Pressestimmen zum SPD-Votum für Groko-Gespräche "Schulz wirkte wie ein Marktschreier"
Der SPD-Parteitag hat sich am Sonntag (21. Januar 2018) denkbar knapp für Koalitionsverhandlungen mit der Union ausgesprochen. Was bedeutet das für Martin Schulz? Wie geht es mit der SPD weiter? Das sagen die Kommentatoren in den Tageszeitungen im In- und Ausland dazu.
Rheinische Post: "Es gehört aber zur Ehrlichkeit dazu, dass die SPD ihre Schwäche mit diesem Votum nicht überwunden hat. So fair und vorbildlich die Debatte geführt wurde - mit dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühner als neuem politischen Talent -, so wenig zugkräftig sind sowohl das Programm wie auch das Personalangebot der Sozialdemokraten. SPD-Chef Martin Schulz hat gekämpft, das war zu spüren. Aber an Gewicht gewonnen hat er nicht." Mehr dazu lesen Sie hier.
Süddeutsche Zeitung: "Wenn es am Ende doch noch schiefginge, wäre Schulz an jener Stimmung gescheitert, die er selbst heraufbeschworen hat. Er ist als Kanzlerkandidat angetreten, der mit der großen Koalition nichts gemein haben wollte. Er hat so getan, als könnte man sich an einer Regierung mit der Union und an Angela Merkel kontaminieren wie an Atommüll. Wenn die SPD sich am Ende gegen eine große Koalition entscheidet, ist Martin Schulz daran gescheitert, dass er Martin Schulz nicht vergessen machen konnte."
Die Welt: "Die SPD wird also weiter mit den Unionsparteien sprechen - mal defensiv verzagt gegenüber sich selbst, mal aggressiv gegenüber dem möglichen künftigen Koalitionspartner, und hat sich immer weiter in Richtung einer rein sozialpolitisch orientierten Klientelpartei verengt. Von einer Partei, die mit dem Anspruch diskutiert, eines Tages das Kanzleramt zu führen, verlangt man mehr."
Kölner Stadt-Anzeiger: "Die SPD muss endlich plausible Antworten auf die grundsätzlichen Fragen finden, altmodische Begriffe wie Daseinsvorsorge und Gemeinwohl mit neuen Inhalten füllen. Wir dürfen das nicht wieder verschlafen, hat der Parteichef den Delegierten zugerufen. Die Partei müsse Ideen- und Taktgeber für die Regierung sein. Dazu muss sie aber erst einmal eine Idee haben."
Freie Presse: "Die SPD sollte die Chance ergreifen zu regieren und dabei aus alten Fehlern lernen. Wer etwa ständig über die eigenen Defizite spricht und darüber, was alles nicht erreicht wurde, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Erfolge der Union zugerechnet werden."
Mitteldeutsche Zeitung: "Die SPD geht damit zwar als zerrissene Partei in die Koalitionsverhandlungen, aber auch mit einem taktischen Vorteil: Die Union hat kein Interesse an einer Neuwahl (von einzelnen Glücksrittern mal abgesehen). Sie muss die SPD also nun mit Vorsicht behandeln, wenn es funktionieren soll."
Neues Westfälische: "Martin Schulz steht weiter in der Gefahr, zur tragischen Figur in der deutschen Politik zu werden. Wo Gerhard Schröder als Parteivorsitzender in den eigenen Reihen sehr SPD-fremde Politik mit emotionalen Reden durchgesetzt und gemacht hat, bekommt Schulz nur mit Mühe, intensiver Unterstützung anderer Partei- und Gewerkschaftsprominenten und geschickter Parteitagsregie originäre SPD-Politik durch. Er kann jetzt seine Position stärken, indem er CDU und CSU in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen alles abverlangt."
Tages-Anzeiger (Schweiz): "Am Ende setzte sich zwar die pragmatische Vernunft gegen die ewige Sehnsucht der Partei nach Opposition durch. Trotzdem muss die Partei die Warnungen der vielen Neinsager nun bitterernst nehmen: Wenn sich die SPD in den nächsten Jahren nicht personell und programmatisch erheblich erneuert, ist ihre Existenz als Volkspartei der linken Mitte tatsächlich in Gefahr. Immerhin belegt die Geschichte, dass dies aus der Regierung heraus mindestens so gut gelingen kann wie aus der Opposition."
Basler Zeitung (Schweiz): "Schulz gab sich unendlich Mühe, leidenschaftlich zu sein, aber er wirkte phasenweise wie ein Marktschreier, dessen Worte den Wert seiner Ware überstiegen. (...) Das Resultat lässt eine SPD zurück, die zwar jetzt einen Weg eingeschlagen hat, aber einen, den fast die Hälfte für ein No-Go hält. Die Partei bleibt ein Patient, der nicht weiß, wie er gesund werden soll."
Nesawissimaja Gaseta (Russland): "Es war zu erwarten: Der Sonderparteitag der SPD konnte den schwelenden Brand der Krise nicht zum Erlöschen bringen. Er zeigte nämlich die außergewöhnlich scharfe, widersprüchliche und politisch unverständliche Situation, in der die Hauptakteure alles dorthin lenken, wohin sie wollen. In erster Linie betrifft das die CDU/CSU, die SPD und ihre Anführer, Kanzlerin Angela Merkel und Martin Schulz. Sie haben den Vorsatz gefasst, die große Koalition gegen das Urteil der Wähler wieder neu zu schaffen."
NRC Handelsblad (Niederlande): "Mit dem Abstimmungsergebnis des Parteitages ist auch deutlich geworden, dass die SPD unter einem geschwächten Martin Schulz eine gespaltene Partei ist. Das ist nicht gerade eine gute Nachricht, wenn es um eine stabile Mehrheitsregierung geht. Dennoch passt das positive Ergebnis des SPD-Parteitages zur allgemeinen Stimmung - auch außerhalb Deutschlands -, wonach es langsam Zeit wird, dass in Berlin wieder jemand regiert. Immer wieder eine Neuwahl zu organisieren, bis einem das Resultat gefällt, ist nun einmal keine Option."
Guardian (Großbritannien): "Als (SPD-Chef Martin) Schulz sagte, er habe am Samstag einen Anruf des französischen Präsidenten Emmanuel Macron erhalten, ging ein sarkastisches Seufzen durch einige Ecken des Saales. Viele SPD-Mitglieder hätten es gern, dass ihre Partei eine offen links-orientierte Politik wie jene des britischen Labourführers Jeremy Corbyn verfolgt, statt dem Beispiel des zentristischen Präsidenten Frankreichs zu folgen. (...)
Der Standard (Österreich): "Da sage noch mal einer, Politik sei eine langweilige, weil ohnehin abgekartete, Sache. Mitnichten. Der SPD-Parteitag hat den Beweis geliefert. (...) Doch diese Lehrstunde in Sachen innerparteilicher Demokratie hat ihren Preis, und der war Parteichef Martin Schulz und seiner engsten Mitstreiterin, Fraktionschefin Andrea Nahles, trotz des Aufatmens anzusehen. Es war schon eine sehr große und wichtige Hürde, die sie am Sonntag in Bonn genommen hatten. Aber jeder weiß: Es ist nicht die letzte. Und das bedeutet: Die Schwierigkeiten gehen munter weiter."
La Repubblica (Italien): "Nach einem schwierigen Tag (...) ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die 600 Delegierten für die Zukunft Europas gestimmt haben."