Fehlstart der Koalitionen (II) Rot-Grün stolperte gleich mehrfach

Berlin (RP). Keiner redet mehr darum herum: Der Start der schwarz-gelben Regierung ist missglückt. Mit jeder näherrückenden Entscheidung verschärft sich der Streit erneut. Doch aller Anfang ist schwer. Auch Rot-Grün stolperte nach der Machtübernahme 1998 gleich mehrfach, musste wichtige Gesetze "nachbessern" und verlor 1999 bei insgesamt sechs Landtagswahlen. Erst danach fing sich die Koalition. Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Vergleich.

Rot-Grün: Rückblick in acht Bildern
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Berlin (RP). Keiner redet mehr darum herum: Der Start der schwarz-gelben Regierung ist missglückt. Mit jeder näherrückenden Entscheidung verschärft sich der Streit erneut. Doch aller Anfang ist schwer. Auch Rot-Grün stolperte nach der Machtübernahme 1998 gleich mehrfach, musste wichtige Gesetze "nachbessern" und verlor 1999 bei insgesamt sechs Landtagswahlen. Erst danach fing sich die Koalition. Rot-Grün und Schwarz-Gelb im Vergleich.

Der Schock kam am 11. März 1999. Hals über Kopf verließ SPD-Chef Oskar Lafontaine das rot-grüne Kabinett, dem er als allmächtiger Finanzminister angehörte. Erst im Oktober —­ wenige Monate vorher —­ war die Koalition aus SPD und Grünen in eine neue Zukunft gestartet. Ein Gesellschaftsprojekt hatten Sozialdemokraten und Öko-Partei vor, die Protestgeneration der Achtundsechziger war endlich an die Schalthebel der Macht gelangt. Sie bedienten sie mehr schlecht als recht.

In großem Stil nahm die rot-grüne Mehrheit die liberalen Reformen des letzten Kabinetts Kohl zurück —­ den Wegfall der Lohnfortzahlung und des Schlechwettergelds, den Demografiefaktor in der Rentenversicherung, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die höheren Zuzahlungen für Rezepte und das Krankenhaus-Notopfer von 20 Mark. "Versprochen, gehalten", intonierten damals die Wahlsieger die Korrektur der "Grausamkeiten" Kohls und schufen sich zugleich selbst die allergrößten Probleme.

Ausgerechnet an dem eher unscheinbaren 630-Mark-Gesetz wäre beinahe die Koalition gescheitert. Die SPD wollte der grassierenden geringfügigen Beschäftigung den Garaus machen und die vielen Mini-Jobs wieder in echte Vollzeit-Arbeitsplätze verwandeln. Sie hatte die Rechnung ohne die eigenen Wähler gemacht. Tausende von verprellten Mini-Jobbern, ob im Haushalt, bei Verwaltungen, in Büros oder in Restaurants, machten den SPD-Abgeordneten Druck.

Druck durch Minijobs

Überkomplizierte Regelungen des übereifrigen Arbeitsministers Walter Riester taten ein Übriges. Der allgemeine Verdruss war perfekt. Als der Protest von Wirtschaft und Arbeitnehmern beängstigende Formen annahm, ein Gesetz nach dem anderen nachgebessert werden musste und obendrein die Wahl im "roten" Hessen mit Pauken und Trompeten verloren ging, schwenkte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) um. Die einzelnen Minister müssten sich fragen lassen, ob sie weiter "gegen die Wirtschaft" regieren wollten, ließ er über die "Bild"-Zeitung kolportieren.

Einer hatte sofort verstanden: Finanzminister Lafontaine. Erst als der "gefährlichste Mann Europas" (die britische "Sun") die Kommandobrücke verließ, kehrte etwas mehr Ruhe in die Regierung ein. Die Landtagswahlen in Brandenburg, Saarland, Thüringen, Sachsen und Berlin bescherten der SPD trotzdem schwere Verluste. Später kosteten die heftigen Widerstände der Lobbys und das eigene ungeschickte Vorgehen im Jahr 2001 Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) den Job. Und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) stolperte über die Rinderwahn-Krise.

Eichel folgt Lafontaine

Aber da hatte sich die Regierung Schröder bereits gefangen. Lafontaine wurde durch den kreuzbraven Buchhalter Hans Eichel (SPD) ersetzt. Der machte die Haushaltskonsolidierung und einen eisernen Sparkurs zu seinem Markenzeichen, was er mit der Aufstellung einer Vielzahl von Sparschweinen auf seinem Büro-Schreibtisch unterstrich. Die beiden Lafontaine-Staatssekretäre Claus Noë und Heiner Flassbeck verbannte er umgehend aus seinem Ministerium.

"Der eine hat das ganze Haus gegen uns aufgebracht, der andere den Rest der Welt", sagte er in Anspielung auf deren rüden Umgang mit den bisherigen Beamten des Ministeriums und den internationalen Partnern im Kreise der Finanzminister der Europäischen Union und der großen Industrieländer. Als es Schröder und Eichel gelang, für die Durchsetzung der Steuerreform (Entlastung: 60 Milliarden Mark) den Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) für nur 120 Millionen Euro an Zuschüssen für die Bundeshauptstadt aus der Ablehnungsfront der unionsregierten Länder herauszukaufen, war Rot-Grün auf der Spitze der Macht.

Trotzdem konnte der SPD-Kanzler nur mit seinem Nein zum Irak-Krieg und der Bändigung der Elbflut den Wahlkampf 2002 hauchdünn gegen CSU-Herausforderer Edmund Stoiber gewinnen. Auf sieben Regierungsjahre brachte es Rot-Grün. Eine neue Gesellschaft hat die Koalition nicht geschaffen, aber mit Hartz IV die einschneidendste Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik.

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