15.000 bei „Querdenker“-Demo Stuttgarts OB will Corona-Verstöße mit Bußgeldern ahnden

Stuttgarts OB Frank Nopper will künftige Veranstaltungen derselben Anmelder von Demos gegen die Corona-Politik wie der am Samstag verbieten. Die Stadt will zudem das rechtswidrige Verhalten vieler Teilnehmer der Demo vom Samstag mit Bußgeldern ahnden.

Stuttgart: 10.000 Teilnehmer bei „Querdenker“-Demo meist ohne Maske und Abstand
7 Bilder

10.000 Teilnehmer bei „Querdenker“-Demo in Stuttgart

7 Bilder
Foto: dpa/Christoph Schmidt

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) hat das Auftreten der sogenannten Querdenker auf ihrer Demonstration am Samstag "auf Schärfste" verurteilt. "Die Stadt beabsichtigt, das rechtswidrige Verhalten mit Bußgeldern zu ahnden und zukünftige Veranstaltungen derselben Anmelder aufgrund der gestrigen Auflagenverstöße zu verbieten", erklärte Nopper am Sonntag. Er kritisierte besonders die Angriffe auf Pressevertreter sowie die Missachtung von Corona-Schutzmaßnahmen und weiteren Auflagen.

Uwe Lahl vom baden-württembergischen Gesundheitsministerium sagte: „Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat.“ Sowohl schriftlich als auch in einem persönlichen Telefonat habe er dem Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier die Möglichkeiten aufgezeigt, die die Corona-Verordnung des Landes auch für ein Verbot von Großdemonstrationen hergebe, sagte der Ministerialdirektor am Samstag.

Die Stadt habe sich dann gegen ein Verbot entschieden. „Das war aus infektiologischer Sicht in dieser Phase der Pandemie falsch“, sagte Lahl. Wie solle man der Bevölkerung erklären, dass sich an den Osterfeiertagen nur fünf Menschen aus zwei Haushalten treffen dürften, während Tausende Demonstranten ohne Maske und ohne Mindestabstand durch die Stadt zögen. „Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber in einer Pandemie gibt es auch dafür Grenzen“, sagte Lahl.

„Glaube, wir haben das Beste daraus gemacht“

Trotz dieser heftigen Kritik verteidigt die Stadt Stuttgart ihre Strategie. „Ich glaube, wir haben das Beste daraus gemacht“, sagte Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Bei den Demonstrationszügen, die sich zur zentralen Kundgebung der „Querdenken“-Bewegung auf den Cannstatter Wasen aufgemacht hätten, seien am Schluss 15.000 Teilnehmer gezählt worden.

„Wenn die Polizei die Versammlung auf Geheiß der Versammlungsbehörde aufgelöst hätte, hätte sie versuchen müssen, 15.000 Menschen nach Hause zu schicken.“ Diese wären aber nicht freiwillig gegangen. Die Polizei hätte massiv Gewalt einsetzen müssen. All das sei durchgespielt worden in Gesprächen mit der Polizei. „Wir können die Stadt nicht abriegeln.“

Nach wie vor sei er der Ansicht, dass die Corona-Verordnung ein Verbot solcher Massenversammlungen nicht hergebe. Das sieht Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) jedoch ganz anders.

Die Frage, die sich die Politiker vielmehr stellen müssten, sei, warum Menschen keine Masken tragen wollten, sagte Maier. „Warum erreicht die Politik Teile der Gesellschaft nicht? Das ist das eigentliche Problem“, betonte der Ordnungsbürgermeister.

Scharfe Kritik an Angriffen gegen Pressevertreter

Alle hätten das Recht zu demonstrieren, schrieb der Außenminister Heiko Maas am Samstagabend auf Twitter. Wenn aber Tausende ohne Maske und Abstand unterwegs seien, „verstößt das gegen jede Regel und erst Recht gegen jede Vernunft“. Weiter rügte er: „Wer dabei mitmacht, gefährdet nicht nur seine eigene Gesundheit, sondern auch die von anderen.“

Hunderte Beamte waren in der Stadt im Einsatz, schritten wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln aber kaum ein. Das rief viel Kritik hervor – ebenso wie Angriffe auf Journalisten.

Dazu schrieb Maas, Beleidigungen und Übergriffe auf Journalisten und Journalistinnen hätten mit Demonstrationsfreiheit rein gar nichts zu tun. „Das sind Angriffe auf Pressefreiheit. Sie müssen verfolgt und geahndet werden.“

Die Angriffe haben auch scharfe Kritik bei den Kollegen der Betroffenen ausgelöst. SWR-Intendant Kai Gniffke verurteilte die Ereignisse am Sonntag in einer Mitteilung. „Die SWR-Mitarbeitenden sind bei ihrer Arbeit auf Konfrontationen vorbereitet, agieren besonnen und vermeiden die Eskalation. Sie sind auch nicht empfindlich. Aber es gibt Grenzen. Wir müssen uns nicht alles bieten lassen“, so Gniffke. Egal wie eklig und ungehörig sich Menschen gegenüber SWR-Journalisten verhielten, es werde sie in der Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit nicht beeinträchtigen.

