Analyse Die teuerste Rentenreform seit Adenauer

Berlin · Die Rente ab 63 ist eine Wiedergutmachung der SPD für ihre Klientel, die Rente ab 67 und Agenda 2010 ertragen musste. Die Ausweitung der Mütterrente ist auf einen Kuhhandel der Frauenunion zurückzuführen.

So funktioniert die Rente mit 63
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Noch vor der Sommerpause will der Bundestag eine Rentenreform verabschieden, die in die Geschichte eingehen wird: Das Rentenpaket ist die teuerste Maßnahme auf diesem Feld seit der Adenauer-Ära, als das umlagefinanzierte System eingeführt wurde. Das Rentenpaket, das seit Anfang des Jahres mit einer aufwendigen Kampagne von der Bundesregierung beworben wird, kostet dem Gesetzentwurf zufolge allein bis zum Jahr 2030 rund 160 Milliarden Euro, die aus der Rentenkasse finanziert werden sollen.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die Kosten mit rund 233 Milliarden Euro noch deutlich höher liegen. So macht die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgebern finanziert wird, eine umfassendere volkswirtschaftliche Rechnung auf und bezieht in ihre Analyse unter anderem auch den Wegfall von Sozialversicherungsbeiträgen und sinkende Steuereinnahmen ein. Dadurch kommt die deutlich höhere Summe zustande.

Die geplanten Gesetzesänderungen stellen eine Kehrtwende in der Rentenpolitik dar. Diese war in den vergangenen zehn Jahren darauf ausgerichtet, angesichts der steigenden Lebenserwartung und der schmaler besetzten jüngeren Jahrgänge das durchschnittliche Renteneintrittsalter zu erhöhen. Die Rente ab 67 war in diesem Zusammenhang das wichtigste Gesetz. Die Regelung führt dazu, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter schrittweise erhöht wird. Der Jahrgang 1964 und alle Jüngeren müssen bis zum 67. Geburtstag erwerbstätig bleiben, um abschlagsfrei in Rente gehen zu können.

Die Neuregelung zur Rente ab 63 konterkariert die Pläne. Sie gestattet Arbeitnehmern mit langjährigen Versicherungszeiten, schon mit 63 abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Durch die geplante Anrechnung von Arbeitslosenzeiten müssen noch nicht einmal 45 Jahre Beitragszeiten nachgewiesen werden. Die Frage, in welchem Umfang Arbeitslosenzeiten auf die 45 Versicherungsjahre angerechnet werden, ist der am meisten umstrittene Punkt in der großen Koalition beim Rentenpaket.

"Das Rentenpaket macht die bisherigen Anstrengungen zur Sicherung der langfristigen Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung in großen Teilen zunichte", kritisierten gestern die Arbeitgeber während der Anhörung im Sozialausschuss. "Die Mehrausgaben der Rentenversicherung durch das Rentenpaket werden für lange Zeit höher liegen als die Einsparungen durch die Rente mit 67", schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in ihrer Stellungnahme.

Es ist kein Zufall, dass das Rentenpaket der Regierung die für die Sicherung der Renten positiven Effekte wieder kassiert. Die Sozialdemokraten führen einen Teil ihrer anhaltend schlechten Wahlergebnisse auf die unter Kanzler Gerhard Schröder eingeleiteten Sozialreformen zurück. Die Gesetzesneuerung zur Rente ab 67, die dann unter der großen Koalition verabschiedet wurde, wird von der SPD- Kernklientel, Gewerkschaften und Sozialverbänden ähnlich kritisch bewertet wie Schröders Agenda 2010. Aus diesem Grund ist die Rente ab 63 zu einem Identifikationsthema der Sozialdemokraten in der Regierung geworden.

So soll die Mütterrente funktionieren
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Zudem verführen die prall gefüllten Sozialkassen die Politik, Wohltaten zu beschließen. Dank der anhaltend guten Konjunktur sind die Rücklagen in der Rentenversicherung so üppig, dass trotz der geplanten Mehrausgaben in dieser Wahlperiode keine Erhöhung des Beitragssatzes notwendig wird. Verschwiegen wird allerdings, dass die eigentlich fällige Senkung des Beitragssatzes zu Beginn des Jahres ausblieb. Dies hatte die große Koalition eilig beschlossen, um die Mütterrente in den kommenden Jahren finanzieren zu können.

Auch bei der Ausweitung der Mütterrente verlässt die Regierung die Linie der vergangenen 20 Jahre, die darauf ausgerichtet war, eine Balance zu schaffen zwischen den Belastungen für Ältere und für Jüngere. Ausweitungen von Sozialleistungen hat die Regierung in den vergangenen Jahren meistens nur vorgenommen, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen wurde. Dies galt auch für die Mütterrente, die nach dem sogenannten Trümmerfrauen-Urteil eingeführt wurde. 1992 urteilten die Richter, dass auch Erziehungsleistungen in der Rente berücksichtigt werden müssten. Seitdem wird ein Rentenpunkt pro Kind für alle vor 1992 geborenen Kinder gutgeschrieben und drei Rentenpunkte für alle ab 1992 geborenen Kinder. Für die Kinder ab 1992 fließen zusätzliche Steuermittel in die Rentenkasse, als ob tatsächlich für sie eingezahlt würde.

Seit damals besteht aus der Frauenunion die Forderung, auch für die älteren Mütter drei Rentenpunkte gutzuschreiben. In der Öffentlichkeit war diese Forderung kein großes Thema. Dass für die älteren Frauen nun doch ein weiterer Rentenpunkt hinzukommt, ist einem Kuhhandel zwischen den Unionsfrauen und Fraktionschef Volker Kauder aus der vergangenen Wahlperiode zu verdanken: Damals wollten die Unionsfrauen gegen den Widerstand eines großen Teils der Partei die Frauenquote durchsetzen. Zugleich war eine Mehrheit von ihnen gegen das Betreuungsgeld eingestellt. Kauder brachte sie dazu, dem Betreuungsgeld zuzustimmen und die Pläne zur Frauenquote ruhenzulassen, im Gegenzug versprach er, dass es dafür bei der Mütterrente Bewegung geben werde.

Am Ende wurde die Mütterrente zum Wahlkampfschlager der CDU. Ältere Frauen, die ihren Beruf für die Kindererziehung aufgegeben haben, gehören zur Kernwählerschaft. Die Mütterrente hat auch eine emotionale Komponente: Sie gilt als gesellschaftliche Anerkennung für die Erziehungsleistungen.

(qua)
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