Interview mit Sahra Wagenknecht "Ich hoffe, dass die SPD-Mitglieder Nein sagen"

Berlin · Im Interview mit unserer Redaktion wirbt Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht für eine linke Sammlungsbewegung, Verständnis für Russland und eine Abkehr vom Exportdenken als Reaktion auf Trump.

 Sahra Wagenknecht (Archiv).

Sahra Wagenknecht (Archiv).

Foto: dpa, fpt

Die Chefin der Linksfraktion im Bundestag trinkt Tee. Draußen, auf den Straßen Berlins, ist es eiskalt. Wir treffen Sahra Wagenknecht im warmen Haus der Abgeordnetenbüros.

Frau Wagenknecht, müssen wir nach dem Hackerangriff unsere Haltung gegenüber Russland verändern? Ist der Kreml doch so aggressiv?

Sahra Wagenknecht Es ist ja bisher noch nicht mal klar, ob der Angriff von den Russen ausging. Aber richtig ist: Wir erleben einen Kalten Krieg, zu dem auch gegenseitige Hackerangriffe gehören. Heuchlerisch ist, dabei immer nur mit dem Finger auf Russland zu zeigen. Als ob die amerikanische NSA nicht mit ungleich besserem Know-how weltweit das Gleiche tut. Bekanntlich wurde sogar das Handy der Kanzlerin abgehört. Wir sollten gegenüber Russland zu einer Entspannungspolitik zurückkehren. Als Willy Brandt das damals vorschlug, war das Verhältnis zu Moskau mindestens so gespannt wie heute. Und es war trotzdem möglich.

Wenn Russland Deutschland attackiert, ist das in Ordnung, weil es die anderen auch machen?

Wagenknecht Nein, umgekehrt: Man kann es nur verhindern, wenn alle Seiten auf solche Methoden verzichten. Ein No-Spy-Abkommen wäre überfällig, aber das kriegen wir ja nicht mal mit den USA hin. Und bei aller Aufregung über Hackerangriffe sollten wir andere Gefahren nicht übersehen: Facebook, Google, Apple speichern Daten in unglaublicher Größenordnung, die USA beherrschen die digitale Ökonomie und damit die wichtigste Infrastruktur für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts.

Welchen Ausgang erwarten Sie bei dem Mitgliederentscheid der SPD?

Wagenknecht Es wird knapp. Viele sind empört. Das Ja-Lager arbeitet mit der Angst vor einer Neuwahl. Aber wenn die SPD jetzt noch einmal in eine große Koalition geht, wird es weiter bergab gehen. Ich hoffe, dass die Mitglieder sich nicht einschüchtern lassen und mit Nein stimmen.

Würde ein Nein die Umfragewerte für die SPD steigen lassen?

Wagenknecht Dafür müsste die SPD ihre Politik verändern und neue Köpfe an die Spitze stellen. Wenn sie glaubwürdige Leute nach vorne bringt und sich von dem unsozialen Agenda-Kurs abwendet, den sie einst mit Gerhard Schröder eingeschlagen hat, würde sie auch wieder mehr Wähler erreichen. Labour-Chef Jeremy Corbyn in Großbritannien hat vorgemacht, wie das geht.

Sie haben aufhorchen lassen mit der Idee einer linken Sammlungsbewegung. Wie erfolgreich kann so eine Bewegung sein? Müssen Sie dafür am Ende nicht eine neue Partei gründen?

Wagenknecht Eine solche Bewegung kann auch auf offenen Listen einer Partei antreten. Es geht darum, denen ein Angebot zu machen, die früher einmal SPD oder auch Grüne gewählt haben, vielleicht auch noch Mitglieder sind, aber mit dem Kurs ihrer Parteien überhaupt nicht mehr einverstanden sind. Wir dürfen nicht zuschauen, wie sich das politische Spektrum immer mehr nach rechts verschiebt. In der Bevölkerung gibt es Mehrheiten für eine sozialere Politik, für eine Vermögensteuer für sehr Reiche, für höheren Mindestlohn, für bessere Renten. In Frankreich hat die Sammlungsbewegung "La France Insoumise" bei der letzten Wahl 20 Prozent erreicht. Das Gesicht der Opposition ist heute der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon und nicht mehr Marine Le Pen.

Sie sagen, Union und SPD steuern nicht dagegen, dass die Kosten der Zuwanderung auf die Armen abgewälzt werden. Schüren Sie da nicht Ressentiments gegen Flüchtlinge?

Wagenknecht Wer die Kosten der Zuwanderung auf die Ärmeren abwälzt, schürt Ressentiments, nicht der, der das Problem anspricht. Die Tafeln haben eine stetig wachsende Nachfrage, aber kaum Zusätzliches zu verteilen. Das trifft die Allerärmsten. Ähnlich ist es auf dem Wohnungsmarkt. Zuwanderer suchen Wohnungen in Vierteln, wo die weniger Wohlhabenden wohnen. Also steigen dort die Mieten. Gerade in diesen Vierteln waren die Schulen schon vorher schlecht ausgestattet, aber durch die noch größere Zahl von Kindern ohne Deutschkenntnisse wird es noch schwerer. Im Niedriglohnsektor wächst der Lohndruck. All das vergiftet das politische Klima. Verantwortlich dafür sind nicht die Flüchtlinge, sondern Frau Merkel.

Was ist die Lösung?

Wagenknecht Wenn man entscheidet, so viele Menschen aufzunehmen, muss man auch einen Plan haben, wie man die damit verbundenen Probleme löst. Deutschland ist ein reiches Land. Aber die Bundesregierung hat die Städte und Gemeinden, und am Ende auch die Tafeln, mit den Problemen allein gelassen.

Wäre eine Obergrenze besser?

Wagenknecht Im Asylrecht gibt es keine Obergrenze. Wer verfolgt wird, muss Schutz bekommen. Aber darüber hinaus kann man nicht unbegrenzt helfen. Und die Migrationsforschung sagt, dass die dafür aufgewandten Mittel dort, wo 90 Prozent der Flüchtlinge leben, in den Nachbarstaaten ihrer Heimat, sinnvoller eingesetzt wären.

US-Präsident Donald Trump hat Strafzölle für Importe von Stahl und Aluminium angekündigt. Ist das jetzt der Einstieg ins protektionistische Zeitalter?

Wagenknecht Trumps Schritt kommt nicht überraschend. Auch in Europa wird gefordert, durch Schutzzölle zu verhindern, dass unsere Stahlindustrie durch Dumpingimporte aus China vom Markt verdrängt wird. Wenn Kapazitäten erst mal weg sind, entstehen sie nicht wieder. Aber eine Konsequenz aus Trumps Entscheidung für Deutschland muss doch sein: Wir müssen aufhören, die gesamte Wirtschaft auf den Export auszurichten. Wir brauchen parallel zu unserer Exportindustrie ein stärker vom Binnenmarkt getriebenes Wachstum durch höhere Löhne und Renten.

Wie sehr hat der Linken der Grabenkampf zwischen dem Parteivorstand und dem Fraktionsvorstand geschadet?

Wagenknecht Streit schadet immer. Jeder sollte sich auf seine Arbeit konzentrieren.

Kristina Dunz und Gregor Mayntz führten das Gespräch.

(kd, may-)
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