Pressestimmen "Der rechte Mob lebt"
Die Ausschreitungen rund um ein Flüchtlingsheim in der Stadt Heidenau in Sachsen am 21. und 22. August 2015 haben viele deutsche Zeitungen kommentiert. Ein Blick in die Presse.
Westfälische Nachrichten (Münster): "Das Gebot der Stunde: null Toleranz. Das Gewaltmonopol des Staates muss den aggressiven Fremdenhass mit aller Härte treffen; die Straftäter gehören verfolgt und verurteilt. Ein Wanken oder gar Weichen wie in Rostock 1992 darf es nie wieder geben."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Es ist beschämend, was sich im Osten Deutschlands an Fremdenfeindlichkeit und Rassismus immer wieder aus der Deckung wagt, um gegen Flüchtlinge und Notquartiere zu agitieren und zu agieren. Der angetrunkene rechtsextreme Mob - mit Bierflaschen, Feuerwerkskörpern und Steinen bewaffnet - will die Flüchtlinge, aber auch die große Zahl der hilfsbereiten und mitfühlenden Deutschen einschüchtern. Dass die Polizei in Heidenau bei Dresden Dutzende Verletzte zu beklagen hat, macht die jüngste Eskalation deutlich. Zu den Initiatoren des Aufmarschs der angeblich 'besorgten Bürger' - Hunderte trabten wohl begeistert mit oder nur hinterher - gehört die NPD, die im 25. Jahr der Einheit dafür sorgt, dass sich Deutschlands Bild in der Welt verdunkelt."
Rheinische Post: "Dass die Polizei in diesem Land eine Bannmeile um ein Flüchtlingsheim ziehen muss, um die Bewohner zu schützen, macht fassungslos und wütend. (...) Die Bilder sind ein Warnsignal an all jene, die von der historischen Schuld nichts mehr hören wollen, die den 'Schlussstrich' fordern und den Kampf gegen den Rechtsextremismus für überflüssig halten. Der rechte Mob lebt."
Die Welt: "Dass Sachsen ein Hotspot auf der deutschen Rechtsextremismus-Landkarte ist, weiß man seit Jahrzehnten. Die Linie des Rechtsextremismus in Sachsen muss man wohl eine historische nennen. Das weiß auch Sachsens derzeit amtierender Innenminister Markus Ulbig (CDU). Es ist deshalb völlig unverständlich, wie unter seiner Verantwortung zwei Nächte in Folge Polizeieinheiten offensichtlich völlig unvorbereitet in eine regelrechte Schlacht mit organisiert herbeigeführten rechten Krawallmachern geraten konnten. Statt auf den vorhandenen Ressourcen der Extremismus-Bekämpfung aufzubauen, hat Ulbig wie ein blutiger Anfänger die Beamten buchstäblich ins Feuer geschickt, die Asylbewerber bedrohlichen Situationen ausgesetzt und dem Ansehen Deutschlands in der Welt schweren Schaden zugefügt. Er sollte gehen."
Leipziger Volkszeitung: "Heidenau ist kein Einzelfall. Es steht in einer Reihe mit unrühmlichen Ereignissen in Freital, Meißen und Dresden. Dass sich in Sachsen Hochburgen der Rechtsextremen befinden, ist seit Langem bekannt. (...) Heidenau muss ein Weckruf sein."
Tagesspiegel: "Deutschland ist auch im Osten eine gefestigte Demokratie, das Land ist wohlhabend, und seit ausreichend langer Zeit ist klar, dass wir dauerhaft sehr viele Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das kann nur gelingen, wenn die Mehrheitsgesellschaft dahintersteht. Dafür aber müssen der Staat und seine Institutionen funktionieren und die Menschen - Einheimische und Hinzukommende - darauf vertrauen können. Wem aber soll man vertrauen, wenn die Polizei nicht einmal in der Lage ist, Asylbewerber und Helfer vor Gewalt wirksam zu schützen? Wie funktionstüchtig ist dieser Staat dann, wo wird er noch versagen?"
Saarbrücker Zeitung: "Innenminister de Maizière will die 'gesamte Härte des Rechtsstaats' gegen solche Umtriebe walten lassen. Recht hat er. Genauso wichtig ist aber, dass die Bundesregierung die Flüchtlingsfrage nicht nur als technisches Problem behandelt, sondern als ethisch-moralisches. Sie muss endlich klar sagen, in welchem Umfang Deutschland helfen kann und wo es überfordert ist. Damit könnten auch dumpfe Vorurteile abgebaut werden. Übrigens: Angela Merkel hat noch nie ein Flüchtlingsheim besucht. Warum eigentlich nicht?"
Neue Osnabrücker Zeitung: "Die Schande von Heidenau wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Warum ist die Polizei nicht konsequenter gewesen? Weshalb hat sie die Unterkunft nicht schon nach der ersten Nacht der Gewalt zu einer Sicherheitszone erklärt? Und haben die Behörden womöglich wichtige Hinweise übersehen? Schließlich machen Rechtsradikale schon seit Wochen und Monaten gegen Flüchtlinge mobil, auch und gerade in Sachsen. Hilflos heißt es jetzt, die Täter würden mit aller Härte des Gesetzes verfolgt, was schlicht selbstverständlich ist. Darüber hinaus muss die Politik endlich ein Gesamtkonzept vorlegen, wie Deutschland die Herausforderungen der neuen Völkerwanderung meistern will. Bleibt sie dieses Konzept schuldig, spielt sie Extremisten in die Hände."
Schwäbische Zeitung: "Heute ist vieles anders als damals in Rostock-Lichtenhagen: Minister und Ministerpräsidenten empören sich über die Vorgänge am Praktiker-Markt von Heidenau. Polizisten verteidigen Flüchtlinge, anstatt mit Rechtsradikalen zu fraternisieren. Die Frage, wie wir mit Flüchtlingen umgehen, welche kommen können und wie wir sie integrieren, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Alle scheinen darüber zu diskutieren und überlassen das Thema nicht den Rechtsextremisten in Heidenau und anderswo. Dass das so ist, ist weniger das Verdienst der Politik als das einer Zivilgesellschaft, die es vor einem Vierteljahrhundert so nicht gab. Den vielen Freiwilligen, die Sprachkurse geben, Stellen vermitteln und Wohnungen streichen wäre schon viel geholfen, wenn es in Berlin endlich eine Debatte geben würde: Darüber, wie wir in Zukunft mit den Flüchtlingen leben wollen und können."
Heilbronner Stimme: "Zwar ist es richtig, dass sich Fremdenfeindlichkeit und die Probleme mit der Aufnahme von Flüchtlingen bundesweit niederschlagen. Der Hass von Heidenau belegt aber einmal mehr, dass der Osten, und hier speziell Sachsen, ein Sonderproblem hat. Man könnte auch sagen: Die Saat der Pegida - auch die ja eine sächsische Spezialität - geht auf. 'So etwas wie Heidenau haben wir nicht gewollt', ahnt man förmlich die Reaktion der 'bürgerlichen Mitte' dieser Bewegung. Nein, gewollt nicht, aber gefördert, bewusst oder unbewusst, eben doch."