Kommentar zum Streit ums Werbeverbot Runter von den Abtreibungs-Barrikaden!

Meinung · Der Streit über straffreie Hinweise auf Abtreibungen hat einen längst überwundenen Großkonflikt wieder entfacht. Das ist ein Rückschritt.

 Zwei Paragrafen wollen die Demonstrantinnen im November 2017 in Gießen (unser Archivbild) weg haben.

Zwei Paragrafen wollen die Demonstrantinnen im November 2017 in Gießen (unser Archivbild) weg haben.

Foto: dpa/Boris Roessler

Fast ein Vierteljahrhundert schien die Republik nach Jahrzehnten immer wieder aufbrechender und aufwühlender Debatten befriedet: Nachdem der leicht liberalisierte westdeutsche Abtreibungsparagraf und der deutlich weiter liberalisierte ostdeutsche Abtreibungsparagraf zugunsten der Ost-Variante zusammengeführt und das Verfassungsgericht mehr Beachtung des Lebensrechtes Ungeborener verlangt hatte, schien eine dauerhafte Verständigung gefunden zu sein. Auch das auf den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch folgende Werbeverbot für Abtreibungen im Paragrafen 219 geriet darüber in Vergessenheit.

Das änderte sich, als Abtreibungsgegner es als Vehikel für ihre Ziele zu benutzen begannen. Sie zeigten die Beschreibung von Abtreibung als ärztliche Leistung als Werbung an und erreichten Ende 2017 ein erstes entsprechendes Strafurteil. Nun stecken wir in einer Debatte, die sich nur noch vordergründig um die Frage dreht, ob die Beschreibung von angewandten Abtreibungsmethoden schon Werbung oder noch sinnvolle Information ist. Tatsächlich schlagen Gegner und Befürworter wieder mit den Bildern, Floskeln und Behauptungen um sich, die ihre jeweiligen Anhänger emotional aufwühlen sollen. Exemplarisch stehen hier der „Kindsmörder“-Vorwurf auf der einen und der „Mein-Bauch-gehört-mir“-Anspruch auf der anderen Seite.

Gemessen an der Tradition des absoluten Abtreibungsverbotes ist Deutschland einen weiten Weg gegangen. Es brauchte Jahrzehnte bis zu der allgemein anerkannten Einsicht, dass das vermeintliche Motiv, Leben zu schützen, oftmals zum Tod von Ungeborenem und werdender Mutter führt, wenn die Frauen sich in ihrer Not an illegale Anbieter wenden. Und es brauchte noch einmal Jahrzehnte, bis die Erkenntnis mehrheitsfähig wurde, dass schwangeren Frauen in besonderen Konfliktsituationen als einziger verbliebener Ausweg auch die Abtreibung erlaubt werden musste. Intensive Beratungen und Hinweise auf andere Hilfen und Unterstützungen als Voraussetzung ebneten die Zustimmung auch konservativer Parteien und der Kirchen.

Wenn jetzt wieder argumentiert wird, Ziel müsse es sein, dass nur noch geliebte und ausdrücklich erwünschte Kinder zur Welt kämen, entwickelt sich die Debatte zurück und gerät in gefährliche Untiefen einer Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben. Dieses Trümmerfeld menschlicher Ethik will doch keiner mehr herbeireden! Deshalb ist es höchste Zeit, von den Barrikaden wieder herunterzukommen und sich zum Beispiel ein wenig Zeit für die Lektüre der Verfassungsgerichtsentscheidungen zu nehmen. Diese sehen weder die reine Fristenlösung noch das Abtreibungsverbot als Möglichkeit für einen Rechtsstaat an, der sich der Würde des Menschen und seines Rechtes auf Leben verschrieben hat.

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