Bildung Pisa-Studie: Sachsen Klassenprimus

Leipzig (RPO). Sachsen gehört beim jüngsten Pisa-Test offenbar wieder einmal zu den Klassenbesten. Bei den Naturwissenschaften, Schwerpunkt der aktuellen Studie, heimst der Freistaat ersten Informationen zufolge neben Thüringen mit die besten Noten ein. Bei der vorigen Studie lag Bayern vorn.

 Bildungsexperten sprechen von einem "dramatischen Pädagogenmangel."

Bildungsexperten sprechen von einem "dramatischen Pädagogenmangel."

Foto: AP, AP

Die Kultusministerkonferenz präsentiert erst am Dienstagvormittag in Berlin die mit Spannung erwartete jüngste Pisa-Studie. Erste Ergebnisse sind aber bereits durchgesickert.

Die Forscher um den Kieler Professor Manfred Prenzel haben rund 57.000 Schüler im Alter von 15 Jahren aus etwa 1.500 Schulen getestet. Dabei untersuchten sie auch der Zusammenhang von sozialer Herkunft und schulischer Leistung - mit dem Ergebnis, dass die Abhängigkeit nicht größer geworden ist. Gut schneiden hier den Angaben zufolge die Länder Bayern, Brandenburg, Sachsen sowie Thüringen ab. Was aber macht das sächsische Schulsystem so erfolgreich?

Experten sehen einen ganzen Mix von Ursachen. So gilt das zweigliedrige Schulsystem aus Gymnasium und Mittelschule als beispielhaft. Sachsens Schüler profitieren darüber hinaus von vergleichsweise kleinen Klassen. Nicht zuletzt der große Stellenwert der Naturwissenschaften im Unterricht wirkt sich auf den Leistungsdurchschnitt aus.

Die Ergebnisse der internationalen Pisa-Studie (Programme for International Student Assessment), in der 2006 vor allem das naturwissenschaftliche Wissen 15-Jähriger getestet wurde, hatte die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) vor knapp einem Jahr bekanntgegeben. Deutschland verbesserte sich um fünf Plätze auf Rang 13 unter 57 Staaten, Spitze war Finnland. Die Kultusministerkonferenz (KMK) stellt nun die Ergebnisse des Ländervergleichs vor.

Sachsens Vorteile

Die naturwissenschaftlichen Fächer beanspruchen an den sächsischen Mittelschulen, also bei den Schülern von der fünften bis zehnten Klasse, im Schnitt 26 Stunden pro Woche. Im Vergleich dazu lag in Nordrhein-Westfalen laut einer Studie von 2005 die Zahl zwischen 19 und 23 Stunden. "Der Stundenanteil der Naturwissenschaften ist in allen neuen Ländern deutlich höher als im Westen", sagt der Bildungsforscher Klaus Klemm. Auch insgesamt haben die sächsischen Schüler im Zeitraum der ersten bis zur neunten Klasse die meisten Schulstunden im Bundesvergleich.

Auch der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, sieht darin einen wichtigen Grund für den Pisa-Erfolg. Tatsächlich sieht sich Sachsen bei den Naturwissenschaften in einer Art Vorreiterrolle. Nach Angaben von Kultusminister Roland Wöller (CDU) beträgt der Anteil der MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, am Gesamtunterricht in allen Schularten mehr als 30 Prozent. Als einziges Bundesland habe Sachsen zudem seit diesem Schuljahr eine verpflichtende Belegung der Fächer Physik, Chemie und Biologie in der gymnasialen Oberstufe festgeschrieben.

Auch beim Betreuungsverhältnis zwischen Schülern und Lehrern steht Sachsen nicht zuletzt wegen der drastisch gesunkenen Schülerzahlen gut da. Zudem spielt der geringe Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund den Experten zufolge eine Rolle. Lediglich 3,7 Prozent der Schüler an den allgemeinbildenden Schulen in Sachsen kommen aus Familien mit Migrationshintergrund. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen liegt die Quote laut Klemm bei 30 Prozent. Frühere Bildungsstudien hatten wiederholt gezeigt, dass Kinder mit Migrationshintergrund besonders benachteiligt sind.

Doch all dies allein erklärt nicht, warum Sachsen auch in anderen Bildungsstudien auf den vorderen Plätzen landet, noch vor anderen ostdeutschen Ländern. Die guten Noten für Sachsen zeigten, "dass ein gut gemachtes zweigliedriges System möglicherweise auch Lernschwache zu guten Leistungen bringen kann", sagt Klemm. Immerhin loben frühere PISA-Studien die Chancengerechtigkeit des sächsischen Schulsystems. Die soziale Herkunft spiele nur eine geringe Rolle für gute Lernleistungen.

