„Masterplan Migration“ Seehofers Reform der Asylklageverfahren droht zu platzen

Berlin · Sein „Masterplan Migration“ sei „praktisch vollständig umgesetzt“, verkündete Innenminister Seehofer im Sommer. Ja, er hat viel geschafft. Doch die Reform zur Entlastung der Verwaltungsgerichte bei Asylklagen könnte nun ausgerechnet an Bayern scheitern.

 Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat.

Horst Seehofer (CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der von der Bundesregierung geplanten Reform zur Beschleunigung von Asylklageverfahren droht das Aus. Ob das Vorhaben zur Entlastung der stark beanspruchten Verwaltungsgerichte in der aktuellen Legislaturperiode überhaupt noch eine Chance hat, ist nach dpa-Informationen unklar. Als Grund gilt Widerstand der bayerischen Landesregierung: Man fürchte dort statt der beabsichtigen Verringerung eine wachsende Zahl von Klagen, ist aus der Unionsfraktion in Berlin zu hören.

In München selbst gibt man sich ahnungslos: Dort seien die entsprechenden Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nicht bekannt, heißt es auf Nachfrage. Das ist allerdings kaum vorstellbar, schließlich ist der vor rund einem Jahr vom Bundesinnenministerium vorgelegte Entwurf längst durchgesickert und online veröffentlicht. Er wurde innerhalb der Bundesregierung diskutiert, doch inzwischen stecken die Gespräche fest.

Anlass für Seehofers Vorstoß war die starke Belastung der Verwaltungsgerichte mit Asylklagen. Etwa jeder zweite Schutzsuchende zog zuletzt vor Gericht; entweder, um einen ablehnenden Asylbescheid anzufechten oder um sich einen besseren Schutzstatus mit mehr Rechten zu erstreiten. Deutschlandweit warteten zum Jahreswechsel 273 681 Menschen auf eine Entscheidung. Allein am Berliner Verwaltungsgericht war knapp jedes zweite der Ende Februar anhängigen 20 707 Verfahren eine Asylklage. Jede der 40 Kammern beschäftige sich mit Asylverfahren, einige sogar nahezu ausschließlich, sagt ein Sprecher.

So paradox es klingt: Die hohe Belastung liegt nach Einschätzung von Ministerium und Fachpolitikern auch daran, dass die Möglichkeiten für Betroffene, sich durch die Instanzen zu klagen, im Asylrecht aktuell stark eingeschränkt sind. Ein einzelnes Verfahren ist so vielleicht schneller abgeschlossen, aber jeder Richter fängt beim nächsten Fall wieder von vorne an. Bis hoch zum Bundesgerichtshof kann man nur klagen, wenn es um Formalien des Asylverfahrens geht. Die Bewertung der Lage im Herkunftsland durch die Richter der unteren Instanzen steht aber nicht mehr auf dem Prüfstand.

Das will der Entwurf ändern. Die Bewertung der Lage im Herkunftsland sei für „eine größere Zahl von Personen relevant“, heißt es dort. Ähnlich ist es bei der Frage, ob Schutzsuchende nach den Dublin-Regeln in einen anderen europäischen Staat zurückgeschickt werden können.

Das Bundesverwaltungsgericht als oberste Instanz soll deshalb in einer Revision Leitentscheidungen zur Lage im Herkunftsland treffen und den unteren Gerichten so Orientierung geben können.

Der Deutsche Richterbund (DRB) verspricht sich viel von dieser Möglichkeit. „Bisher bewerten die Verwaltungsgerichte vergleichbare Sachverhalte regional mitunter sehr unterschiedlich“, sagt DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. „Höchstrichterliche Leitentscheidungen zu Grundsatzfragen könnten hier die Rechtsprechung vereinheitlichen. Das liegt im Interesse aller Beteiligten, weil es frühzeitig Rechtsklarheit schafft und es erleichtert, die Erfolgsaussichten einer Klage besser abschätzen zu können.“

Auch von Union und SPD im Bundestag kommt Zuspruch. Die langen Gerichtsverfahren seien ein Unding, meint der innnenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU): „Dies ist keine zufriedenstellende Situation und führt oftmals zu einer Verstetigung des Aufenthalts, bevor eine rechtliche Entscheidung in der Sache getroffen wurde.“

Sein Gegenüber von der SPD, Ute Vogt, wirbt ebenfalls für die Pläne. „Wir wollen, dass die asylrechtlichen Verfahren bei den Verwaltungsgerichten beschleunigt und künftig zügiger durchgeführt werden können. Dies können wir mit der erweiterten Möglichkeit der Zulassung von Rechtmitteln erreichen“, sagt sie. Leitentscheidungen könnten zu „mehr Rechtssicherheit und auch Gerechtigkeit für alle Betroffenen führen“.

Die fachpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, hält eine Reform ebenfalls für überfällig, allerdings eher, um den Rechtsschutz für Asylsuchende zu verbessern. „Um die Gerichte zu entlasten, sollte das Bamf angewiesen werden, ablehnende Bescheide vermehrt eigenständig zu überprüfen und sie gegebenenfalls zugunsten der Asylsuchenden zu korrigieren, wenn gegen sie geklagt wird.“

Das Vorhaben, das Bundesverwaltungsgericht die Lage im Herkunftsland einschätzen zu lassen, lehnt Jelpke hingegen strikt ab: „Damit wird der Anschein erweckt, dass sich Fragen zur Situation in den Herkunftsländern abschließend klären ließen. Das ist aber nicht der Fall, denn die Sicherheitslage entwickelt sich dynamisch und muss tagesaktuell eingeschätzt werden, so das Bundesverfassungsgericht.“

Doch ob es überhaupt dazu kommt, ist ohnehin völlig unklar. Oder, in den dürren Worten eines Ministeriumssprechers: „Die entsprechenden Abstimmungen, in welcher Form der Gesetzentwurf weiterverfolgt werden soll, dauern noch an.“ Ende offen.

(ala/dpa)
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