Persönlicher Jahresrückblick 2022 Die (nicht nur) politischen Tops und Flops des Jahres

Meinung | Berlin · Was für ein Jahr: 2022 brachte Krieg in Europa, viele Krisen, vergiftete politische Debatten und ein erneutes Vorrunden-Aus für die deutsche Nationalmannschaft. Unsere drei Autoren blicken zurück – auf die Tops und Flops 2022.

Ein Jahr Ampel-Regierung: Was gut und was schlecht lief
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Was der Regierung gut gelang – und was nicht

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Foto: AP/Markus Schreiber

TOPS des Jahres 2022

  • Cem Özdemir: Der Landwirtschaftsminister gehörte zu den ersten Regierungsmitgliedern, die von Polen aus im Nachtzug in die Ukraine reisten. Mitten im Krieg suchte Özdemir nach Lösungen in der Getreidekrise. Im Zug erlebte er eine kleine Überraschung – dort hing auch ein Foto von CDU-Chef Friedrich Merz. Der war schon vor ihm in Kiew. Selber Zug, aber anderes Abteil.
  • Winnetou: Was für eine absurde Debatte in diesem Jahr über kulturelle Aneignung und verharmlosende Klischees. Der Häuptling der Apachen und vor allem Pierre Brice dürften sich im Grab umgedreht haben. Winnetou und Old Shatterhand bleiben immer top – wenigstens zwei Helden, die sich noch für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. Wenn auch meist nur im TV zu Weihnachten.
  • Julia Klöckner: Der CDU-Frau wurde es auf dem Parteitag in Hannover zu bunt, feixende junge Männer im Plenarsaal, die sich über die Frauenquote und ihre Befürworter lustig machten. Also stieg Klöckner in die Bütt und las ihrer Partei ordentlich die Leviten. Sie drehte damit das Ruder. Jetzt hat die CDU nach quälenden Debatten eine Frauenquote. Die allerdings in Wahrheit keine ist.
  • USA: Wie oft hat man die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren schon abgeschrieben: Doch 2022 hat gezeigt, dass Amerikas Demokratie stärker ist als viele meinen. Auch US-Präsident Joe Biden hat bewiesen, dass man mit 80 Jahren noch Wahlkämpfe gewinnen kann. Und dass die transatlantische Partnerschaft für Deutschland überlebenswichtig war und ist - siehe Russlands Überfall auf die Ukraine. Ohne die USA und die Nato geht es nicht.
  • Doppel-Wumms: Der Name geht auf den Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zurück und ist äußerst infantil. Kanzler Olaf Scholz musste ihn auch noch aus der Quarantäne seines Appartements im Kanzleramt heraus verkünden. Doch die 200 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Energie- und Inflationskrise taten Not. Sie haben den befürchteten heißen Herbst mit Massendemonstrationen auf der Straße - zumindest 2022 - abgewendet.
  • Ukrainische Mentalität: Das Leid und das Grauen, die Russlands Präsident Wladimir Putin über die Ukraine gebracht hat, sind bar jeder Beschreibung. Die mentale Stärke und der Kampfeswille des ukrainischen Volkes sind bewundernswert. Es hat den Angriffen einer Supermacht Stand gehalten, geht durch einen Winter der Entbehrungen. Und führt zu der Frage: Wie würde man sich eigentlich selbst verhalten? Fliehen, oder bleiben und kämpfen? Antwort offen.
  • Kanzler in China: Die Corona-Auflagen waren absurd streng beim Besuch von Olaf Scholz (SPD) in China. Die Fenster der Begleitfahrzeuge gingen nicht auf, die Kanzler-Maschine musste in Südkorea zwischenparken. Politisch ging es etwas voran: Staatspräsident Xi Jinping verurteilte das russische Säbelrasseln mit Atomwaffen – nutzte jedoch Scholz’ Stippvisite auch für seine Propaganda.
  • Gasspeicher-Klaus: Zuvor war er oberster Verbraucherschützer, jetzt ist er oberster Wächter über die Energieinfrastruktur: Klaus Müller muss als Chef der Bundesnetzagentur die Gasspeicher im Blick behalten. Und die sind unerwartet schnell mit unfassbar teurem Gas befüllt worden, damit wir es an Weihnachten warm haben. Wie es im nächsten Jahr aussieht, steht aber in den Sternen.
  • Stephan Weil: Der SPD-Mann hat noch nie eine Wahl verloren und blieb nach der Landtagswahl Niedersachsens Regierungschef. Er gilt als bodenständig, durchaus Scholz-kritisch und ist derzeit auch noch Chef der Ministerpräsidentenkonferenz. Läuft für ihn. Jetzt muss der 63-Jährige nur aufpassen, dass er seine Nachfolge selbst organisiert und nicht irgendwann gestürzt wird.

