Forderung nach Pflegeplatz für alle „Statt mit Gesetzen Pflege zu verhindern, brauchen wir ein Gesetz, das Pflege sichert“
Exklusiv | Berlin · Die Lage in der Altenpflege ist zum Teil dramatisch. Jetzt preschen die Arbeitgeber vor, um den Druck auf die Politik zu erhöhen: Ein Rechtsanspruch für alle auf einen Pflegeplatz soll die Situation in den Heimen verbessern.
Kinder ab einem Jahr haben Anspruch auf einen Kitaplatz. Bei erfolgloser Suche können Eltern ihn sogar gerichtlich einfordern oder Kostenerstattung für alternative Betreuungsmodelle fordern. Warum nicht auch ein solches Modell in der Pflege einführen? Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) macht sich dafür jetzt stark. Begründung: Dann könnten sich die politisch Verantwortlichen nicht länger wegducken.
„Die Lage in der Altenpflege ist ernst“, so AGVP-Präsident Thomas Greiner zu unserer Redaktion. Die Kosten explodierten, die Personallage sei angespannt „und zahlreiche Pflegeheime stehen vor der Insolvenz“. Darüber hinaus blieben Betten leer, „weil sie wegen des Personalmangels bei gleichzeitig rigiden Personalvorgaben nicht belegt werden dürfen. Leidtragende sind Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, die verzweifelt einen Heimplatz suchen“, erklärte Greiner. „Statt mit Gesetzen Pflege zu verhindern, brauchen wir ein Gesetz, das Pflege sichert. Deshalb fordern wir einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf einen Pflegeheimplatz.“
Derzeit gibt es in Deutschland laut Statistik rund fünf Millionen Pflegebedürftige. Kürzlich prognostizierte die Barmer in ihrem Pflegereport einen Anstieg bis 2030 auf sechs Millionen. Hierzulande gibt es rund 16.000 Heime, die 793.000 Menschen versorgen. Bis 2030 fehlen demnach schätzungsweise 293.000 stationäre Plätze. Laut einer Studie des Spitzenverbandes Zentraler Immobilienausschuss (ZIA) sei jedes Jahr der Bau von 210 bis 390 Heimen erforderlich, um den Bedarf zu decken. Die wirtschaftliche Lage deutscher Pflegeheime hat sich zudem seit dem Jahr 2016 stetig verschlechtert, so der Arbeitgeberverband.
Daher jetzt der Vorstoß. Als Vorbild für den Rechtsaspruch auf einen Pflegeplatz nannte Greiner das Recht auf einen Kitaplatz. Er soll garantieren, dass Kommunen trotz Fachkräftemangels die flächendeckende Versorgung mit Kitaplätzen sicherstellen. Und er zwinge die Politik, tätig zu werden, wenn eine Krise der Versorgung drohe, so der Präsident. Genau das sei auch für die Altenpflege notwendig: „Wer Schutz und Hilfe benötigt, bekommt sie – das sollte ungeachtet des Alters gelten. Ein Rechtsanspruch auf einen Pflegeheimplatz würde den politischen Druck erhöhen, die enormen Herausforderungen in der Altenpflege beherzt anzupacken, statt sie zu ignorieren und abzumoderieren, wie dies im Moment geschieht.“
Die Ampel-Koalition will jetzt zumindest mehr Pflegekräfte aus Ländern mit großem Arbeitskräftepotenzial wie etwa Brasilien anwerben. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will demnach im Juni gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien reisen, denn dort gebe es sehr viel Personal. Der Bundestag wird sich darüber hinaus in dieser Woche erneut mit der Pflegereform der Ampel beschäftigen. Sie sieht vor, Pflegebedürftige zu entlasten und die Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung zu stabilisieren.
Zum 1. Juli 2023 soll der Pflegebeitrag um 0,35 Punkte auf 3,4 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens angehoben werden, was Mehreinnahmen von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bringen soll. Der Arbeitgeberanteil liegt bei 1,7 Prozent. Die Bundesregierung soll außerdem dazu ermächtigt werden, den Beitragssatz künftig durch Rechtsverordnung festzusetzen, falls auf einen kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden muss.
Der Pflegebeitragssatz soll ebenfalls zum 1. Juli 2023 nach der Zahl der Kinder weiter ausdifferenziert werden. Schließlich soll die Reform auch zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen. So will die Ampel in der stationären Pflege die Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens durch die Vorgabe weiterer Ausbaustufen beschleunigen. Vorgesehen ist ferner ein Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege. Das Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen im Volumen von rund 300 Millionen Euro soll überdies ausgeweitet und bis Ende des Jahrzehnts verlängert werden.