Bundestag Ringen um eine „Notlösung“ fürs Wahlrecht

Berlin · Die Chancen auf ein umfassendes neues Wahlrecht sind gesunken. Nun ringen die Fraktionschefs um eine „Notlösung“ nur für die nächste Bundestagswahl.

 709 Abgeordnete zählt der aktuelle Bundestag (Archivbild).

709 Abgeordnete zählt der aktuelle Bundestag (Archivbild).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Weihnachten hatte sich Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus das Zielt gesetzt, noch vor Ostern das neue Wahlrecht in trockenen Tüchern zu haben, um eine weitere Aufblähung des Bundestages zu verhindern. Nun ist Ostern vorbei, und eigentlich auch schon die Zeit abgelaufen, um eine grundlegende Reform so rechtzeitig hinzubekommen, dass die langen Vorlaufzeiten vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 eingehalten werden können. Deshalb appelliert Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), wenigstens eine „Notlösung“ hinzubekommen. Doch die Gefahr ist groß, dass der Bundestag, der jetzt schon mit 709 statt 598 Abgeordneten an der Grenze seiner Arbeitsfähigkeit steht, auf 850 und mehr Mandate anwächst.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider verweist auf das „Brückenmodell“, das „neuen Schwung in die Debatte“ gebracht habe. „Auf dieser Basis verhandeln wir derzeit mit allen Fraktionen und natürlich auch mit unserem Koalitionspartner“, unterstreicht Schneider. Damit deutet er an, wo aus Sicht der anderen Fraktionen die größte Hürde vor einer Reform liegt: Bei der uneinigen Unionsfraktion. Allerdings hatte Schäuble auch dem Brückenmodell den Kompromisscharakter abgesprochen.

Die Fraktionschefs seien im Gespräch, um eine gemeinsame Lösung zu finden, versicherte ein Sprecher der Unionsfraktion. Nach dem Prinzip der Deckelung, das Kern der Brückenlösung der SPD ist, sollten für die nächste Bundestagswahl Überhangmandate nur noch in dem Umfang zugelassen werden, dass zusammen mit den Ausgleichsmandaten die Gesamtzahl von 690 Abgeordneten nicht überschritten wird.

Der Vorteil, laut SPD: Die Wahlkreise müssen nicht neu eingeteilt werden, um ihre Gesamtzahl zu verringern. Der Nachteil, laut Union: Es wird Wahlkreise geben, in denen die Bürger einen Abgeordneten verbindlich zu ihrem Vertreter gewählt haben, der aber nicht Abgeordneter werden darf. Vor allem CDU und CSU wären davon massiv betroffen, da sie mit großem Abstand die meisten direkt gewählten Abgeordneten stellen. Sie halten eine solche Regelung zudem für verfassungswidrig.

Das Problem hat sich mit mehr Parteien und geringeren Prozenten für die Volksparteien verschärft. Denn so bringen vor allem Union und SPD über die Erststimme immer mehr Direktkandidaten durch, als ihnen insgesamt nach dem Verhältnis der Zweitstimmen zustehen (Überhangmandate). Zugleich muss der Ausgleich über immer mehr Parteien hinweg hergestellt werden (Überhangmandate). Der Vorschlag der Union, nicht mehr alle Überhangmandate auszugleichen, trifft auf den Widerstand vor allem der kleineren Parteien.

Das ursprüngliche Wahlrecht sah überhaupt keinen Ausgleich vor. Dadurch kam es zu klareren Mehrheitsbildungen, wie etwa 1998 bei der ersten rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. Allerdings schrumpften diese Mehrheiten im Laufe der Wahlperiode, weil es für ausscheidende Abgeordnete aus Bundesländern mit Überhangmandaten keinen Nachrücker gab.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags wurde der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, mit der Einschätzung zitiert, die Notlösung habe „keine Chance“. Ein Sprecher der Unionsfraktion erklärte dieses Zitat für ein Missverständnis. Die Anfrage nach dem Wahlrecht habe Grosse-Brömer so verstanden, als ginge es um die aktuelle Debatte über ein Notparlament. Zum Wahlrecht wollte sich Grosse-Brömer nicht äußern.

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