Koalitionsstreit in NRW Sammelabschiebungen — Jäger will Fraktionen frühzeitig informieren

Berlin · In NRW haben die Sammelabschiebungen nach Afghanistan einen handfesten Koalitionsstreit ausgelöst. Bundesinnenminister de Maizière verteidigte die Abschiebungen, NRW-Innenminister Jäger will die Fraktionen künftig frühzeitig informieren.

 NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD, Archivfoto).

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD, Archivfoto).

Foto: dpa, odietze mhe gfh

"Solche Rückführungsaktionen sind richtig und notwendig, um unser Asylsystem funktionsfähig zu halten", sagte de Maizière (CDU) am Donnerstag in Berlin. Die Praxis solle "verantwortungsvoll und behutsam" fortgesetzt werden. Von den Abgeschobenen sei ein Drittel Straftäter. Sie sind laut de Maizière wegen Vergehen wie Diebstahl, Raub, Drogendelikten, Vergewaltigung und Totschlag verurteilt worden. Teilweise seien die Afghanen direkt aus der Haft heraus abgeschoben worden. Freiwillig Ausgereiste hätten sich nicht unter den Männern befunden. Die Lage für sie sei in Afghanistan "hinreichend sicher".

Nach Angaben von de Maizière war ursprünglich die Abschiebung von 50 Personen geplant - 16 abgelehnte Asylbewerber waren vor dem Charterflug abgetaucht. Die Sammelabschiebung von Frankfurt am Main aus habe ausschließlich Männer betroffen, sagte der Minister. Dies schließe aber nicht aus, dass bei weiteren ähnlichen Flügen auch Frauen oder Familien betroffen sein könnten. Freiwillige Rückreisen würden wöchentlich organisiert, sagte de Maiziere.

Das Flugzeug mit den abgelehnten Asylbewerbern war um kurz nach 5 Uhr (Ortszeit) in der afghanischen Hauptstadt Kabul gelandet. Dort wurden sie laut de Maiziere von der Polizei, Vertretern der Internationalen Organisation für Migration (IOM), des afghanischen Flüchtlingsministeriums und Mitarbeitern der deutschen Botschaft empfangen. Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Taliban-Rebellen gibt und es immer wieder zu Anschlägen kommt.

Weil sich auch das SPD-geführte NRW-Innenministerium an der Sammel-Abschiebung beteiligt hatte, war die flüchtlingspolitische Sprecherin Monika Düker aus Protest zurückgetreten. Dabei hat sie nun auch Unterstützung von Grünen-Chefin Simone Peter bekommen. "Monika Dükers Rücktritt ist ein aufrichtiger Protest gegen die inhumane Praxis, Flüchtlinge in eines der gefährlichsten Länder der Welt abzuschieben und sich damit an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig zu machen", sagte Peter unserer Redaktion. "Ich habe großen Respekt vor ihrer Entscheidung."

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagte am Donnerstag zu dem Streit nur kurz: "Wir sind in einem Punkt unterschiedlicher Auffassung." Düker äußere klar ihre Meinung in der Frage, die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik mit ihr sei gut, meinte der Minister im Landtag bei einer Debatte über die doppelte Staatsangehörigkeit.

Passagiere des Abschiebeflugs von Mittwoch kamen neben Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg und dem Saarland auch aus Nordrhein-Westfalen. Zehn der Abgeschobenen kamen aus NRW. Hier leben 9000 Afghanen mit Aufenthaltsgenehmigung, weitere 1329 werden geduldet, und rund 17.000 warten noch auf ihr Asylverfahren. Zuletzt wurde etwa jedes zweite Asylgesuch abgelehnt. Nach Angaben des Innenministeriums wurden in diesem Jahr bis Mittwoch drei Afghanen abgeschoben. 2015 und 2014 wurde gar kein Afghane aus NRW abgeschoben.

Das NRW-Innenministerium hatte sich nach Angaben der Grünen erstmals an einer solchen Aktion beteiligt, den grünen Regierungspartner darüber aber nicht informiert. Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Joachim Stamp sagte im Plenum, dass der grüne Koalitionspartner nicht über eine solche Abschiebeaktion eingeweiht wurde, sei ein "starker politischer Skandal". Er zolle Düker "persönlichen Respekt" für ihren Schritt, die Sprecher-Funktion abzugeben.

Die Grünen-Fraktion drängt nun auf zügige Gespräche in der Koalition über das künftige Verfahren, wie ein Sprecher auf dpa-Anfrage in Düsseldorf sagte. Auch ein Sprecher der Landespartei betonte, man müsse rasch mit den Sozialdemokraten reden, "damit sich ein solcher Fall nicht wiederholt".

Jäger (SPD) wolle die Landtagsfraktionen künftig frühzeitig über bevorstehende Sammelabschiebungen nach Afghanistan informieren. Das teilte er am Donnerstag mit. Die Zahl der Rückführungen abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan werde aufgrund der stark gestiegenen Asylverfahren zunehmen, sagte er. Dafür könnten Charterflüge ein geeignetes Mittel sein.

"Es gibt Menschen, die zusammenbrechen"

Bei Sammel-Abschiebungen werden die abgelehnten Asylbewerber immer von Beamten begleitet. Dabei sind reagieren die Menschen ganz unterschiedlich auf ihre Abschiebung. "Es gibt Extremfälle: Es gibt Menschen, denen es egal ist. Und dann gibt es Menschen, die zusammenbrechen, wenn sie realisieren, es ist alles vorbei", berichtete uns bereits im Juni Dalia Höhne, die am Düsseldorfer Flughafen als unabhängige Abschiebebeobachterin arbeitet.

"Es gab sogar schon den Fall, dass jemand aus dem Flugzeug über das Vorfeld gerannt ist. Zwischen diesen beiden Extremen ist vieles möglich. Natürlich sind viele verzweifelt oder haben resigniert. Das ist schwer mitanzusehen. Ich habe häufig auch das Gefühl, dass einige gar nicht genau verstanden haben, was mit ihnen passiert", sagte Höhne weiter.

(hebu/qua/tor/heif/dpa/afp/lnw)
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