Vorgezogener Ruhestand mit 63 Fit und trotzdem früh in Rente

Berlin · Die Gruppe der Arbeitnehmer, die ihren Renteneintritt allein wegen des attraktiven Angebots der abschlagsfreien Rente mit 63 vorziehen, ist mit 60.000 pro Jahr größer als erwartet. Sie verursacht den größten Kostenanteil für die Frührente.

Rente mit 63: Mehr als erwartet in Anspruch genommen
Foto: Radowski

Die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren wird häufiger als bisher von der Bundesregierung erwartet von Arbeitnehmern in Anspruch genommen, die gesundheitlich betrachtet noch länger hätten arbeiten können. Den beispielsweise viel zitierten älteren Maurer mit Rückenproblemen gibt es in der Realität demnach seltener als vermutet.

Die Zahl der "Vorzieher", wie jene Arbeitnehmer genannt werden, die ohne die Rente ab 63 bis zur Regelaltersgrenze von 65 erwerbstätig geblieben wären, ist nach einer Schätzung der Bundesregierung größer als bislang angenommen. Pro Jahr könnten 60 000 ältere Arbeitnehmer und damit rund 10.000 mehr als bisher erwartet in die Gruppe der "Vorzieher" fallen, geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des Grünen-Sozialpolitikers Markus Kurth hervor, die unserer Redaktion vorliegt.

Seit dem 1. Juli 2014 können Arbeitnehmer, die 45 Jahre in die Rentenversicherung einbezahlt haben, die abschlagsfreie Rente ab 63 in Anspruch nehmen. Dabei werden auch Zeiten des Bezugs von regulärem Arbeitslosengeld berücksichtigt. Der Rentenbeginn für die abschlagsfreie Altersrente erhöht sich schrittweise bis 2029 auf 65 Jahre.

Rente mit 63: Mehr als erwartet in Anspruch genommen
Foto: Radowski

Die Bundesregierung rechnet mit jährlich 200 000 Arbeitnehmern (ohne freiwillig Versicherte), die die Rente mit 63 beantragen. Schon vor ihrer Einführung gingen aber jährlich bereits etwa 150 000 Arbeitnehmer mit 63 Jahren in Rente; dafür mussten sie aber Kürzungen ihrer Ruhestandsbezüge in Kauf nehmen.

Es gibt aber seit dem 1. Juli 2014 viele Ältere, für die das Angebot der abschlagsfreien Rente schon mit 63 so verlockend ist, dass sie früher in den Ruhestand gehen als geplant. Diese "Vorzieher", die keine besonderen gesundheitlichen Gründe für den frühen Rentenbeginn haben, verursachen auch noch den Großteil der Kosten der Rente ab 63. Zu den bisher geschätzten 50 000 "Vorziehern" dürften weitere 10 000 hinzukommen, "wodurch sich der Anteil des Vorzieheffekts bei den Kosten von 80 Prozent auf 85 Prozent erhöhen würde", heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf Anfrage des Grünen-Politikers.

Der hohe Kostenanteil der "Vorzieher" erklärt sich so: Diese Personen hätten ohne die Rente mit 63 bis zu ihrem regulären Renteneintrittsalter von 65 Jahren gearbeitet, weil ihnen die bisherigen Abschläge zu hoch waren. Für sie muss die Rentenkasse nun aber die volle Rente früher als bisher bezahlen. Nicht als "Vorzieher" gelten Arbeitnehmer, die auch ohne die neue abschlagsfreie Rente schon mit 63 Jahren in den Ruhestand gegangen wären und dafür Abschläge in Kauf genommen hätten. Für sie muss die Rentenkasse seit Juli 2014 die volle Anspruchsrente zahlen, weil Abschläge wegfallen, wenn sie 45 Beitragsjahre nachweisen. Diese Kosten sind geringer.

Bislang kalkuliert die Bundesregierung bei der Rente mit 63 im ersten Jahr, also für 2014, mit Mehrkosten für die Rentenversicherung von rund einer Milliarde Euro. Ab 2015 werden es rund zwei Milliarden Euro pro Jahr sein. Die "Vorzieher" kosten demnach im ersten Jahr 850 Millionen Euro und ab 2015 rund 1,7 Milliarden Euro.

"Ein Großteil der Ausgaben für die Rente ab 63 geht an Personen, die ansonsten über das 63. Lebensjahr hinaus gearbeitet hätten", kritisiert Grünen-Politiker Kurth. "Der vielbeschworene Dachdecker mit den kaputten Knien hingegen macht nur einen Bruchteil der Kosten dieser neuen Rentenart aus." Aber genau an dieser Stelle hätte der größte sozialpolitische Handlungsbedarf bestanden. "Personen mit körperlichen Einschränkungen erhalten viel zu häufig eine Rente, die nicht zum Leben reicht. Hier hätte die große Koalition klare Prioritäten setzen müssen", sagt Kurth. Stattdessen schicke sie reihenweise gesunde ältere Fachkräfte in Rente, die in der Industrie benötigt würden.

Im Rahmen ihres Rentenpakets hatte die Bundesregierung auch Verbesserungen für Erwerbsgeminderte beschlossen. Diese fielen mit einer durchschnittlichen Erhöhung um 40 Euro pro Monat allerdings mager aus. Vor der Reform waren die Erwerbsminderungsrenten auf nur 607 Euro durchschnittlich gesunken, nachdem sie 2001 noch bei 676 Euro gelegen hatten.

(mar/qua)
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