Bundestag sagt Ja, Bundesrat entscheidet noch Regierung droht die Hartz-IV-Pleite

Berlin (RPO). Die Sätze für Hartz IV-Empfänger werden steigen, hat der Bundestag am Freitag nach einem heftigen Schlagabtausch mit Sitzungsunterbrechung beschlossen. Eine Überraschung ist das nicht. Doch die eigentliche Hürde steht noch bevor. Am 17. Dezember entscheidet der Bundesrat über das viel diskutierte Gesetz. Dabei wird es vor allem auf das Saarland ankommen.

Die neuen Hartz-IV-Regelsätze
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Foto: ddp

Das kleine Bundesland ist das Zünglein an der Waage, wenn es für Schwarz-Gelb darum geht, das Gesetz auch im Bundesrat durchzuboxen. SPD und Linke warnten schon am Donnerstag die saarländischen Grünen, der Regierung eine Mehrheit bei der Abstimmung am 17. Dezember im Bundesrat zu verschaffen. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann fürchtete gar einen "schmutzigen Deal" zwischen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und den Grünen, die im Saarland in einer Jamaika-Koalition mit an der Macht beteiligt sind.

Im Bundestag setzte die Arbeitsministerin ihren Entwurf durch. So sollen Hartz-IV-Empfänger ab Januar monatlich fünf Euro mehr bekommen. Bei der namentlichen Abstimmung durfte keiner der Abgeordneten fehlen, alle stimmten mit Ja oder Nein ab: 302 von CDU/CSU und FDP dafür, 255 von SPD, Linken und Grünen dagegen.

Kritik an der Bürokratie

Das bedeutet, Erwachsene erhalten in Zukunft 364 Euro, für bedürftige Kinder gibt es ein Bildungspaket. Bevor es allerdings zur Abstimmung kam, attackierte die Opposition die Ministerin und bezeichnete die Anhebung der Hartz-Sätze als zu gering und das Kinder-Bildungspaket als zu bürokratisch. Die Linke nannte die Pläne zudem verfassungswidrig.

SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Regierung vor, das Geld zu "verkleckern". Stattdessen solle es in die Institution Schule und Betreuung investiert werden. Seine Fraktionskollegin Elke Ferner nannte die Bürokratiekosten absurd hoch. Die neue Festlegung der Regelsätze auf 364 Euro sei zudem willkürlich.

Von der Leyen entgegnete, der neue Regelsatz für Erwachsene von 364 Euro im Monat und die Zuschüsse für Miete, Heizung, Kranken- und Pflegeversicherung deckten das Existenzminimum. Mit dem Bildungspaket komme die Hilfe direkt bei den Kindern an. Kritik an der damit verbundenen Bürokratie wies die Ministerin zurück.

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi rügte, die Regelsätze seien nach Haushaltslage ermittelt worden und nicht nach Bedarf: "Das wird Ihnen das Verfassungsgericht nicht durchgehen lassen." Gysi kritisierte auch, dass keine Ausgaben für Tabak und Alkohol mehr vorgesehen seien.

Der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth nannte die Union eine Dagegenpartei. "Sie sind dagegen, dass es in Hartz-IV-Haushalten einen Weihnachtsbaum gibt", sagte Kurth. Auch für Blumen zum Muttertag oder ein Eis im Sommer sei kein Geld mehr vorgesehen.

Bildungspaket als Paradigmenwechsel

Dagegen erinnerten von der Leyen und die FDP daran, dass sie ein Gesetz der Regierung Schröder korrigieren müssten, weil das Verfassungsgericht es im Februar für nichtig erklärt hatte. Inhaltlich verteidigten sie die neuen Hartz-Sätze als angemessen und das Bildungspaket als einen Paradigmenwechsel zugunsten der Kinder.

Das Bildungspaket im Umfang von 740 Millionen Euro soll rund zwei Millionen bedürftigen Kindern zu Gute kommen. Es sieht unter anderem Zuschüsse für Schulmaterial, Mittagessen in Schule und Kita sowie Freizeitaktivitäten vor. Die Verwaltung des Programms soll 135 Millionen Euro kosten.

Der FDP-Abgeordnete Pascal Kober sagte, es gehe darum, Kinder aus dem Teufelskreis der Sozialhilfebiografien ihrer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern herauszuholen.

Kritik von den Wohlfahrtsverbänden

Kritik kam allerdings nicht nur aus der Opposition im Bundestag, sondern auch von den Wohlfahrtsverbänden. Sie reagierten mit massiver Kritik und Enttäuschung auf das Ergebnis.

Die Diakonie sprach von einer "vertanen Chance" zur Existenzsicherung von Langzeitarbeitlosen und ihren Familien. Es entstehe der Eindruck, "dass sozial benachteiligten Menschen die selbstbestimmte Lebensführung verweigert wird, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gefordert hat", sagte Diakonie-Vorstand Kerstin Griese. Mit Blick auf benachteiligte Kinder reichten weder die neuen Regelsätze noch das Bildungspaket aus, um deren Chancen auf Bildung und Teilhabe zu verbessern.

Der Deutsche Caritasverband kritisierte, das Gesetz biete weiterhin keine Lösung für privat krankenversicherte Langzeitarbeitslose, die auch fortan die Kosten selbst tragen müssten. "Es kann nicht sein, dass Arbeitslose sich für die Bezahlung ihrer Krankenversicherung verschulden müssen", mahnte Caritas-Präsident Peter Neher. Er rief die Bundesregierung auf, den internen Streit zwischen Bundesgesundheitsministerium und Bundesarbeitsministerium zu beenden und nicht weiter auf dem Rücken der Arbeitslosen auszutragen.

Wegfall des Elterngelds

Sozialexperten haben vor dem Wegfall des Elterngelds für Hartz-IV-Empfänger gewarnt. Denn das wird ab Januar nicht mehr an Hartz-IV-Empfänger gezahlt.

Armen Kindern bringe die Entscheidung der Bundesregierung "riesige Probleme", sagte der auf Kindergesundheit spezialisierte Mediziner, Raimund Geene, am Freitag auf dem Kongress Armut und Gesundheit in Berlin. Nach seiner Einschätzung gibt es einen engen Zusammenhang zwischen der Finanzausstattung der Familien und der Gesundheit von Kindern. Arme Kinder hätten häufiger schlechtere Zähne, Sprachstörungen und Bewegungsschwierigkeiten.

Nach Ansicht von Geene löst das fehlende Elterngeld mehr Stress in armen Familien aus. "Mütter können sich wegen Geldsorgen weniger eng an ihre Kinder binden", sagte der Experte der Hochschule Magdeburg-Stendal. Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge wachsen in Deutschland rund 20 Prozent der Kinder unter "schwierigen Bedingungen" auf. 30 Prozent hätten keine feste Bindung zu ihren Eltern, sagte die Direktorin der Bundeszentrale, Elisabeth Pott.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband appellierte an die Bundesländer, die Reform im Bundesrat am 17. Dezember zu stoppen.

Wenn sich das Saarland enthält, kommt es vermutlich zu einem langwierigen Vermittlungsverfahren. Dennoch gelten die beschlossenen Leistungen unter Vorbehalt in jedem Fall ab Januar, weil die vom Verfassungsgericht gesetzte Frist zum Jahresende ausläuft.

(KNA/dapd/AP)
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