Vierte Corona-Welle Ringen um den weiteren Corona-Kurs: „Es ist fünf nach 12“

Exklusiv | Berlin · Die vierte Corona-Welle schlägt mit voller Wucht ein, die Inzidenzen sind so hoch wie nie in dieser Pandemie. RKI-Präsident Wieler wählt drastische Worte. Nun sollen striktere Schutzmaßnahmen greifen. Die Unionsfraktion macht von der Oppositionsbank aus einen neuen Vorstoß.

 RKI-Präsident Lothar Wieler warnte: „Es ist fünf nach zwölf.“ In etlichen Landkreisen seien Kliniken und Intensivstationen an der Kapazitätsgrenze.

RKI-Präsident Lothar Wieler warnte: „Es ist fünf nach zwölf.“ In etlichen Landkreisen seien Kliniken und Intensivstationen an der Kapazitätsgrenze.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

In diesen Tagen der vierten Corona-Welle folgt ein Negativrekord auf den nächsten. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag am Freitag bei 263,7 und erreichte damit den fünften Tag in Folge einen neuen Höchstwert. Zahlreiche Landkreise haben bei den Inzidenzen inzwischen die 1000er Marke gerissen. Kliniken und Intensivstationen kommen in einigen Regionen an ihre Kapazitätsgrenzen. „Es ist fünf nach zwölf“, sagte Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, am Freitag in Berlin. Man müsse davon ausgehen, dass sich die Situation in ganz Deutschland weiter verschärfen werde. Diese Entwicklung sei ohne zusätzliche Maßnahmen nicht mehr aufzuhalten. „Die vierte Welle trifft uns jetzt mit voller Wucht.“

Die Frage, wie diese zusätzlichen Maßnahmen konkret aussehen können, beherrscht derzeit die politische Debatte. Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) drang auf ein schnelles Gegensteuern. Spahn sprach sich für die Einführung der 2G-Plus-Regel bei öffentlichen Veranstaltungen aus - also Zugang nur für Geimpfte und Genesene, die zusätzlich einen aktuellen Negativ-Test vorweisen können. Die 3G-Regel alleine werde nicht mehr ausreichen, zumal diese zu oft nicht kontrolliert worden sei, so Spahn. „Das können wir uns nicht mehr erlauben.“ Der CDU-Politiker sprach sich auch für eine zusätzliche Testpflicht für Beschäftigte und Besucher in Pflegeeinrichtungen aus.

Um das Impftempo zu erhöhen, sollen Ärzte künftig höhere Vergütungen pro Impfung erhalten. Spahn kündigte an, dass statt der bisherigen 20 Euro künftig 28 Euro pro Impfung gezahlt werden, außerdem soll es einen Wochenendzuschlag von acht Euro geben. Eine entsprechende Verordnung soll am Dienstag in Kraft treten.

Im Ringen um den richtigen Kurs in der Pandemiepolitik macht die Unionsfraktion im Bundestag nun einen neuen Vorstoß. Nach dem Willen der Fraktion soll der Bundestag erneut die epidemischen Lage von nationaler Tragweite feststellen. Der entsprechende Antrag, den die Fraktion für kommenden Donnerstag zur Beratung und Abstimmung im Bundestag anmelden will, liegt unserer Redaktion exklusiv vor. Wird der Bundestag nicht erneut tätig, würde die aktuell noch geltende epidemische Lage zum 25. November auslaufen - so sehen es SPD, Grüne und FDP vor. Gegen diesen Kurs der Ampel-Parteien richtet sich nun die Union: Nach ihrem Vorschlag würde die epidemische Lage gemäß Gesetz für weitere drei Monate gelten, also bis 25. Februar 2022.

Die Unionsfraktion begründet ihren Antrag mit dem dramatischen Anstieg der Neuinfektionen. „Der Anstieg umfasst dabei alle Indikatoren: die Neuinfektionen, den R-Wert, die Quote positiver PCR-Tests, die Sieben-Tage-Inzidenz, die Hospitalisierungen und die notwendigen Behandlungen auf den Intensivstationen, von denen 51 Prozent beatmet werden müssen“, heißt es in dem Papier. Auch die Zahl der Todesfälle sei in den vergangenen Wochen wieder angestiegen. Die drohende Überlastung des Gesundheitssystems könne „weiterhin nicht ausgeschlossen werden“, heißt es weiter.

Laut dem Vizefraktionsvorsitzenden Thorsten Frei (CDU) sei besonders für die Länder ein „tragfähiges, rechtliches Instrumentarium“ notwendig. „Die Ampel-Parteien hebeln das nun aus, ohne für adäquaten Ersatz zu sorgen“, sagte Frei unserer Redaktion. „Die Lage hat das Fortbestehen der epidemischen Lage noch nie so sehr gerechtfertigt wie jetzt.“ Laut Frei könnten nach dem Ampel-Vorschlag die Länder über die Corona-Grundregeln (Pflicht zum Tragen von Mund-Nase-Schutz, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen) hinaus keine weitergehenden Maßnahmen erlassen. Er nannte etwa Schulschließungen oder Beschränkungen in öffentlichen Einrichtungen. Diese Möglichkeiten will die Unionsfraktion nun wieder schaffen.

In der kontroversen Bundestagsdebatte am vergangenen Donnertag hatten die Ampel-Parteien die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes gegen Unions-Kritik verteidigt. Laut der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt seien Maßnahmen notwendig, die sowohl wirksam als auch rechtssicher sind. Es sei nicht sinnvoll, Regelungen zu beschließen, die anschließend von den Gerichten wieder gekippt würden. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, kritisierte, dass bewusst Missverständnisse geschürt werden. Niemand würde behaupten, mit dem geplanten Auslaufen der epidemischen Notlage sei Corona vorbei. Behauptet werde, SPD, Grüne und FDP wollten nicht die nötigen robusten Maßnahmen ergreifen. „Dass das alte Maßnahmenpaket nicht so bleiben konnte, wie es war, ist eine Frage der Wahrhaftigkeit“, sagte Buschmann. Das bisherige Vorgehen sei nicht mehr rechtssicher.

Der geschäftsführende Gesundheitsminister Spahn sprach am Freitag hingegen erneut für das Fortbestehen der epidemischen Lage aus. Es gehe darum, für die Länder, Kommunen und örtlichen Behörden einen Rahmen zu schaffen, um bei Bedarf weitergehende Corona-Maßnahmen erlassen zu können. Zugleich räumte Spahn die Schwierigkeiten der Pandemiebewältigung im Übergang von der alten zur neuen Regierung ein. „Wir müssen wieder eine gemeinsame Sprache finden und zu einem gemeinsamen Handeln kommen, um Leid zu verhindern, um eine Überlastung unseres Gesundheitswesens zu verhindern und um die Bevölkerung mitzunehmen auf diesem schweren Weg“, sagte Spahn.

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