Am Dienstag legt der Essener Energiekonzern RWE seine Jahresbilanz für 2022 vor, ein Milliarden-Gewinn zeichnet sich ab. Warum meldet sich dazu ausgerechnet die Grüne Jugend?
Interview mit Grüne-Jugend-Chef Timon Dzienus „Wir müssen darüber diskutieren, wie wir RWE in die Hand des Staates legen können“
Interview | Berlin · Der Co-Vorsitzende der Grünen Jugend über das „zweifelhafte Geschäftsmodell von RWE“, die Verstaatlichung des Essener Energiekonzerns und anderer Unternehmen, eine neue Grundversorgung aus staatlicher Hand – und was er von der Sozialen Marktwirtschaft hält.
Dzienus RWE ist einer der größten Profiteure der Energiekrise auch dank eines äußerst zweifelhaften Geschäftsmodells. Der Konzern macht einerseits große Profite mit unseren Grundbedürfnissen und trägt andererseits zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen bei. Es kann doch nicht sein, dass wir einerseits große Energieversorger wie Uniper mit hohen Milliardenbeträgen vor der Pleite retten, bei Milliardengewinnen wie bei RWE aber weitgehend leer ausgehen. Von hohen Gewinnen in der aktuellen Energiekrise wie jetzt bei RWE sollte die gesamte Gemeinschaft und nicht nur ein Konzern und deren Aktionäre profitieren.
Und was heißt das?
Dzienus Wir müssen darüber diskutieren, wie RWE und andere Energieunternehmen in die Hand des Staates gelegt werden können, denn auch der Staat muss mal Gewinne machen dürfen. Für mich ist das auch eine Gerechtigkeitsfrage. Wir sind da übrigens nicht allein: Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte das vor einigen Wochen bereits gefordert.
Warum gehen Sie davon aus, dass der Staat als alleiniger Eigentümer von RWE nicht auch die heimische, klimaschädliche Braunkohle erschließen und verfeuern würde?
Dzienus Uns geht es gar nicht darum, RWE als böses Kohle-Unternehmen darzustellen. Sondern darum herauszustellen, dass RWE als privater Dax-Konzern nach einer reinen Profitlogik handelt. Es wird also das getan, was für die RWE-Aktionäre gut ist – und nicht das, was für die Gemeinschaft und das Klima gut wäre. Das hat man bei der Abbaggerung von Lützerath gesehen. RWE hat offen gesagt, dass der Erhalt des Dorfes nur unter betriebswirtschaftlichen Einbußen möglich wäre. Eine Vergesellschaftung des Konzerns könnte eine Chance bieten, die Energiewende schneller voranzutreiben.
Profitlogik dürfen Sie jedem privaten Unternehmen unterstellen. Warum beziehen Sie ihre Forderung nur auf Energieunternehmen?
Dzienus Wir können auch gern über die Vergesellschaftung weiterer Unternehmen sprechen. Aus meiner Sicht gehört die gesamte Grundversorgung – Energie, Wasser, Wohnen oder Verkehr – in die öffentliche Hand, weil es hier um die Grundbedürfnisse der Menschen geht. Dass einzelne private Unternehmen wie RWE in elementaren gesellschaftlichen Bereichen wie der Energieversorgung eine so große Entscheidungsmacht haben, ist ein demokratisches Problem. Mit menschlichen Grundbedürfnissen sollten keine Geschäfte gemacht werden.
Aber an RWE sind die Kommunen bereits beteiligt, auch sie profitieren von den Gewinnen. Sind Sie bei RWE wirklich an der richtigen Adresse?
Dzienus Das stimmt, aber der Anteil der Kommunen liegt nur bei 14 Prozent. Für uns ist das eher ein weiteres Argument für unsere Forderung: Den Kommunen geht es durch die RWE-Beteiligung finanziell besser. Wir können auch über andere Wege sprechen, den demokratischen Einfluss zu vergrößern, etwa über Konzessionsverträge oder die Stärkung von Stadtwerken. Wir wollen, dass darüber jetzt debattiert wird. Denn wir reden bisher über Vergesellschaftung immer nur in Krisen und immer nur dann, wenn es um die Sozialisierung der Verluste geht. Wir haben mit der Klimakrise aber eine Dauerkrise. Deshalb müssen wir auch grundsätzlich über Vergesellschaftungen sprechen.
Warum halten Sie das Geschäftsmodell von RWE für zweifelhaft?
Dzienus RWE ist weiterhin einer der größten CO2-Emittenten Europas. Der Konzern betreibt einige der dreckigsten Kohlekraftwerke auf dem Kontinent. Das Geschäftsmodell beruht darauf, Folgekosten auf die Gemeinschaft und das Klima abzuwälzen. Ja, RWE will grün und klimaneutral werden und investiert hier auch eine Menge. Aber bisher wirkt das vor allem wie Greenwashing. Ich habe wenig Vertrauen in RWE. Es ist noch gar nicht so lange her, dass RWE den Klimawandel öffentlich geleugnet hat.
Sie wollen weite Teile der Grundversorgungswirtschaft verstaatlichen. Wie steht die Grüne Jugend generell zum System der Sozialen Marktwirtschaft?
Dzienus Wir müssen darüber reden, wie wir uns als Gesellschaft besser vor den negativen sozialen und ökologischen Folgen der Profitlogik schützen können. Der Klimaschutz spielt aus der systemischen Logik heraus bei privaten Unternehmen weiterhin eine untergeordnete Rolle. Wir haben aber nicht mehr viel Zeit, um der Klimakatastrophe etwas entgegenzusetzen. Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, beim Klimaschutz endlich voranzukommen. Die Grundversorgung sollte daher gemeinwohlorientiert organisiert werden, damit nicht Profitinteressen entscheiden. Und das bedeutet auch, damit einhergehende Vergesellschaftung von Unternehmen zu diskutieren.