Türkei So reagieren deutsche Politiker auf die Drohungen

Berlin · Im Angesicht des Streits um verhinderte Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland und den Niederlanden wird der Ruf nach einer harten Haltung gegenüber dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan quer durch die Parteien lauter.

 Türken protestieren am Sonntag vor der niederländischen Botschaft in Istanbul.

Türken protestieren am Sonntag vor der niederländischen Botschaft in Istanbul.

Foto: ap, BO

So forderte der CSU-Politiker Florian Hahn einen Abzug der Bundeswehr vom türkischen Stützpunkt Incirlik. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht verlangte zudem, Waffenlieferungen zu stoppen. Die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck kündigte an, einen von Erdogan verliehenen Preis zurückzugeben. Grünen-Parteichef Cem Özdemir fordert ein koordiniertes europäisches Vorgehen, "damit uns der Diktator aus Ankara nicht gegeneinander ausspielen kann". Dem "Handelsblatt" sagt er: "Ankara ist gegenwärtig unter Erdogan und der AKP dabei, den letzten Rest an Ansehen und Respekt in Europa gründlich zu verspielen." Eine sofortige Konsequenz müsse der Rückzug der Bundeswehr-Soldaten aus der Türkei sein.

In der derzeitigen "aufgeheizten Atmosphäre" scheine es zunehmend unsicher, ob die türkische Regierung den Schutz der deutschen Soldaten in Incirlik "umfassend gewähren kann und will", sagte Hahn der "Bild am Sonntag". Die Bundesregierung solle deshalb alle Investitionen in die Infrastruktur des Luftwaffenstützpunkts stoppen und die Verlegung der dort stationierten Tornados einleiten.

Wagenknecht unterstützte die Forderung. "Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Türkei ist es überfällig, die Tornados und die Bundeswehrsoldaten von Incirlik abzuziehen und Waffenlieferungen an die Türkei sofort zu stoppen", sagte Wagenknecht der Nachrichtenagentur AFP.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich bei aller Kritik am Verhalten der türkischen Regierung für eine Beruhigung der Lage im Verhältnis beider Länder ausgesprochen. "Die Türkei ist mindestens so sehr wie Europa und wir auf Zusammenarbeit angewiesen. Aber wenn sie nicht wollen, geht diese Zusammenarbeit nicht", sagte Schäuble am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt".

Die türkische Führung hatte auf die verhinderten Auftritte mehrerer ihrer Minister in westlichen Ländern mit scharfer Kritik an die Adresse der EU-Staaten reagiert. "Wir können uns das nicht gefallen lassen", betonte Schäuble. "Aber wir möchten nicht eskalieren. Da sind wir uns alle in der Bundesregierung einig. Wir möchten nur, dass die Türkei zur Vernunft zurückkehrt."

Die von der Türkei gewünschten engeren Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland seien auch angesichts der Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel derzeit undenkbar. "Wir wollen nicht in die Justizverfahren eingreifen. Aber es ist völlig klar: In der jetzigen Situation zerstört die Türkei oder die Verantwortlichen in der Türkei die Grundlagen für weitere Fortschritte in der Zusammenarbeit", sagte Schäuble

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wies hingegen darauf hin, dass die Bundeswehrsoldaten zum "Schutz von Nato-Interessen - also auch unseren Interessen" in der Türkei seien. Deswegen rate er von einem Abzug ab, sagte er am Sonntag im ARD-"Bericht aus Berlin". Allerdings lehnt er türkische Wahlkampfauftritte in Deutschland ab: "Ob man jetzt Einreiseverbote verhängt, das muss man klug abwägen." Es gebe aber Grenzen, sagt er. Von Drohungen sollte sich Deutschland nicht beeindrucken lassen.

CDU-Vizechefin Julia Klöckner erklärte in der "Welt": "Grundsätzlich gilt, dass wir Erdogan nicht den Gefallen tun sollten, unsere eigenen Freiheitsrechte seinetwegen einzuschränken. Er kann also kommen, ist aber nicht willkommen, wenn er hier Wahlkampf in eigener Sache betreibt und unser Gastrecht missbraucht. Überhaupt nicht tolerierbar ist es, wenn er uns auf deutschem Boden als Nazis und Faschisten beschimpft und für die Todesstrafe wirbt."

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte der "Welt": Selbstverständlich sind türkische Politiker in Deutschland willkommen, wenn sie als Staatsgäste und nicht als Wahlkämpfer zu uns kommen. Erdogan setzt gerade ganz bewusst auf Provokation. Er will damit von innenpolitischen Problemen und einem drohenden Scheitern seines Verfassungsreferendums ablenken. Dieses altbekannte Spielchen sollten wir nicht mitmachen. Jede weitere Eskalation spielt nur den radikalen Kräften in der Türkei in die Hände. Wir müssen alles daran setzen, dass sich diese bedrohliche Situation nicht weiter verschärft."

Beck gibt türkischen Preis zurück

In den vergangenen Tagen hatten mehrere deutsche Kommunen Wahlkampfauftritte von türkischen Ministern im Vorfeld des Verfassungsreferendums über die Einführung eines Präsidialsystems abgesagt. In Ankara löste dies große Verärgerung aus, der türkische Präsident warf Deutschland "Nazi-Methoden" vor. Dies stieß in Berlin auf scharfen Protest.

Aus Protest gegen die Nazi-Vergleiche kündigte die Grünen-Politikerin Beck an, einen Freundschaftspreis zurückzugeben, den sie 2005 von Erdogan verliehen bekommen hatte. Die von ihm erhobenen Vorwürfe seien "unpassend und geschichtsklitternd", kritisierte Beck in einem AFP vorliegenden Brief an den türkischen Staatschef.

"Die deutsche Gesellschaft hat sich intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt", hob Beck hervor. Auch wenn sie den Preis nun zurückgebe, versichere sie den Menschen in der Türkei, "dass ich mich auch weiterhin für die Freundschaft zwischen den Menschen in unseren Ländern einsetzen werde".

Die Beauftragte der Bundesregierung für Integration, Aydan Özoguz (SPD), warnte, den Konflikt mit Erdogan eskalieren zu lassen. "Ich bin im höchsten Maße beunruhigt", sagte Özoguz der "Welt". "Es ist gefährlich, wenn wir uns von Erdogan in diese Eskalationsspirale hineinziehen lassen", fügte die türkischstämmige SPD-Politikerin auch im Hinblick auf am Wochenende eskalierte Spannungen zwischen der Türkei und den Niederlanden hinzu. "Auch wenn es angesichts der Töne aus Ankara schwerfällt: Wir müssen kühlen Kopf bewahren, eine Zuspitzung nutzt nur den Hardlinern."

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Sonntag noch einmal Öl ins diplomatische Feuer gegossen und Sanktionen internationaler Organisationen gegen die Niederlande gefordert. Er wirft dem Land zudem vor, sich wie eine Bananenrepublik zu verhalten. Die Niederlande hatten am Samstag dem türkischen Außenminister die Einreise verweigert und die auf dem Landweg eingereiste Familienministerin zurück zur deutschen Grenze eskortiert. Sie wollten dort ebenfalls für die umstrittenen Pläne Erdogans zur Errichtung eines auf ihn zugeschnittenen Präsidialsystems werben.

(felt/AFP/dpa/REU)
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