Bundeswehr Rüstungsflops — von peinlich bis tödlich

Düsseldorf · Im Millionen-Debakel um den "Euro Hawk" kommt Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) nicht aus der Schusslinie. Der Skandal um die Drohne ist indes kein Einzelfall. Rüstungspleiten gibt es schon seit der Gründung der Bundeswehr.

Rüstungsflops - von peinlich bis tödlich
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Foto: Bundeswehr

Ob Panzerproduktion auf Basis eines Holzmodells, wasserlösliche Unterseeboote, zu Hunderten abstürzende Jagdbomber oder seltsame blaue Stoffbadekappen, die Schwimmer fesseln konnten: Seit Gründung der Bundeswehr 1955 gibt es bei großen und kleinen Beschaffungsvorhaben immer wieder schwer nachvollziehbare Verzögerungen und Pannen. Sie sind teils verbunden mit der Verschwendung von Steuergeld in Millionenhöhe — wie jetzt bei der Drohne "Euro Hawk".

Heulende Spähpanzer Westdeutsche Soldaten kämpften noch in den 1970er Jahren mit einer Ausrüstung, die in den Gründerjahren der Bundeswehr offenbar überhastet eingekauft worden war. Zu schnell musste ein Massenheer gegen die Bedrohung aus dem Ostblock aus dem Boden gestampft werden. Die in Frankreich beschafften Spähpanzer "Hotchkiss", von den Soldaten "Schrottkiss" verballhornt, waren zum Beispiel meist älter als ihre Besatzungsmitglieder, hatten keine funktionierende Heizung, aber einen derart laut heulenden Motor, dass sie über Kilometer hinweg zu hören waren — wenn sie nicht unterwegs ausfielen, was die Regel war.

Juckende Kampfanzüge Als "Filzlaus" wurde von den Soldaten der damalige Kampfanzug verspottet, der aufgrund seines Stoffs unerträglich juckte und in dessen Schulterpartie großzügig Plastikfolie gegen Regen eingearbeitet war — nur in der Theorie eine gute Lösung, wenn man sich einen schwitzenden Marschierer mit schwerem Gepäck auf dem Rücken vorstellt.

Fallsüchtiger Helm Nichts durfte an die unselige Zeit des Nationalsozialismus erinnern. So wurde deshalb lieber statt des bewährten deutschen ein US-Stahlhelm eingeführt, der wegen seines dünnen Kinnriemens bei jeder heftigen Bewegung vom Kopf fiel.

Moped-Produzent Der Schützenpanzer HS 30 stellte den traurigen Höhepunkt jener Waffensysteme der ersten Jahrzehnte dar, die weit hinter die Qualität der Wehrmachtsbewaffnung der letzten Kriegsjahre zurückfielen. Jener HS 30, gebaut von einer schweizerischen Fabrik, die vorher nur Mopeds produziert hatte, sollte für umgerechnet weit mehr als eine Milliarde Euro in einer Stückzahl von mehr als 10 000 beschafft werden. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) hatten vorher nur ein olivgrünes Miniaturmodell aus Holz und Pappe gesehen. Es kam, wie es kommen musste: Der störanfällige, untermotorisierte Panzer erreichte erst nach vielen teuren Nachbesserungen die Einsatzreife; der Nachfolger "Marder" lief da schon vom Band.

Korruptionsverdacht 1958 sorgte eine Liste des Herstellers für Aufregung, auf der Geldsummen und Namen deutscher Politiker vermerkt waren. Der böse Verdacht der Korruption konnte jedoch nie bewiesen werden, auch im Fall des amerikanischen Schönwetter-Jägers Lockheed "Starfighter" nicht. Dessen zu schnelle Einführung ab 1960 hatte katastrophale Folgen: "Wie kommt man am schnellsten an einen Starfighter? Grundstück kaufen und abwarten", lautete ein makabrer Witz jener Zeit, dessen Hintergrund zutiefst tragisch war: 116 Piloten starben bei den 300 Abstürzen oder Unfällen; jeder dritte Jet ging verloren.

Rissiges U-Boot Keine Menschenleben forderte zum Glück die peinliche Pleite um den bald wieder außer Dienst gestellten U-Boot-Typ 201 gegen Ende der 50er Jahre, die offenbar eine Folge zu hoher Ansprüche und mangelhafter Kontrolle war: Der Stahl des Bootskörpers sollte wegen Minen erstmals komplett antimagnetisch sein. Nicht bedacht hatte man indes, dass er Meerwasser nicht vertrug und darum schnell Risse bekam.

