Sahra Wagenknecht im Portrait „Ich war nicht gewohnt, mit anderen Kindern zu spielen“

Berlin · Sahra Wagenknecht treibt die Linke zur Verzweiflung. Es geht weder mit ihr noch ohne sie. Das soll sich ändern. Persönliche Einblicke einer Frau, die es ganz nach oben geschafft hat - nun aber droht, die eigene Partei zu spalten.

 Sahra Wagenknecht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke.

Sahra Wagenknecht beim Bundesparteitag der Partei Die Linke.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Hölle ist für Sahra Wagenknecht das, was für viele andere der Segen ist. Die Gemeinschaft in der Gruppe, gemeinsame Unternehmungen, geselliges Beisammensein. Sie mochte das noch nie. Schon als Kind nicht. Die Mutter arbeitete als Galeristin in Ost-Berlin, die Tochter verweigerte erfolgreich die Kita. Aufgewachsen ist sie schließlich im thüringischen Göschwitz nahe Jena bei Oma und Opa, die ihr Lesen und Schreiben beibrachten, bevor sie in die Schule kam. Der Vater kehrte von einer Reise in den Iran nicht zurück, das Mädchen war damals drei Jahre alt. Ein dunkler Schatten auf der Kindheit.

Wagenknecht sagt: „Ich war Einzelkind. Ich war nicht gewohnt, mit anderen Kindern zu spielen.“ Auch von der kommunistischen DDR-Jugendorganisation FDJ hielt sie wenig. Nicht, weil sie systemkritisch gewesen wäre, sondern weil die Rituale sie nervten. „Lagerfeuer war nicht meins. Ich wollte lieber in Ruhe gelassen werden.“ Viel schlimmer für sie war aber die zweiwöchige Militärausbildung nach ihrem Abitur. „Da war man nicht eine Minute alleine. Das war für mich die Hölle.“ Sie hat nichts mehr gegessen. Nicht aus Protest, sondern weil sich der Magen zuschnürte. Es folgte eine Negativbeurteilung: „nicht kollektivfähig“. Statt wie geplant Philosophie zu studieren, musste sie als Sekretärin Papiere abtippen. Ohne Erfolg. Wagenknecht blieb einfach zu Hause in ihrer Wohnung und verdiente Geld mit Nachhilfe-Unterricht in Mathe und Russisch. Hauptsächlich las sie aber Bücher. Hegel, Kant, Aristoteles, Lukács.

Irgendwie ist das haften geblieben, die Sehnsucht nach Abgrenzung und Stille und dem Alleinsein. Insofern ist es erstaunlich, dass es Wagenknecht in der Politik nach ganz oben geschafft hat, auf den Posten der Fraktionschefin der volksnahen Linken. Was muss erst der Bundestag mit 709 Abgeordneten oder die eigene Linksfraktion mit 69 Parlamentariern für Wagenknecht sein, wo es drunter und drüber geht?  Eigentlich ein Leben für Kompromisse und Gemeinsinn. Nicht für Eigensinn und Menschenscheu, nichts für Eigenbrötler. Viele Parteimitglieder verzweifeln an ihr. Bei der Jahresauftaktklausur der Fraktion am Donnerstag in Berlin blieb zwar die Revolte aus, die vor ein paar Wochen noch so sicher erschien. Aber Frieden herrscht noch lange nicht. Und vermutlich wird es zuvorderst mit den beiden Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, auch keinen mehr geben. Vielleicht sind auch sie keine lupenreinen Teamplayer, aber doch weitaus mehr als Wagenknecht. Das Problem der Linken: Sie kann nicht mit ihr, aber auch nur schwer ohne sie. Denn Wagenknecht ist  populärer als alle anderen. Bis auf Gregor Gysi.

Die beiden kennen sich bald 30 Jahre. Gemocht haben sie sich von Anfang an nicht. Und seitdem Wagenknecht mit Gysis einstigem Co-Fraktionsvorsitzenden und früherem SPD-Chef Oskar Lafontaine verheiratet ist und 2018 die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ gegründet hat, erst recht nicht. In Geheimrunden wird beraten, welche Zauberlösung es geben könnte.