Zweigliedriges Schulsystem

Nach der vierjährigen Grundschule wechseln die sächsischen Schüler entweder auf das Gymnasium oder die Mittelschule. Nach einer zweijährigen Orientierung gliedern sich die Klassen in der Mittelschule ab Stufe sieben in einen Hauptschul- und Realschulbildungsgang. Die Jugendlichen machen einen Hauptschulabschluss oder den mittleren Schulabschluss, mit dem sie dann auf das berufliche Gymnasium wechseln und dort nach drei Jahren Abitur ablegen können.

Der Anteil derer, die die Schule mit Hauptschulabschluss verlassen, liegt in Sachsen bei etwa elf Prozent und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 24 Prozent. Die Zahl der Mittelschüler ohne Schulabschluss konnte in den vergangenen Jahren auf fünf Prozent gesenkt werden. Der Kultusminister will die Quote weiter drücken. So gibt es so genannte Lerncamps, die versetzungsgefährdeten Schülern doch noch zum Sprung in die nächste Klassenstufe verhelfen wollen.

Bayern als Titelverteidiger

Vor drei Jahren führte im Ranking Bayern vor Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen. Im Mittelfeld hatten sich Sachsen-Anhalt, das Saarland, Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern platziert. Im unteren Teil der Tabelle standen Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Schlusslicht blieb wie beim ersten Mal, als der Schwerpunkt Lesen war, Bremen.

Positiv war, dass im Vergleich zur ersten Pisa-Studie 2001 kein Land schlechter abschnitt. Allerdings gab es einige Wermutstropfen: Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg blieb in Deutschland so groß wie in keinem vergleichbaren Industrieland. Darüber hinaus sei die Zahl der 15-Jährigen, die nur sehr schlecht lesen und rechnen könnten, im internationalen Vergleich sehr hoch.

Heftige Reaktionen vorprogrammiert

Die Experten mahnen, wichtig für den Erfolg des Bildungswesens sei die Unterstützung schwächerer Schüler, vor allem die gezielte frühkindliche Bildung sei Schlüssel für bessere Lernergebnisse. Wie in der Vergangenheit, so sind auch dieses Mal nach Veröffentlichung der Ergebnisse heftige Reaktionen zu erwarten. Die Landesfürsten sehen in den Ranglisten die Bestätigung ihrer Bildungspolitik - und schwärmen unabhängig vom Abschneiden. Verlierer gibt es eigentlich nie, denn diejenigen, die am Ende stehen, weisen mit schöner Regelmäßigkeit darauf hin, die Ergebnisse seien wegen der unterschiedlichen Situationen vor Ort nicht miteinander zu vergleichen.

Lehrer, Schüler und Eltern fordern konkrete Verbesserungen im Bildungssystem. Die Ungerechtigkeit in der Bildung in Deutschland lasse sich nicht einfach "wegmessen", sagte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Ludwig Eckinger, am Montag. Die Länder müssten endlich in die Pflicht genommen werden, um gegen die Missstände in den Schulen vorzugehen. Eckinger rügte, Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten seien zu "Placebos" degradiert. Tatsächlich sei der Schulalltag geprägt von "Unterrichtsausfall, Lehrermangel, zu großen Klassen und zu wenigen Fördermöglichkeiten".

Auch Ulrich Thöne, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, klagt, das Bildungssystem sei "in allen Bereichen unterfinanziert". Er fordert mehr Geld für neue Pädagogen und den Ausbau der Ganztagsschulen "in einem integrativen Schulsystem". Eine Schule für alle Kinder sei der richtige Weg.

Der Vorsitzende des Landesschülerausschusses Berlin, Max Wolter, mahnt, Deutschland brauche eine "durchgehend verbesserte Bildungspolitik - unabhängig von den Pisa-Ergebnissen". Anstatt sich konsequent für Verbesserungen einzusetzen, werde die Politik immer nur hektisch, wenn es neue Ergebnisse des Bildungsvergleichs gebe. "Wir wissen selbst, woran das Bildungssystem krankt", sagte Wolter. Probleme seien unter anderem übergroße Klassen, zu wenig Geld und eine mangelnde Lehrerausbildung.

Kultusministerin: "Schulpolitik wird nicht verändert"

Niedersachsens Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) hat angekündigt, ihren schulpolitischen Kurs angesichts neuer Pisa-Ergebnisse nicht zu verändern. Niedersachsen liegt den Vorabberichten zufolge im Mittelfeld des Länder-Rankings, aber weit hinter Bayern und Baden-Württemberg. Heister-Neumann sagte, die in den Schulen bereits umgesetzten Reformen bräuchten Zeit, bis wie wirkten. "Im Übrigen ist Schule mehr als Pisa", betonte sie.

(afp)
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