Nach Razzia in elf Bundesländern Das sagt die Welt zum vereitelten Staatsumbruch

Düsseldorf · Bei der Großrazzia in elf Bundesländern wurden am 7. Dezember 25 Personen festgenommen. Die Bundesanwaltschaft hat keine Zweifel daran, dass das Netzwerk, zu dem unter anderem Reichsbürger zählen, den Staatsumsturz plante. Das sagt die internationale Presse zu dem Fall.

Reichsbürger-Gruppe plante den Staatsumsturz
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Reichsbürger-Gruppe plante den Staatsumsturz

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Foto: dpa/Boris Roessler

Die Razzia in elf Bundesländern war Thema in fast allen Medien – national, aber auch international. An dieser Stelle sammeln wir internationale Pressestimmen zum vereitelten Staatsstreich in Deutschland.

„Neue Zürcher Zeitung“, Schweiz

„Auch wenn die Aufregung über die mutmaßliche Reichsbürger-Verschwörung, die Sicherheitsbehörden aufgedeckt haben, groß ist: Ein Umsturz oder Bürgerkrieg steht in Deutschland wahrlich nicht bevor. Die Wahnvorstellungen einiger sektiererischer Ewiggestriger sind für die überwältigende Mehrheit der Deutschen in keiner Weise nachvollziehbar. Verfassungsschützer rechnen der gesamten Reichsbürger-Szene rund 21 000 Personen zu, das sind 0,025 Prozent der Bevölkerung.

Gleichwohl gibt es Punkte, über die man sich Sorgen machen muss, und Fragen, die sich stellen. Punkt eins betrifft die Gefahr, die von radikalisierten Mitgliedern extremistischer Bewegungen ausgeht: Terror ist immer möglich. Eine offene Gesellschaft, ein demokratisch-zugängliches Regierungsviertel, die Verkehrs- und Energieinfrastruktur für 83 Millionen Menschen lassen sich nicht permanent schützen.“

„La Vanguardia“, Spanien

„3000 Polizisten waren im Einsatz, um ein rechtsextremes Komplott gegen die Bundesregierung zu zerschlagen. Es ist noch zu früh, die Ziele der Beteiligten sowie ihre Erfolgsaussichten einzuschätzen. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass wir vor einer gefährlichen Verschwörung stehen. Eine Verschwörung, die nicht überraschend kommt, weil sie Teil der wachsenden rechtsextremen Bewegungen in Europa und von Netzwerken ist, die Verschwörungstheorien aus den USA und von in Russland sitzenden Vergiftungsnetzwerken verbreiten.

Hinweise gibt es. Giorgia Meloni, Bewunderin Mussolinis, regiert in Italien. Die rechtsextremen Schwedendemokraten wurden zur zweitgrößten Kraft im Parlament. Ungarn und Polen haben illiberale Regierungen. Marine Le Pen kam bei der Präsidentschaftswahl auf 41 Prozent.

Auch die Anhänger von Verschwörungstheorien leben seit Jahren unter uns. Die einen kauen den Schwachsinn von QAnon wieder, andere sind Impfgegner oder Leugner der Klimakrise. Deutschland und die EU müssen ohne Zögern auf diejenigen reagieren, die ihre Gründungsprinzipien angreifen und verhindern, dass sich junge, eher uninformierte Menschen den antidemokratischen Kräften zuwenden.“

„Independent“, Großbritannien

„Die Bundesrepublik feiert im Jahr 2024 ihr 75-jähriges Bestehen - die längste ununterbrochene Periode liberal-demokratischer Regierung in der deutschen Geschichte. Aber auch Völkermorde, Revolutionen, Kriege und Besetzungen waren Teil der deutschen Geschichte - und sind noch in lebendiger Erinnerung. Die Demokratie, die nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung 1990 auf den Osten ausgedehnt wurde, ist auch im neuen Deutschland keine Selbstverständlichkeit.

Die Möchtegern-Revolutionäre mögen durch das, was sie am 6. Januar 2021 in Washington sahen, ermutigt, wenn nicht gar inspiriert worden sein. Die Vorstellung, dass der Sitz der Macht und die entscheidenden Organe des Staates von einigen wenigen bewaffneten Aktivisten eingenommen werden können, muss für sie sowohl verlockend als auch berauschend sein. Es mag sie auch an die Art und Weise erinnert haben, wie die Nazis in den 1920er Jahren ebenfalls direkte Aktionen einsetzten, um Aufmerksamkeit zu erregen, Märtyrer zu schaffen und den Staat zu destabilisieren.“

„Financial Times“, Großbritannien

„Die deutsche Demokratie erfreut sich bester Gesundheit. Sie ist eines der robustesten Systeme in der westlichen Welt und war seit der Geburt des modernen Nationalstaats im Jahr 1871 in Deutschland wohl noch nie so stark wie jetzt. ... Extremisten wie die in dieser Woche Verhafteten haben keine Vertretung im Bundestag und praktisch keine öffentliche Unterstützung. Selbst die weniger extreme, aber rechtsradikale Partei Alternative für Deutschland musste bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr einen Stimmenverlust hinnehmen.“

