Direktorium würdigt "großen Europäer" Schäuble mit Karlspreis ausgezeichnet

Aachen · Für seine Verdienste um die Einigung Europas und seinen Beitrag zur Stabilisierung der Währungsunion ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden.

Karlspreis 2012 für Wolfgang Schäuble
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Karlspreis 2012 für Wolfgang Schäuble

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Foto: dapd, Martin Meissner

Wolfgang Schäuble mag die Rolle des Europa-Visionärs: Wenn es um sein Herzensprojekt geht, denkt er gerne groß. Und so nutzte der Bundesfinanzminister den Aachener Karlspreis, um über das technische Klein-Klein der Euro-Rettung hinaus sein Zukunftsbild für die EU zu entwerfen.

Und das sieht so aus: ein direkt von den Bürgern gewählter Präsident gibt der Gemeinschaft mehr Gesicht und Gewicht. Die Brüsseler Kommission wird zu einer europäischen Regierung ausgebaut. Das EU-Parlament erhält ein Initiativrecht für Gesetze. "Wir müssen jetzt eine politische Union schaffen", forderte der 69-Jährige, der die renommierte Auszeichnung für seine Verdienste um die Einigung erhielt.

Und für dieses weitere Zusammenwachsen will er die EU-Verträge aufschnüren. "Wir werden um weitergehende Vertragsänderungen nicht umhin kommen", unterstrich Schäuble in Aachen. Als Zeithorizont schwebt ihm spätestens 2017 vor. Der Grund: der zwischenstaatliche Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin in Europa soll laut Text innerhalb von fünf Jahren in die EU-Verträge überführt werden. Daraus ergebe sich "ein Zeitfenster der Gelegenheit für substanzielle Weiterentwicklung", unterstrich Schäuble.

So konkret hat das bisher niemand gefordert. Kein Wunder. Denn das Ringen um den seit Dezember 2009 geltenden Vertrag von Lissabon dauerte fast ein Jahrzehnt — und stürzte Europa in die Krise. Der Text ist die Schmalspur-Version einer ehrgeizigen EU-Verfassung, deren Realisierung an Volksentscheiden scheiterte. Einer neuen Rechtsgrundlage müssen alle 27 Mitgliedsländer zustimmen. Und Integrationsskeptikern wie Großbritannien und Tschechien dürften Schäubles Pläne viel zu weit gehen.

Der CDU-Politiker sieht hingegen eine vertiefte Integration als notwendige Lehre aus der Schuldenkrise an. Denn diese habe gezeigt, dass eine gemeinsame Währung ohne politische Union nicht funktioniere. "Was wäre es für ein Kleinmut, wenn wir das europäische Projekt in Frage stellen statt es weiter zu entwickeln", so Schäuble.

Allerdings sei es wichtig, auf dem Weg die Bürger mitzunehmen. Deshalb brauche Europas "ein Gesicht" und mehr demokratische Legitimation - etwa durch einen direkt gewählten Kommissionspräsidenten. Aus Schäubles Sicht könnten die Parteien schon bei der nächsten Europawahl 2014 mit Spitzenkandidaten antreten, die dann eine Chance auf das Amt hätten.

Es gehe keinesfalls um einen "EU-Superstaat", so der Preisträger. Im Gegenteil: Die EU-Exekutive solle sich auf das beschränken, was nur auf europäischer Ebene geregelt werden könne, "statt immer noch mehr Bürokratie" in schon weitgehend durchregulierten Bereichen zu schaffen.

In einer sehr persönlichen Laudatio würdigte Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker den Preisträger als zutiefst überzeugten Europäer, der mit vollem Einsatz für die Einigung einstehe. "Er schindet sich, er bemüht sich, er kämpft." Die europäische Wirtschaft- und Währungsunion sei ein Herzensanliegen Schäubles, der den Euro als politisches Projekt und "eigentliche Antwort auf die Globalisierung des 21. Jahrhunderts" verstehe: "Der Euro ist Friedenspolitik mit anderen Mitteln in einer unruhigen und unsicheren Zeit."

Schäuble gilt als Favorit auf die Nachfolge des Luxemburger Premiers an der Spitze der Finanzminister der 17 Länder mit Gemeinschaftswährung. Der will den Schlüsselposten im Kampf gegen die Schuldenkrise wegen Arbeitsüberlastung im Sommer aufgeben. Juncker ließ gestern keinen Zweifel daran, dass er Schäuble für einen würdigen Nachfolger hält.

"Führen in Europa ist nicht gleichzusetzen mit Diktat und mit Befehl. Führung kann man nur beanspruchen, wenn man gemeinsam mit anderen führen möchte", unterstrich er. Schäuble habe dieses Prinzip verstanden. Mehr noch: "Er hat Überzeugungen und kann andere überzeugen." Das dürfte keine zufällige Bemerkung gewesen sein. Denn es gibt laute Kritik am deutschen Spardiktat für Europa. Deshalb sehen es einige als unglückliches Signal, gerade den Bundesfinanzminister zur Schlüsselfigur im europäischen Krisenmanagement zu machen.

Juncker bezeichnete Schäuble ausdrücklich als "Freund". Ebenso wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde. Die Französin ließ es sich nicht nehmen, Schäubles Verdienste um Europa und den Euro in einer launigen Dinner-Rede am Vorabend der Preisverleihung zu würdigen. Es gebe auf der politischen Bühne derzeit keinen größeren Befürworter weiterer Integration.

Schäuble handele immer nach der Grundüberzeugung: "Was gut für Europa ist, ist auch gut für Deutschland". Ihre sehr persönliche Charakterisierung des Preisträgers gipfelte in der charmanten Erkenntnis: "Wolfgang könnte eine Frau sein." Der Grund: Er beherrsche die Kunst, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, die sonst eher dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werde. So könne er genauestens zuhören — und gleichzeitig Sudoku spielen.

Die Bemerkung kam nicht von ungefähr: Schäuble war innenpolitisch in die Kritik geraten, als er während der Debatte über weitere Griechenland-Milliarden im Bundestag eben jenes Denk-Rätsel löste. Apropos Griechenland. Die aktuelle Krise um Neuwahlen und einen möglichen Euro-Austritt Athens stand beim Karlspreis im Hintergrund. Jean-Claude Juncker ließ sich nur zu einem kleinen Seitenhieb hinreißen: "Wer Europa mit fixen Ideen führen will, macht es fix und fertig, weil sie keine Rücksicht auf die Würde anderer Nationen nehmen."

(RP)
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