Wirtschaftshilfe Auch verdeckte Subvention ist häufig ausschlaggebend für umstrittene Rüstungsaufträge: Mancher Kriegsschiffneubau steht im Verdacht, notleidende deutsche Werften stützen zu sollen. Und die Projekte des Transportflugzeugs A 400 M und der Hubschrauber "Tiger" und "NH 90" wurden von Grund auf bei europäischen Herstellern neu in Auftrag gegeben, obwohl geeignetere Modelle längst auf dem Markt waren. Doch die bewährten C-17 "Globemaster", "Apache" und "Blackhawk" werden allesamt in Amerika produziert. So wartet die deutsche Luftwaffe noch heute auf den Militär-Airbus A 400. Die beiden Hubschrauber sind nach langer Verzögerung soeben endlich in Afghanistan eingetroffen. Das könnte — neben Abstimmungsproblemen mit der Industrie — mit deutscher Über-Gründlichkeit zu tun haben: Die Franzosen nutzen ihre "Tiger" und die Finnen ihre NH-90 bereits seit Jahren und haben die erkannten Mängel jeweils im Truppenalltag nachgebessert.

Kostenexplosion Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) hatte 1974 beim Jagdbomber "Tornado" (Kosten: insgesamt etwa neun Milliarden Euro) erschrocken vom "teuersten Rüstungsprojekt seit Christi Geburt" gesprochen. Doch das wurde das Kampfflugzeug "Eurofighter" mit geschätzten 80 Milliarden Euro bis 2040. Dieser Jet ist typisch für die zu lange Entwicklungszeit militärischer Großprojekte. Mit ersten Studien wurde in den 1980er Jahren begonnen, erst jetzt wird das Flugzeug eingeführt. Seit mehr als zwölf Jahren wartet das Heer unterdessen vergeblich auf ein funktionierendes Luftkissenfahrzeug. Doch mehr als eine Million Euro sind zwischenzeitlich in die Erprobung geflossen.

Pannen-Schiffe Auch unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) kommen manche Rüstungsprojekte nur mühsam voran; die schwer beherrschbare Komplexität moderner Großsysteme — Berlins Flughafen lässt grüßen — ist dabei ein Hauptproblem. So verzögert sich die volle Einsatzbereitschaft der fünf hochmodernen, fürs Radar fast unsichtbaren Korvetten der Marine vermutlich um sieben Jahre bis 2014. 2009 mussten alle Schiffe wegen schwerer Getriebeschäden stillgelegt werden, zuvor hatten die Ruderanlage und andere computergesteuerte Bordsysteme nicht funktioniert. Die letzte bekanntgewordene Fehlermeldung: Durch die neuartige Abgastechnik gelangte krebserregendes Formaldehyd in den Maschinenraum.

Gewichtsprobleme Ob de Maizière von seinen Gegnern auch für die Verzögerungen beim Schützenpanzer "Puma" verantwortlich gemacht werden kann? Der wurde bereits von der Idee bis zum Konzept um mehr als eine Milliarde Euro teurer. Vom Ursprungsziel, den "Puma" genau auf den Langstreckentransport im A 400 M zuzuschneidern, spricht niemand mehr. Der Grund: Während der immer noch nicht eingeführte Schützenpanzer offenbar durch Nachbesserungen immer schwerer wird, verliert das Flugzeug aus ähnlichen Gründen stetig an Nutzlast.

Soldaten-Nasenspray In den Randbereichen der Bundeswehr läuft auch nicht alles rund: Der Bundesrechnungshof monierte im November 2012 den Neubau einer Fabrik für rund 20 Millionen Euro. Sie soll speziell für die Bundeswehr unter anderem Nasenspray, Sonnencreme und Lippenbalsam herstellen. Diese Produkte seien doch auf dem freien Markt günstiger einzukaufen, stellten die Prüfer fest.

Badekappen-Blödsinn Weitgehend undokumentiert sind dagegen die vielen "Rüstungsskandälchen" wie jene in den 1970er Jahren mutmaßlich zu Zehntausenden beschaffte leuchtend blaue Badekappe mit extralangen weißen Befestigungsbändern. Diese hatten die Soldaten merkwürdigerweise unter den Armen hindurchzuziehen, was nicht nur lächerlich aussah, sondern auch im Wasser unnötig behinderte.

Polit-Fehlschüsse Manch ein zurzeit heftig kritisierter Rüstungsskandal ist indes gar keiner. Ebenfalls de Maizière anlasten wollen Oppositionspolitiker zum Beispiel das "untaugliche" Schnellfeuergewehr G 36, das aufgrund seines kleinen Kalibers anstürmende Taliban trotz mehrerer Treffer nicht stoppen könne. Dabei ist das G 36 gegenüber dem Vorgänger G 3 eine deutliche Verbesserung; die angeblichen Schwächen werden durch einen angebauten kleinen Granatwerfer und die ergänzende Bewaffnung einer Infanteriegruppe mehr als ausgeglichen.

Exportschlager Einige deutsche Rüstungsprojekte werden deshalb attackiert, weil sie so gut funktionieren: Der deutsche Kampfpanzer "Leopard" ist seit Jahrzehnten ein Exporterfolg in alle Welt, aber eben deswegen umstritten. Etlichen deutschen Soldaten in Afghanistan das Leben gerettet haben die speziell gegen Sprengfallen geschützten Transportfahrzeuge wie der "Dingo". Und die Bekleidung der Soldaten ist deutlich verbessert worden.

(jco)
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