Benzin-Gipfel steht zum Biosprit E10 Plötzlich sind sich alle einig
Berlin (RPO). Die Erwartungen an den Benzin-Gipfel am Dienstag in Berlin waren groß. Im Vorfeld hatten sich Politik und Wirtschaft gegenseitig Vorwürfe an den Kopf geworfen. Nach dem Treffen herrschte überraschend große Harmonie. Es bleibt bei der Einführung von E10, die Verbraucher sollen nun umfassend mit Informationen versorgt werden. Offensichtlich stand für alle im Vordergrund, das Gesicht zu wahren.
"Der Brüderle ist ein Filou", entfuhr es Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Dienstag vor dem Benzin-Gipfel im Wirtschaftsministerium. Obwohl bei Röttgens Amt die Federführung in Sachen Einführung des ungeliebten E10-Benzins liegt, hatte Kabinettskollege Rainer Brüderle (FDP) zum Treffen in sein Ministerium geladen. Es sei eine "Idee gewesen, die beide hatten. Der Wahlkämpfer hat zuerst zugegriffen", räumte Röttgen ein.
Immerhin ist er beim Gipfel nicht eingeknickt. Noch vor einigen Tagen hatte es so ausgesehen, als komme Streit zwischen den beiden Ministerien auf: Während Röttgen auf der Einführung des E10-Benzins beharrte, ließ sich Brüderle bis zum Dienstagmorgen nicht festlegen. Nach dem Treffen, zu dem ein Wirtschaftsvertreter im laut Liste E10-tauglichen Jaguar-Coupé anreiste, waren Brüderle und Röttgen nach außen vollständig auf einer Linie: Gemeinsam soll weiter informiert werden, die Mineralölindustrie solle umgehend in jeder Tankstelle eine Liste der E10-tauglichen Autos auslegen, und die Autoindustrie sicherte die Rechtsverbindlichkeit dieser Liste zu.
Es hängt vom Verbraucher ab
Alle wahrten ihr Gesicht. Röttgen verzichtete im Anschluss an den Gipfel auf Wiederholung seiner Vorwürfe an die Mineralölwirtschaft. Ob nun die Versuche aufhören, die E10-Einführung zu bremsen, muss offen bleiben. Es hängt vom Verbraucher ab. Aufmerksamkeit genug hatte der Gipfel am Dienstagnachmittag jedenfalls. Röttgen bemühte sich mehrfach darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eine "Revolution" handele, sondern um einen Teil einer umweltgerechten Strategie weg von fossilen Kraftstoffen.
Am Abend wies Röttgen laut vorab verbreitetem Text am Dienstagabend im "heute journal" des ZDF die Schuld für das Chaos an den Tankstellen erneut der Mineralölwirtschaft zu. Er selbst habe sich im Umweltministerium gemeinsam mit dem ADAC "seit Monaten vorbereitet", sagte er im "heute journal". Es gebe millionenfach Broschüren, Plakate und Informationsmaterial und die Automobilindustrie habe Listen über die Verträglichkeit von E10 erstellt. "Aber die Mineralölwirtschaft hat das nicht an die Tankstelle gebracht", sagte Röttgen. Nun aber bestehe Einigkeit hinsichtlich der Befürwortung des neuen Kraftstoffs und "in der Einsicht, besser aufzuklären".
Die Ursachen bleiben unklar
Röttgen warnte in dem Zusammenhang vor einer zunehmenden Konkurrenz zwischen dem Bedarf an Lebensmitteln und der Nachfrage nach Energie. "Wir haben eine dramatisch wachsende Weltbevölkerung. In 40 Jahren werden wir nicht mehr 6,8, sondern über neun Milliarden Menschen sein", sagte Röttgen. Es werde daher eine Konkurrenz von Lebensmittel- und Energieproduktion geben und "sie muss ausgeschlossen sein", fügte er hinzu. Das Problembewusstsein in dieser Hinsicht sei "hoch und berechtigt".
Warum der Zirkus überhaupt entstanden war, ist nach wie vor nicht ganz klar. Das Umweltministerium machte zwar im Vorfeld die Mineralölindustrie dafür verantwortlich, unterstellte ihr aber eher Dilettantismus als Strategie. Tatsächlich wäre es unwahrscheinlich, dass fünf weltweit operierende Konzerne unprofessionelle Öffentlichkeitsarbeit machen.
Mehr Bio = weniger Gewinne
Die Biosprithersteller dagegen machten die Gleichung auf: Mehr Bio im Tank = weniger fossile Brennstoffe = weniger Gewinne für die Mineralölindustrie. Zugleich produzierten die Raffinerien aus chemisch-technischen Gründen mehr oder weniger festgelegte Quoten von Diesel und Benzin; aber es entspreche nicht den Proportionen, die der Markt verlangt. Pro Jahr werden in Deutschland in etwa 32 Millionen Tonnen Diesel und 18 Millionen Tonnen Benzin verbraucht. Gemessen an den Kapazitäten, ist das jedoch zu wenig Diesel; der nötige Rest wird vornehmlich aus Russland importiert. Und es ist zu viel Benzin, seit der Anteil der Diesel-Pkw kontinuierlich steigt. Der Überschuss wird in die USA oder nach Asien exportiert, in beiden Fällen können keine hohen Gewinnmargen erzielt werden. Daher sei die Mineralölindustrie nicht an weiterer Verdünnung des Benzins mit Biokraftstoffen interessiert.
Die Politik stellte vor allem auf den Vorteil des Biosprits ab, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und dabei auch gleich noch die Treibhausgas-Emissionen des Verkehrs zu verringern. Ein Ziel, das Röttgen am Dienstag mit den Worten: "E10 braucht den Vergleich mit Gaddafis Öl nicht zu scheuen" beschrieb.
Demonstration gegen Tank statt Teller
Die "Tank-Teller-Diskussion" - also die Frage, ob man beim Tanken von Biosprit die Nahrungsproduktion für die Hungernden verteuere - war bei der Einführung zunächst sekundär. Deshalb wurde auch am Dienstag vor dem Wirtschaftsministerium dagegen demonstriert. Die Brisanz dieser Frage dürfte aber sinken, sobald die Produktion von "Biosprit 2.0" marktreif ist, also die Gewinnung von Treibstoff aus den Resten der Nahrungsmittelproduktion, zum Beispiel Stroh.
Bleibt der Vorwurf der indirekten Landnutzung durch die Biomasseproduktion. Das bedeutet, es wird zwar wegen der internationalen Vorschriften nicht direkt Regenwald gerodet oder anderer schützenswerter Lebensraum durch den Anbau von Bioenergieträgern vernichtet, aber es hätte auf der Biomasse-Fläche Lebensmittel angebaut werden können. Diese werden jetzt anderswo angebaut, und dafür wird dann eben der Regenwald gerodet. Zwar ist der Vorwurf wissenschaftlich nicht eindeutig belegbar, die Gegenposition, dass das garantiert nicht passiert, aber auch nicht. Zumindest zunächst werden 90 Prozent allen Ethanols, das im E10-Biosprit ist, aus zertifizierter europäischer Produktion geliefert. Das soll heißen: keine Verdrängungsproduktion und 35 Prozent bessere Treibhausgasbilanz als der "Referenzwert fossile Brennstoffe".