FLOPS des Jahres 2022

  • Fußball-WM: Früher schaute man gemeinsam im Bundestag über die Parteigrenzen hinweg Fußball. Selbst wichtige Abstimmungen wurden verschoben, wenn die deutschen Kicker hinter dem Ball herliefen. Und diesmal? Von WM-Begeisterung keine Spur. Eher leidige Debatten über einen Katar-Boykott. Die DFB-Elf hat es dann aber auch der Politik leicht gemacht. Durch ihr frühes Ausscheiden.
  • Bahn: Mensch, was waren alle überrascht – die Bahn kommt zu spät. Nichts Neues. Neu war freilich in diesem Sommer das Ausmaß an Verspätungen und Zugausfällen gepaart mit der Ratlosigkeit der Politik. Verkehrsminister Volker Wissing hat die Lage des Unternehmens zur Chefsache gemacht. Wie Chefsachen enden können, weiß man auch - auf dem Abstellgleis.
  • AfD-Parteitag: Eigentlich wollten die Rechten ein Zeichen der Geschlossenheit senden. Doch beim Parteitag im sächsischen Riesa verfiel die AfD mal wieder in persönlich ausgetragene Grabenkämpfe, der Konvent endete im Chaos. Wobei man nach den Vorstandswahlen sagen muss, es gibt keinen Riss mehr in der Partei – nur einer hat tatsächlich noch das Sagen: Höckes Björn, gerne auch Bernd genannt.
  • Twitter: Es ist vorbei. Denn spätestens seit der US-Milliardär Elon Musk, zwischen Genie und Wahnsinn gefangen, das soziale Netzwerk übernommen hat, ist es vorbei mit dem „Zwitschern“. Es wird dem öffentlichen Diskurs gut tun. Es braucht eben doch oft mehr Worte und Wörter, um Debatten zu führen. 2023 wird das Jahr des Rückzugs von Twitter werden.
  • Sozialer Pflichtdienst: Das war 2022 die Debatte, die dem Land gerade noch gefehlt hat. Ins Spiel gebracht hat sie Bundespräsident Fran-Walter Steinmeier, allerdings auch für Ältere. Doch in der Diskussion geht es erneut um die Jugend. Warum eigentliche? Die Jungen haben in der Corona-Pandemie die größte Solidarität gezeigt. Sie werden sowohl den Doppel-Wumms als auch die künftigen Renten bezahlen müssen. Und sollen dann noch einen Pflichtdienst ableisten? Entschiedenes Nein.
  • Pflegesystem: Die Versorgung der Ältesten ist skandalös. Der Mangel an Pflegekräften ist in Krankenhäusern, aber vor allem in den Seniorenheimen derart schlimm, dass die Bedingungen für viele am Lebensende unwürdig sind, die Kosten dabei aber stetig steigen. Die Regelungen der Pflegeversicherung versteht kein Mensch. Bisher hat jede Regierung eine Reform des Systems gescheut.
  • Lambrecht und ihr Sohn: Der peinliche Hubschrauberflug mit ihrem Sohn samt Protzfoto-Post bei Instagram brachte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) reichlich Minuspunkte ein. Erst recht, als die gelernte Juristin einen Rechtsstreit dazu verlor und einräumen musste, dass sie das Foto gemacht hatte. Ihr Glück angesichts weiterer Pannen im Amt: Kanzler Scholz gilt als einer, der sehr zögerlich ist bei fristlosen Kündigungen.
  • Kindergrundsicherung: Armen Kindern wirksam helfen: Das ist eines der zentralen Versprechen der Ampel-Regierung. Die Einführung einer Kindergrundsicherung ist das bedeutendste Projekt von Nachzügler-Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Nur blöd, dass im Haushalt vorerst kein Geld dafür eingeplant war. Arme Kinder werden um Geduld gebeten.
 Winnetou und Old Shatterhand bleiben immer top – trotz kurioser Debatten über kulturelle Aneignung.

Winnetou und Old Shatterhand bleiben immer top – trotz kurioser Debatten über kulturelle Aneignung.

Foto: dpa/Marc Reimann
  • Sicherheit am BER: Viele Jahre lang ging es auf der Skandalbaustelle für den Hauptstadtflughafen um Probleme mit der Brandschutzanlage. Jetzt ist der Airport endlich in Betrieb. Doch mit der Sicherheit ist es nach wie vor so eine Sache: Mit einfachem Werkzeug überwanden Klimakleber der „Letzten Generation“ wiederholt Zäune zum Flughafengelände und sorgten für Chaos im Flugbetrieb. Nachbesserungen sind dringend nötig.
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