Akteur im Hintergrund Schäuble – der mächtige Strippenzieher

Berlin · Er verhandelte die Einheit, wurde als Kanzler und Staatsoberhaupt gehandelt und ist nun nicht nur anerkanntes Verfassungsorgan an der Spitze des Bundestages. Wolfgang Schäuble spielte auch im Machtkampf Söder-Laschet die wichtigste Rolle im Hintergrund.

 Wolfgang Schäuble bei der Eröffnung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung im Januar in Berlin.

Wolfgang Schäuble bei der Eröffnung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung im Januar in Berlin.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Mit 30 wurde er Bundestagsabgeordneter, mit 42 Bundesminister. Mit 56 sollte er Bundeskanzler werden, doch Helmut Kohl verpasste den Wechsel. Mit 61 und noch mal mit 67 war er Anwärter auf das höchste Staatsamt, doch seine Anhänger konnten Angela Merkel nicht überzeugen. Nun ist Wolfgang Schäuble protokollarisch zweiter Mann im Staat als Präsident des Bundestages. Aber faktisch die Nummer eins als Strippenzieher der Republik. Auch die jüngste Entscheidung für Armin Laschet statt Markus Söder als Kanzlerkandidat der Union ist sein Werk. Mit 78 ist Schäubles Einfluss auf die deutsche Politik ungeschmälert. Und er macht weiter.

Die Befürworter eines Verbleibs von Regierung und Parlament in Bonn wissen seit dem 20. Juni 1991 leidvoll um Schäubles Wirkungskraft: Zwölf Stunden debattierten die Abgeordneten seinerzeit, und eigentlich hatten die „Bonner“ eine latente Mehrheit. Bis zu dem Augenblick, als der damalige Innenminister ans Rednerpult fuhr. Mit seinem leidenschaftlichen Eintreten für die „Vollendung der Einheit Deutschlands“ drehte er die Stimmung gerade so weit, dass es auch viele Stunden später bei der Abstimmung zu einer knappen 338:320-Mehrheit für den Berlin-Umzug reichte.

Das Attentat durch einen geistig verwirrten Pistolenschützen lag da noch keine neun Monate zurück. In einer dramatischen Operation retteten die Ärzte sein Leben, konnten seine Querschnittslähmung jedoch nicht verhindern. Andere hätten nach sieben Jahren als Bundesminister, nach dem erfolgreichen Aushandeln der Deutschen Einheit, den Rückzug vom Status eines meistgefährdeten Politikers ins geschützte Private vollzogen. Ein 48-jähriger Schäuble nicht.

Neun Jahre später ein ähnliches Bild: Die Kanzlerschaft als Kohls Wunschnachfolger ist gescheitert, stattdessen muss Schäuble die CDU als Partei- und Fraktionschef in der Opposition neu aufstellen, da fällt er über die Spendenaffäre, muss um Verzeihung bitten für Fehlverhalten und Verschleierung. Andere hätten Friedrich Merz in der Fraktion und Angela Merkel in der Partei machen lassen und privat neu angefangen. Ein 57-jähriger Schäuble nicht.

Und er weiß aus dem Hintergrund zu steuern. Als er Anfang 2002 bei einer Klausur seine Unterstützung für Edmund Stoiber signalisiert, bringt er eine Bewegung in Gang, an deren Ende CDU-Chefin Angela Merkel dem CSU-Chef den Vortritt lässt. Aber sie bricht nicht mit ihm, weiß um seine analytische Schärfe. Und als sie 2005 ins Kanzleramt einzieht, ist er wie selbstverständlich erneut Innenminister, vier Jahre später Finanzminister. Schäuble zeigt der Welt, dass man auch aus dem Rollstuhl heraus um den Globus jetten und die Finanzpolitik prägen, den Euro durch Krisen führen kann. „Isch over“ – das gilt nicht für ihn selbst.

Wie er als Finanzminister öffentlich seinen Sprecher abkanzelt, lässt seinerzeit erahnen, mit welch harter Hand er hinter den Kulissen schon seit Bonner Zeiten mit seinen Untergebenen umgeht. Doch neben die Furcht tritt immer auch Bewunderung, wenn Mitarbeiter aus Schäubles Ministerzeiten berichten. Er weiß Empfehlungen für Karrieren zu setzen: Die Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen und Thomas Haldenwang, die BND-Chefs Gerhard Schindler und Bruno Kahl und auch Bundespolizeipräsident Dieter Romann sind alle ehemalige Schäuble-Mitarbeiter. Und das ist nur die Oberfläche eines weit verzweigten Netzwerkes.

Bei einem Interview im Mai 2018 vermittelt Schäuble als neuer Bundestagspräsident den Eindruck, die aktuelle Machtpolitik losgelassen zu haben. „Nicht leicht“ sei ihm das gefallen, weil er es mit „solcher Leidenschaft“ gemacht hatte. Er müsse halt lernen, dass „alles seine Zeit“ habe. Würde Schäuble also nun wie sein Vorgänger Norbert Lammert vor allem durch das öffentlich gesprochene Wort wirken? Themen sieht er genug, sorgt sich etwa um die Folgen der zunehmenden Polarisierung von Politik und Gesellschaft in der parlamentarischen Demokratie.

Doch daneben bleibt Schäuble der mächtige Strippenzieher. Bereits Anfang Juli 2018, als die Kanzlerin und ihr Innenminister, CSU-Chef Horst Seehofer, Regierung und Union an den Rand der Spaltung führen, finden sie den Ausweg in Schäubles Büro. Dieser macht beiden klar, dass die Kanzlerin Seehofer entlassen müsse, wenn der sich bei den Grenzkontrollen weiter gegen ihre Linie stemme. Seehofer gibt nach, die Union ist gerettet.

Und auch am vorletzten Wochenende schaltet sich Schäuble zunächst öffentlich warnend per Radio-Interview in den zermürbenden Machtkampf um die Kanzlerkandidatur ein. Söder lässt sich davon nicht beirren und freut sich, das Terrain psychologisch in seinem Sinne zu verändern. Die Dynamik scheint Laschets Chancen stündlich zu verkleinern. Dann telefoniert Schäuble mit Laschet und stellt klar, dass das eindeutige Votum des CDU-Vorstands nicht als „Hinterzimmer“ beiseitegeschoben und der Chef der größeren Partei nicht mal eben demontiert werden dürfe. Daraufhin zieht Laschet durch – sicherlich begleitet von weiteren Schäuble-Gesprächen. In der entscheidenden Phase habe Schäuble „die zentrale Rolle“ gespielt, räumt Söder anschließend ein. Schon vorher wusste Söder-Vorgänger Seehofer, welch „große politische Figur“ Schäuble ist. Und wie schwer es ist, an ihm vorbeizukommen, wenn er einmal im Weg steht.

Längst ist Schäuble nicht nur dienstältester Abgeordneter des Bundestages, sondern aller nationalen Parlamente in der deutschen Geschichte. Am 26. September tritt er erneut an. Dann wird er seit acht Tagen 79 sein.

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