Buchvorstellung „ReadMe.txt“ Die komplexe Geschichte der Chelsea Manning

Berlin · Chelsea Manning wurde bekannt als Whistleblowerin, die geheime Dokumente und Videos der US-Armee über den Irak-Krieg veröffentlichte. Bei der Vorstellung ihres Buches „ReadMe.txt“ in Berlin zeigt sich jedoch: Als Person ist Manning viel komplexer.

“I like video-games, I like pizza“, so beschreibt sich die 35-Jährige Whistleblowerin Chelsea Manning.

“I like video-games, I like pizza“, so beschreibt sich die 35-Jährige Whistleblowerin Chelsea Manning.

Foto: dpa/Jonas Walzberg

„Who are you Chelsea Manning?“, fragt Moderatorin Ruth Fuentes. Und ohne zu zögern antwortet Manning: „So I like video-games, I like pizza.“ Lächeln zeichnet sich auf den Gesichtern im Publikum ab, dann gespannte Stille, bis Manning erklärt, dass sie versucht, sich nicht über ein paar Wochen, die sich vor zwölf Jahren ereigneten, zu definieren. „I was a much more complex figure before that, and I’m a much more complex figure now“, sagt Manning. („Ich war eine komplexere Persönlichkeit davor und bin es jetzt auch immer noch.“)

Bekannt ist die 35 Jahre alte Chelsea Manning vor allem als Whistleblowerin und ehemalige US-Geheimdienstanalystin, die Kriegsverbrechen der USA im Irak aufdeckte. Diese Geschichte und das Leben der viel komplexeren Manning hat sie in ihrem Buch „ReadMe.txt“ niedergeschrieben, dass am 22. November veröffentlicht wurde. Nun ist sie auf Lesereise in Europa unterwegs. Ein Stopp ist Berlin, genauer die Kantine der Tageszeitung „taz“. „Dieses Buch ist kein gewöhnliches Buch und Chelsea Manning ist keine gewöhnliche Autorin“, sagt Deniz Yücel, Journalist und CO-Sprecher der Schriftstellervereinigung Pen Berlin, zu Beginn der Veranstaltung. Yücel, der selbst als politischer Häftling in der Türkei im Gefängnis saß, sagt über Mannings Werk: „Ihr Buch zeigt, dass nicht nur Diktaturen und autoritäre Regime die Kontrolle einer demokratischen Öffentlichkeit brauchen, sondern auch Länder, die demokratisch verfasst sind.“

Als Chelsea Manning dann unter lautem Applaus mit einem Satz in ihren schwarz-weißen Turnschuhen auf die Bühne hüpft, in dem grünen Sessel zwischen Moderator Aron Broks und Moderatorin Ruth Fuentes Platz nimmt und sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht streift, wirkt sie nicht wie eine Frau, die in der US-Armee gedient hat, die als Geheimdienstanalystin im Irak-Krieg war, die die Kriegsverbrechen der USA aufdeckte, sieben Jahre inhaftiert war und die im Gefängnis zu sich und ihrer Identität fand. Chelsea Manning spricht mit einer Leichtigkeit und Humor, als ginge es um die Vorstellung eines Kochbuches. Der erste Eindruck täuscht jedoch. Nach den anfänglichen Scherzen wird die Stimmung ernster.

Die erste Passage, die Schauspielerin Marie Tragousti aus Mannings Buch liest, spielt sich am 8. Februar 2010 in einer Buchhandlung in Maryland ab. Sie handelt von dem Moment, als Manning ihre Dateien, Videos, Protokolle, Koordinaten und Kriegsdarstellungen hoch lädt. Es ist ihre letzte Chance. In zwölf Stunden muss sie zurück in den Irak fliegen, die „New York Times“ reagierte nicht auf ihre Kontaktanfrage, die „Washington Post“ war sich der Brisanz der Daten nicht bewusst. Manning entschied, ihre Dateien an die Enthüllungsplattform „Wikileaks“ zu geben. Sie trinkt einen dreifachen Espresso, hört elektronische Musik und wartet auf den erfolgreichen Upload über ein verschlüsseltes Netz. Sie sorgte sich, dass sie das Upload nicht rechtzeitig vor Ladenschluss beenden kann. „Falls nicht, dachte ich, dann eben nicht. Dann wäre es vorbei, dann hätte es nicht sein sollen. Ich würde die Speicherkarte in die Mülltonne werfen und es kein zweites Mal versuchen“, liest Tragousti aus Mannings Buch vor.

Doch der Upload glückt. Streng geheime Dokumente über den Krieg im Irak gelangen an „Wikileaks“. Manning geht zurück in den Irak, wo sie am 26. Mai 2010 verhaftet wird. Sie erlebte harte Haftbedingungen und Isolationshaft, schließlich wird sie am 21. August 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Am 17. Januar 2017 begnadigt US-Präsident Barack Obama Manning. Vier Monate später wird Manning entlassen. In ihrem Buch geht es jedoch nicht nur um ihre Enthüllungen. Manning gibt auch intime Einblicke in ihre Gefühlswelt als queere Person und Transfrau. Sie beschreibt, wie sie weinend unter der Dusche sitzt, als sie am 4. November 2008 erfährt, dass die Mehrheit der Wähler in Kalifornien für das Referendum „Proposition 8“ stimmen und damit gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Und sie beschreibt, wie sie als erste Militärstrafgefangene eine Hormontherapie beginnen darf.

Mannings Geschichte wendet sich zum Positiven, doch dafür zahlte sie einen hohen Preis. Warum sie rund 400.000 geheime Dokumente aus dem Irak schmuggelte und veröffentlichte? Manning glaubte an das öffentliche Interesse an dem, was im Irak vorging und wollte Transparenz schaffen. Und sie ist Optimistin. Die Welt stehe beispielsweise mit Blick auf die Klimakrise vor großen Herausforderungen, aber die Menschheit könne diese überwinden, davon ist Manning überzeugt. “I do believe, that the human condition is one of wanting to survive.“ („Ich glaube fest, dass die menschliche Natur davon geprägt ist, überleben zu wollen“)

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