1991 kandidierte Wagenknecht als Mitglied der Kommunistischen Plattform in der PDS für den Parteivorstand. Gysi war damals Vorsitzender. Die Kommunistin, über die Linke später spotteten, sie werde Rosa Luxemburg äußerlich immer ähnlicher, bald werde sie noch wie sie das Bein nachziehen, erklärte dem Vorstand erst einmal die Welt. Nicht besonders umgänglich. Wagenknecht räumt ein: „Ich war jung, äußerst selbstbewusst, man könnte auch sagen arrogant.“

Heute ist sie 49 Jahre alt, immer noch äußerst selbstbewusst, man könnte auch sagen arrogant. Zumindest kann man sie in großer Runde so wahrnehmen. Sie hält Distanz, sie lacht nicht, sie doziert. Die schwarzen Haare jeden Tag akkurat zurückgebunden, immer im Kostüm, dazu passender Schmuck. Schöne, kluge, unnahbare  Frau, Diplom-Philosophin und obendrein promovierte Ökonomin. Und dann die ganz andere Seite: Zugewandt, fröhlich, lustig, in Jeans oder sogar mit offenem Haar. Die Politik verschleiße einen, körperlich und geistig, räumt sie freimütig ein. Aus Zeitmangel könne sie manchmal keine Bücher lesen. Es gibt ein Video von ihr im Internet von 2009 in Irland. Beim Spielen mit ihrem Hund Schlumpy. Oder das Bild vom Karneval, Lafontaine als Napoleon und Wagenknecht mit wallenden schwarzen Locken. Seltene Einblicke ins Private.

In der Linken fürchten viele, das Ehepaar könnte die Partei spalten. Sollte „Aufstehen“ zur Bundestagswahl antreten, würde die Sammlungsbewegung und die Linke jeweils vielleicht 4,9 Prozent bekommen. Das wäre es dann mit der Verankerung im Parlament. Wagenknecht schwört, sie wolle keine Parteispaltung und „Aufstehen“ solle keine Partei werden. „Aber es würde der Linken sicher helfen, wenn sie ihre Listen für parteilose Mitglieder von Aufstehen öffnen würde.“ Damit könnte die Linke an Milieus anknüpfen, die sie aktuell kaum noch erreiche.

Vor ein paar Wochen sah es in der Fraktion nach einem geplanten Putsch gegen die Co-Vorsitzende von Dietmar Bartsch aus. Am Ende gab es aber nicht genügend Unterstützer. Um die Jahreswende provozierte sie mit ihrer Anerkennung für die Gelbwesten-Proteste in Frankreich, und „Aufstehen“ sorgte mit Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk als „Regierungsfunk“ für Aufsehen. Auch das liefert jenen Futter, die Wagenknecht auf einer Stufe mit der AfD sehen. Die Fraktionschefin warnt ihre Partei indes davor, Probleme mit der Migration und Sorgen vor „offenen Grenzen“ und einer „offenen Gesellschaft“ zu verschweigen. Das würde der AfD das Geschäft erleichtern. „Mir Fischen am rechten Rand vorzuwerfen, ist bösartig“, klagt sie.

Riexinger erklärt: „Sahra Wagenknecht ist eloquent, lässt sich von niemandem die Butter vom Brot nehmen und formuliert geschliffen. Das ist ein Vorteil für die Linke.“ Es nagt aber an ihm, dass die Partei durch ihren Richtungsstreit vor allem in der Flüchtlingspolitik mögliche neue Unterstützer an die Grünen verliere. Der Traum von Wagenknechts parteiinternen Kritikern ist, sie würde weiter Stimmen für die Linke ziehen, in Talkshows glänzen und ihre flammenden Reden halten. Aber möglichst nicht als Fraktionsvorsitzende, sondern an anderer neu zu schaffender herausgehobener Stelle. Wagenknecht will „aktuell“ bei der Fraktionsvorstandswahl im September aber wieder antreten. „Für den Ehrenvorsitz bin ich vielleicht noch ein bisschen zu jung“, sagt sie. Und lacht.

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