60 Jahre Bundesverfassungsgericht Richterbund-Chef kritisiert Karlsruhe

(RP). Besonders durch seine bahnbrechenden Entscheidungen zu den Grundrechten erwarb sich das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sein hohes Ansehen bei den Bürgern. Am Mittwoch feiert das Bundesverfassungsgericht 60-jähriges Bestehen.

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Foto: AP

Karlsruhe "Ich gehe bis nach Karlsruhe" — der Satz wurde im Laufe der Jahrzehnte zum geflügelten Wort. Er steht für großes Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) als Hüter von Grundgesetz und Grundrechten. Am 28. September 1951 wurde das höchste deutsche Gericht gegründet. Seine Rechtsprechung zur Auslegung von Grundrechten wie Meinungs-, Berufs- oder Religionsfreiheit, zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht war teilweise bahnbrechend.

Präsident Andreas Voßkuhle repräsentiert nicht nur ein Gericht, sondern auch ein oberstes Verfassungsorgan neben Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung. Die jeweils acht Richterinnen und Richter in den beiden Senaten verfügen über eine enorme Macht.

Sie können ein beschlossenes Gesetz für null und nichtig erklären, falls es nach ihrem Urteil mit dem Grundgesetz kollidiert. Das Bundesverfassungsgericht kann durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit politische Parteien verbieten (so geschehen mit der SRP 1952 und der KPD 1956); es kann das Staatsoberhaupt bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Verfassung aus dem Amt entfernen.

"Karlsruhe" kann dem Gesetzgeber "Beine machen", ihm aufgeben, ein mit der Verfassung nicht kompatibles Gesetz innerhalb einer bestimmten Frist zu ändern. Beispiel aus jüngster Zeit: die Weisungen zur Reform der Sicherungsverwahrung. In einem Kompetenzstreit zwischen Bund und Bundesländern darüber, welche staatliche Ebene in einer bestimmten Angelegenheit entscheidungsbefugt ist, heißt es ebenfalls: "Karlsruhe, übernehmen Sie."

Den höchsten Respekt unter allen obersten Verfassungsorganen erwarb sich das BVerfG durch seine Grundrechte-Interpretationen, die nicht selten verfassungsrechtliches Neuland schufen. Bürger haben ein Recht auf Verfassungsbeschwerde. Damit kann ein jeder geltend machen, durch staatliche Gewalt in einem oder in mehreren Grundrechten verletzt worden zu sein. Das Instrument der Verfassungsbeschwerde gibt wie kein anderes Rechtsinstrument das Gefühl, staatlichen Eingriffen nicht wehrlos ausgeliefert zu sein.

Verfassungsbeschwerden belasten das Gericht stark. 2010 waren von knapp 6500 anhängigen Verfahren beim BVerfG ungefähr 97 Prozent Verfassungsbeschwerden. Dass sich der Anteil positiv beschiedener Beschwerden stets zwischen zwei und drei Prozent hält, belegt nach Ansicht von Präsident Voßkuhle, dass der Gesetzgeber gefordert ist. Voßkuhle hat eine Gebühr gegen Mutwilligkeit vorgeschlagen, um eine finanzielle Hürde gleich am Eingang des BVerfG zu errichten.

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, sagte dazu, das Ansehen des Gerichts sei derart hoch, dass man den Zugang nicht durch finanzielle Hürden wie eine "Mutwillensgebühr" zwischen 50 und 5000 Euro einschränken sollte. Das Jedermann-Recht der Verfassungsbeschwerde stehe für die rechtsstaatliche Grundqualität des Staates insgesamt, und es habe dem Gericht selbst zu hohem Respekt in der Bevölkerung verholfen.

Das Gericht müsse so ausgestattet werden, dass durch wirksame Vorprüfungsverfahren offensichtlich unbegründete oder nur querulatorische Verfassungsbeschwerden aus der Flut der Beschwerden zur Entlastung der beiden Senate ausgesiebt werden können.

(RP)
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