„Ukrajinska Prawda“, Ukraine

„Obwohl die ersten Einzelheiten der Ermittlungen gerade erst bekannt werden, ist in diesem Fall bereits eine 'russische Spur' erkennbar. Insbesondere stellte sich heraus, dass der geplante neue 'Chef' von Deutschland mit russischen Offiziellen Kontakt aufgenommen hatte, um Unterstützung für seine Pläne zu erhalten. ... Letzteres ist ein äußerst wichtiges Detail. Den Ermittlungen zufolge nahm Heinrich XIII. mit Hilfe einer russischen Staatsbürgerin namens Vitalia B. (die als Unterstützerin festgenommen wurde) Kontakt zu russischen Beamten in Deutschland auf. Wie erfolgreich die Verhandlungen für ihn waren, ist nicht bekannt.“

„Pravda“, Slowakei

„Hier geht es nicht mehr nur um einzelne Spinner, die durch soziale Medien verwirrt wurden. Das Internet hilft zwar Desinformation und Verschwörungstheorien zu verbreiten und streut den Samen aus, der dann aufgeht, ist dafür aber nur ein Mittel. Der eigentliche Nährboden ist die ideelle Auszehrung in Europa. Europa hat sein Ethos verloren. Wirtschaftlich ist es zwar verbunden, aber die Vereinigung der Bürger ist in eine Sackgasse geraten.

In der Politik sind nur Durchschnittliche ohne Charisma und Ideen willkommen, die lauwarme Kompromisslösungen anbieten. Wundern wir uns nicht, dass geistig ausgehungerte Menschen nach allem Möglichen greifen.

Das ist der Nährboden für verschiedene extremistische Bewegungen, die sich historisch, religiös oder nationalistisch orientieren und den einsamen Geistern Hoffnung, Lösungen, falsches Heldentum und Identität anbieten. Wenn in Europa nicht neue inspirierende Ideen aufblühen, werden gefährliche Irre wie die „Reichsbürger“ noch mehr werden.“

„Lidove noviny“, Tschechien

„Es fällt schwer zu glauben, dass diese Gruppierung eine organisatorisch so anspruchsvolle Sache wie eine gewaltsame Machtübernahme im 80-Millionen-Land Deutschland bewältigt hätte. Das Ganze erinnert eher an den gescheiterten Bierkeller-Putsch in München vom November 1923.

Wenn wir nun lesen, dass die Reichsbürger einen Staat wie ein Fürstentum wollen, wirkt das mehr wie eine Parodie als eine ernste Gefahr für die Bundesrepublik, die als Symbol der Prosperität innerhalb der EU gilt. Viele werden sich sagen, dass das nur Spinner sind - und da ist einiges dran. (...)

Es ist gut, dass die deutsche Polizei die „Reichsbürger“ unter Kontrolle hat. Doch damit die Leute zu erschrecken, dass die nun aufgeflogene Gruppierung gewaltsam die Macht hätte übernehmen können, scheint übertrieben.“

„De Standaard“, Belgien

„Man geht davon aus, dass diese Gruppierung rund 20.000 Mitglieder und Sympathisanten hat, von denen etwa ein Zehntel gewaltbereit sein soll. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass sie bereits in der Lage gewesen sein sollte, ein Kernland und den wirtschaftlichen Motor der Europäischen Union ernsthaft zu gefährden.

Aber in Deutschland wiegt die Geschichte immer schwer. Der Gedanke an einen Angriff auf den Bundestag nach dem Vorbild der Erstürmung des US-Kapitols Anfang vergangenen Jahres weckt unwillkürlich Erinnerungen an den Reichstagsbrand von 1933, der die Machtergreifung der Nazis begünstigte. (...)

Die Versuchung ist groß, diese verworrenen Pläne herunterzuspielen. Damit würde sich eine Debatte darüber erübrigen, wann die Demokratie in Gefahr ist und die volle Kraft des Staates eingesetzt werden sollte. (...) Auch wenn es keine russische Beteiligung zu geben scheint, ist es besorgniserregend, dass für manche in Europa politische Gewalt wieder eine reale Option ist.“

„Gazeta Wyborcza“, Polen

„Das Ganze erscheint geradezu unglaublich, aber die Pläne der Verschwörer waren bereits weit fortgeschritten: Schon bald sollten im ganzen Land schlummernde Zellen einen Aufstand anzetteln, um die Militär- und Verwaltungsstrukturen zu übernehmen. Sie beabsichtigten sogar, den Bundestag zu stürmen.“

Anwalt und Historiker Ron Filipkowski auf Twitter, Ukraine

„Trumps ehemaliger Botschafter in Deutschland, (Richard) Grenell, sagt, er sei „äußerst skeptisch“ gegenüber der Verhaftung von 25 Mitgliedern einer rechtsgerichteten terroristischen Gruppe in Deutschland und verglich sie mit dem Sturm auf US-Kapitol am 6. Januar, bei der die Regierung es nur auf Menschen mit anderer Meinung abgesehen hat, die die (politische) Richtung des Landes nicht gutheißen.“

(mit dpa/Eurotopics)
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