonzept erarbeitet.

Der Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbunds, DGB-Chef Michael Sommer, erklärte: "Jenseits jeglicher demokratischer Legitimation und ohne Verantwortung für die Allgemeinheit sind skrupellose Investmentbanken dabei, unsere Gesellschaften zu spalten und aus den Angeln zu heben." Man müsse "der Spekulation das Handwerk legen und die Finanzmärkte stark regulieren".

(apd/csr)
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