Philipp Theisohn Plagiatsforscher stützt Annette Schavan

In der Plagiatsaffäre um Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) trifft die Universität Düsseldorf am Dienstag eine wichtige Vorentscheidung. Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät berät ab dem Nachmittag darüber, ob ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels eröffnet wird. Ein Experte aus Zürich sieht bei der Doktorarbeit der Bundesbildungsministerin keine Täuschungsabsicht.

Das ist Annette Schavan
8 Bilder

Das ist Annette Schavan

8 Bilder

Ende April 2013 waren die Plagiatsvorwürfe gegen die Bildungsministerin anonym auf einer Internetplattform erhoben worden. Am Dienstag berät der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf erstmals über die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung von Annette Schavans Doktortitel. Bundesbildungsministerin Schavan hatte 1980 — als 25-jährige Studentin — ihre Dissertation zum Thema "Person und Gewissen" eingereicht. Ihr werden der mangelhafte Ausweis von Quellen und das Vernachlässigen wissenschaftlicher Standards zur Last gelegt. Die Vorwürfe waren anonym im April 2012 im Internet aufgetaucht.

Der Schweizer Forscher Philipp Theisohn sieht aber keinen Grund, die Doktorwürde zu entziehen. Er hat mehrere Bücher über Plagiate in der Wissenschaft und den Umgang mit geistiger Arbeit im digitalen Zeitalter geschrieben.

Herr Theisohn, welche Leistung soll mit einem Doktortitel gewürdigt werden?

Theisohn: Die Fähigkeit des Doktoranden eigenständig zu forschen und eigene Thesen zu entwickeln.

Wird Frau Schavan mit ihrer Dissertation diesem Anspruch gerecht?

Theisohn: Sagen wir: In Ansätzen. Das Grundproblem ist, dass ihre Arbeit sich über weite Strecken extrem ihren Quellen unterordnet und vor allem referiert. Eine eigene Position ist oft nur rudimentär entwickelt.

In seinem Gutachten stellt Stefan Rohrbacher von der Universität Düsseldorf eine "leitende Täuschungsabsicht" fest. Teilen Sie diese Meinung?

Theisohn: Ich kenne das Gutachten nicht, glaube aber nicht an eine leitende Täuschungsabsicht. Das passt überhaupt nicht zum Gestus der Arbeit, die — anders etwa als die von zu Guttenberg — ihre Abhängigkeit von den Vorarbeiten anderer viel zu offen ausstellt, als dass diese Abhängigkeit durch die unausgewiesene Übernahme von Satzteilen an einigen Stellen noch irgendwie verschleiert werden könnte. Über was soll denn da hinweggetäuscht werden? Mir fehlt da das Motiv.

Gibt diese Abhängigkeit von Quellen einen Anlass für die Aberkennung des Doktortitels?

Theisohn: Es steht mir nicht zu, deutschen Universitäten unerbetene Ratschläge zu erteilen. Meiner Meinung nach stehen die dokumentierten "Plagiatsstellen" aber in direktem Zusammenhang mit dem referierenden Grundansatz der Arbeit — was die Verstöße gegen Zitationsregeln zwar nicht rechtfertigt, aber ihnen zumindest einen fachhistorischen Kontext gibt, den man meines Erachtens nicht einfach als "faule Ausrede" abtun kann.

Was meinen Sie mit dem Begriff "fachhistorischer Kontext"?

Theisohn: Es ist ja durchaus denkbar, dass die damalige Doktorandin ihren Umgang mit fremden Texten durch die zeitgenössische Pädagogik, in der dieses Sammeln und Umschreiben von Thesen leider sehr gängig war, gedeckt gesehen hat. Wir mögen aus heutiger Sicht diese Fachkultur für unwissenschaftlich halten: Dass es sie gegeben hat, gibt mir zumindest Anlass zu zweifeln, dass diese Verstöße zwingend im Bewusstsein des Täuschens begangen wurden. Und da allein dieser Aspekt für eine Aberkennung des Titels ausschlaggebend sein kann, würde es mir schwerfallen, trotz meiner Zweifel ein solch gravierendes Urteil zu fällen. Es wird wohl aber so kommen.

In der Wissenschaft galt aber immer die Maxime, dass man fremdes Eigentum nicht als eigenes ausgeben darf.

Theisohn: Das ist richtig. Die eigentliche Frage lautet jedoch: Wo verorten Wissenschaften, die im wesentlichen alte Texte zu neuen Texten verarbeiten, die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden? Diese Grenze verschiebt sich nämlich — von Zeit zu Zeit, von Fach zu Fach, von einem Laien, der vieles für zitierfreie Allgemeinplätze hält, zu einem Experten, der in diesen Allgemeinplätzen zitierpflichtige Interpretationen erkennt.

Hätte die Universität in diesem Fall einen Zweitgutachter bestellen sollen?

Theisohn: Das deutsche Universitätsrecht sieht das wohl nicht zwingend vor. In der Schweiz hätte man das bei einer vergleichbaren Ausgangslage aber sicherlich getan.

DAS INTERVIEW FÜHRTE SEMIHA ÜNLÜ.

(RP/rm)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort