Schweizer stimmen gegen Minarette Rückschlag für Volksentscheide in Deutschland

Düsseldorf (RPO). Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten entschieden - und schaden damit womöglich sich selbst. Wirtschaft und Politik sorgen sich um das internationale Ansehen der Eidgenossen. Die Befürworter von bundesweiten Volksentscheiden in Deutschland fürchten nun negative Auswirkungen für ihre Initiativen.

Die schöne Seite des Islam
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"Wir wollen mehr Demokratie wagen", hat der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt sich während seiner Amtszeit auf die Fahnen geschrieben. Damit hatte er 1969 keine bundesweiten Volksentscheide im Sinn. Seither taucht das Thema immer wieder in der politischen Diskussion auf. Richtig angepackt hat es jedoch noch keine Partei.

Noch vor rund einer Woche sprach sich der neue SPD-Chef Sigmar Gabriel dafür aus. "Ich plädiere für mehr Leistung, Mut und Risikobereitschaft der Politik, etwa für Volksabstimmungen", sagte er der Zeitung "Die Welt". Solche Abstimmungen seien "gut für die moderne Demokratie - und ich jedenfalls habe keine Angst vor dem Volk".

Bis jetzt sind Volksentscheide nur in Ländern und Kommunen möglich. Eine entsprechende Regelung auf Bundesebene würde eine Änderung des Grundgesetzes und damit eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages erfordern. Aber Politiker, die sich selbst entmachten, sind schwer vorstellbar. Der Ausgang des Referendums in der Schweiz bedeutet zudem Gegenwind: "Das ist Wasser auf die Mühlen der Gegner der direkten Demokratie", sagte Michael Effler, Vorstandssprecher des Vereins "Mehr Demokratie e. V." gegenüber unserer Redaktion.

Die Bevölkerung selbst steht der Möglichkeit positiv gegenüber: 68 Prozent der Bundesbürger sind für Volksentscheide, ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Initiative aus dem letzten Juni. Ihr Vorschlag: 100.000 Unterschriften sollen notwendig sein, um dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen. Lehnt das Parlament die "Volksinitiative" ab, müssen innerhalb von sechs Monaten eine Millionen Unterschriften gesammelt werden, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Außerdem soll neben dem Initiativrecht die Möglichkeit bestehen, Entscheidungen des Bundestages zu kippen.

In der Schweiz besteht die Möglichkeit von Volksentscheiden schon seit 1891. Bereits zwei Jahre später folgte der erste Urnengang. Die Schweizer nahmen die Volksinitiative für ein Verbot des Schlachtens ohne vorherige Betäubung an. Seither wurde über Feiertage, den Uno-Beitritt oder einen Baustopp für Atomkraftwerke abgestimmt. Auch das Rentensystem der Alpenrepublik, das international als vorbildlich gilt, ist maßgeblich durch eine direkte Einflussnahme des Volkes entstanden.

Bestürzung im Ausland

Die Abstimmung vom Sonntag dürfte jedoch das größe internationale Echo hervorrufen. "Ich bin erschüttert", sagte die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im "ZDF". "Muslime sind nicht willkommen in der Schweiz" - das sei das Signal, dass von der Mehrheit der Schweizer ausgehe. Das Votum sei ausgrenzend, demokratiefeindlich und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, erklärte die Bundestagsvizepräsidentin. Religionsfreiheit und Minderheitenrechte dürften nicht in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden.

Der Architekt der umstrittenen Kölner Moschee, Paul Böhm, nannte ein Minarettverbot "undemokratisch". Das Schweizer Ergebnis sei "vor allem eine unintelligente Entscheidung, die mich erschreckt und die ich so nicht erwartet hätte", sagte Böhm der "Welt". Er hoffe, hier nicht das letzte Wort gefallen sei. "Das wäre ein Fehler."

Größer sind die Befürchtungen in der Schweiz selbst. Die Eidgenossen hatten die Anti-Minarett-Initiative von zwei rechtspopulistischen Parteien am Sonntag mit mehr als 57 Prozent Ja-Stimmen angenommen und damit über ihre Stammklientel hinaus punkten können. Damit wird die Verfassung der Schweiz um den Satz ergänzt: "Der Bau von Minaretten ist verboten".

Befürchtungen in der Wirtschaft

Nach der Annahme der Initiative könnten Boykottaufrufe gegen Schweizer Produkte in islamischen Ländern drohen, sagte der Präsident des Wirtschaftsdachverbandes "economiesuisse", Gerold Bührer, im Schweizer Rundfunk. "Beispiele dafür gibt es ja", so Bührer in Erinnerung an den Boykott dänischer Produkte nach dem Karikaturenstreit von 2006.

Von einer "Trendwende für die politische Kultur der Schweiz" sprach der Berner Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Seien in der Vergangenheit bei Volksabstimmungen vor allem religiös begründete Privilegien gestrichen worden, werde jetzt offenbar die religiöse Identität der Schweiz wieder stärker betont. Schulze fürchtet ähnliche Konsequenzen wie der Wirtschaftsdachverband: International entstehe ein Glaubwürdigkeitsproblem für die Schweiz, die bislang als neutrale Institution auch in religiösen Dingen wahrgenommen worden sei.

"Mehr Demokratie"-Vorstandssprecher Effler warnte jedoch wie einige Politiker, die Situation in der Schweiz mit der Bundesrepublik zu vergleichen. "Dort herrscht eine andere politische Kultur. Außerdem wäre eine solche Fragestellung wie in der Schweiz vermutlich ein Verstoß gegen die Grundrechte." In Deutschland wäre es zu einer Abstimmung also gar nicht erst gekommen. Auch der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy sagte, eine Entscheidung wie in der Schweiz wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

(Mit Agenturmaterial)
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