Sozialpolitik am Pranger Regierung wehrt sich gegen UN-Bericht

Berlin (RPO). 2,5 Millionen Kinder in Deutschland sind arm. Die Zahl ist nicht neu. Aber sie stagniert auf hohem Niveau. Genau das und noch viel mehr wirft ein UN-Bericht der deutschen Bundesregierung in einer langen Mängelliste vor. Sozialverbände sehen sich in ihrer Sicht bestätigt. Die Regierung hingegen geht in die Offensive. Der Bericht sei "in weiten Teilen nicht nachvollziehbar".

Am Morgen sorgte ein Bericht des UN-Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR) für Unruhe im Land. Aus Sicht der 18 Autoren hat Deutschland im Kampf gegen Armut und Diskriminierung auf etlichen Feldern versagt. Zweimal im Jahr tagt der Ausschuss, der für den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen arbeitet, in Genf, zweimal im Jahr zieht er Bilanz. Mitglieder sind unter anderem Vertreter aus den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und Polen, wie auch China, Weißrussland oder Algerien.

Grundlage für die Bewertungen der UN sind die sogenannten Staatenberichte, die die Regierungen regelmäßig einreichen müssen. Hinzu kommen die Einschätzungen von nichtstaatlichen Organisationen wie zum Beispiel Brot für die Welt, Misereor oder auch Amnesty international. Während sich die Ausführungen des Staatssekretärs aus dem Sozialministerium wie eine Werbebroschüre für die Politik von Ursula von der Leyen lesen, fielen die Urteile der freien Organisationen offensichtlich grundlegend anders aus. Die Bilanz in dem UN-Papier fällt überwiegend scharf aus.

Schon seit Mai sind die Schlussfolgerungen des Ausschusses veröffentlicht und frei im Netz verfügbar. Zur Kenntnis genommen hat ihn die deutsche Öffentlichkeit erst jetzt. Dabei ist die Kritik des UN-Gremiums scharf und umfassend. Der Bericht listet in insgesamt 34 Einzelpunkten Mängel und Empfehlungen auf. Gleich mehrfach finden sich Formulierungen wie "tief besorgt", zudem geht der Ausschuss darauf ein, dass die deutsche Politik die bisherigen UN-Empfehlungen missachtet habe.

Unter anderem bemängelt der "5. periodische Report" die Diskriminierung von Migranten in Deutschland, zu geringe Anstrengungen in der Armutsbekämpfung insbesondere bei Kindern sowie die Benachteiligung von Frauen.

Migranten hätten immer noch Nachteile bei Bildung und Beschäftigung. Asylsuchenden würden ausreichende Sozialleistungen versagt, sie lebten in "unzulänglichem und überbelegtem Wohnraum". Dabei müssten sie den gleichberechtigten Zugang zu beitragsunabhängigen sozialen Sicherungssystemen, zur Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt bekommen.

Armut Die Grundsicherung von Hartz-IV-Empfängern gewährleiste "keinen angemessenen Lebensstandard". Besorgt äußert sich der UN-Unterausschuss auch darüber, dass weiterhin 2,5 Millionen Kinder in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze lebten. Kritisiert wird insbesondere, dass jeder vierte Schüler in der Bundesrepublik ohne Frühstück zur Schule gehe. Durch konkrete Maßnahmen müsse sichergestellt werden, dass Kinder aus armen Familien richtige Mahlzeiten erhalten.

Lage der Alten Der Ausschuss beklagt "tief besorgt" die Situation von Senioren in Wohneinrichtungen, die zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen und bei unsäglichen Rahmenbedingungen für die Pflege auskommen müssten. Die Bundesregierung habe in dieser Hinsicht versäumt, die notwendigen Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Arbeitslosigkeit Besorgt ist das UN-Gremium auch, dass die Arbeitslosigkeit im Osten immer noch doppelt so hoch sei wie im Westen. Positiv hervorgehoben wird in dem Bericht, dass die Arbeitsmarktreformen den niedrigsten Stand der Arbeitslosen in den vergangenen 20 Jahren ermöglicht hätten. Beklagt wird wiederum, dass Frauen in Entscheidungspositionen in Deutschland noch immer unterrepräsentiert seien.

Allerdings gibt es Zweifel an der Seriösität der Angaben. Wie tagesschau.de unter Berufung auf informierte Kreise berichtet, sollen die zusammengefassten Fakten nicht sauber recherchiert worden sein. Die Unausgewogenheit sei erkennbar, einige Zahlen veraltet.

Aus den Reihen der deutschen Sozialverbände schallt der Bundesregierung dennoch die Kritik entgegen. "Es ist beschämend, dass sich die Bundesregierung aufgrund ihrer verfehlten Sozialpolitik nun vor der Weltöffentlichkeit von den Vereinten Nationen am Ring durch die Manege ziehen lassen muss", wütet der Sozialverband Deutschland. Die brummende Wirtschaft verdecke eine stetig wachsende soziale Kluft in Deutschland.

Das Erwerbslosenforum diagnostiziert derweil eine "dramatische Verarmung und Diskriminierung von Menschen", der Kinderschutzbund bekräftigt seine Forderung nach einer Kindergrundsicherung vor, die präventiv und im Schulterschluss mit dem Gesundheitssystem wirken soll, die Linke will alle deutschen Sozialsysteme auf den Prüfstand zu stellen.

Das Bundesarbeitsministerium weist die Kritik an den sozialen Verhältnissen in Deutschland jedoch zurück. Die Feststellungen im vorläufigen Bericht des UN-Unterausschusses für Wirtschaft und Soziales sei "in weiten Teilen nicht nachvollziehbar und auch nicht durch wissenschaftliche Fakten belegt", erklärte das Ministerium am Mittwoch in Berlin. "Deutschland hat in den vergangenen Jahren auch im Sozialbereich eine positive Entwicklung gemacht, die weltweit hoch anerkannt ist."

Das Rentensystem sei demografiefest, Kinderbetreuung und Ganztagsschulen würden ausgebaut, außerdem entfalte das Bildungspaket seine Wirkung, hieß es in der Erklärung des Ministeriums. Der UN-Unterausschuss habe für seine zentralen Kritikpunkte weder wissenschaftlich zuverlässige Datengrundlagen noch Fakten aus der Stellungnahme der Bundesregierung im Bericht berücksichtigt.

(AFP/pst)
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