Marcus Bornheim, erster Chefredakteur ARD-aktuell, nannte es „ein Armutszeugnis“, wenn solche Veranstaltungen genützt würden, um die Pressefreiheit zu attackieren. „Wir verlangen von der Polizei Aufklärung zu diesen Vorfällen“, hieß es in einer Stellungnahme Bornheims, die im Twitter-Kanal der Tagesschau veröffentlicht wurde.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) verurteilte die Übergriffe auf Medienvertreter. „Wieder einmal kennen die selbsternannten Querdenker keine Hemmungen, Berichterstatter als Ziel ihrer Wut anzugreifen“, sagte der DJV- Bundesvorsitzende Frank Überall am Samtagabend. Er kritisierte zudem „die offensichtliche Untätigkeit der Polizeibeamten, die nichts für den Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen unternehmen“.

Von den für den Polizeieinsatz Verantwortlichen erwarte der DJV klare Antworten, warum die Journalisten nicht ausreichend geschützt würden, sagte der Verbandsvorsitzende: „Was muss eigentlich noch passieren, bis die Sicherheitskräfte erkennen, dass Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nicht mehr frei berichten können?“

Laut DJV gab es bei der Demonstration in Stuttgart körperliche Attacken gegen Journalisten sowie Steinwürfe. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben einen 37-Jährigen vorläufig fest, der offenbar einen 26-jährigen Journalisten geschlagen hatte. Ein Fernsehteam des Südwestrundfunks musste eine Live-Schalte mit „tagesschau 24“ abbrechen.

Die Polizei überprüfte die Personalien von 266 Blockierern und erteilte mehrere Platzverweise. Drei Polizeibeamte erlitten den Angaben zufolge bei einem Gerangel mit einem Demonstranten Verletzungen, der versucht hatte, zu mutmaßlichen Gegendemonstranten zu gelangen. Derzeit würden 254 Corona-Verstöße wie etwa die Teilnahme an Kundgebungen ohne Maske geahndet, hieß es am Abend von der Polizei.

Sie teilte zudem mit, dass sie einen 37-Jährigen ermittelt und vorläufig festgenommen habe, der offenbar einen 26-Jährigen Journalisten geschlagen habe. Außerdem werde ein Video geprüft, in dem während einer Live-Berichterstattung ein Reporter berichtete, er müsse ein Interview wegen Steinwürfen abbrechen. Die Ermittlungen hierzu dauerten an, hieß es.

„Friedlich und ohne Waffen heißt in Pandemiezeiten mit Abstand und mit Maske“

Die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisierte die Stadt Stuttgart scharf. „Das versteht keiner – auch wir nicht. Während in anderen Teilen des Landes die Versammlungsbehörden und die Polizei hart und konsequent reagiert und agiert, scheint es so, dass in Stuttgart alles möglich ist“, sagte Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft am Sonntag. Wenn sich durch die Ereignisse die Infektionszahlen erhöhten, schade das der gesamten Bevölkerung.

Solche Demonstrationen könnten verboten werden, sagte Kusterer. „Friedlich und ohne Waffen heißt in Pandemiezeiten mit Abstand und mit Maske. Wer sich daran nicht hält, verhält sich asozial und macht sich strafbar“. Die Zuständigkeit für ein Verbot liege bei der Stadt, die Polizei werde aber kritisiert, weil sie nicht eingeschritten sei. „Offensichtlich scheint es ein Missverständnis zu geben, wenn die Stuttgarter Stadtverwaltung und damit die Versammlungsbehörde sich um klare Entscheidungen drückt und der Polizei dann den Mist vor die Füße kippt.“

Die Polizei muss laut Kusterer in die Lage versetzt werden, konsequent einschreiten zu können, wenn die Versammlungsbehörde wie in Stuttgart patze. „Hier erwarte ich Vorarbeiten und Vorgaben des Innenministeriums, klare gesetzliche Regelungen der Landesregierung und den klaren politischen Rückhalt. Dabei darf es auch keine Rolle spielen, ob es sich um Querdenker, Recht, Linke, Umweltschützer oder den Deutschen Gewerkschaftsbund handelt.“ Wer in solchen Zeiten das Recht auf Meinungsfreiheit einfordere und die Versammlungsfreiheit in Anspruch nehme, habe nicht das Recht die Gesundheit und das Leben anderer zu gefährden.

Insgesamt waren am Samstag mehr als 1000 Polizisten im Einsatz. Zwei Wasserwerfer standen laut Maier bereit. Die baden-württembergischen Beamten wurden unterstützt von der Bundespolizei sowie von Polizisten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet die „Querdenken“-Bewegung. Die Behörde ordnet mehrere Akteure dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu, die unter anderem demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Die „Querdenken“-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.

Im vergangenen Sommer hatten auf dem Wasen bis zu 10.000 Menschen demonstriert. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration in Kassel mit mehr als 20.000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6000. Es kam zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen.

(felt/hebu/dpa/epd/AFP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort