Ex-CDU-Generalsekretär So sprang Peter Tauber dem Tod von der Schippe - jetzt läuft er wieder Marathon

Berlin · Peter Tauber wäre während der Regierungsbildung fast gestorben. Sein Schutzpanzer bröckelte. Heute ist der Marathonläufer Staatssekretär und lässt sich nicht mehr hetzen.

 Peter Tauber

Peter Tauber

Foto: dpa/dpa, gam kde htf

Es gibt Wegmarken im Leben, die immer im Kopf bleiben. Und manche auch im Herzen. Sie stehen für eine Phase, eine Stimmung, eine ganz besondere Zeit. Man weiß genau, was man vorher und nachher gemacht hat. Im Leben von Peter Tauber sind das Marathonläufe. Zwischen den beiden Wettkämpfen in Frankfurt 2017 und 2018 liegt für den CDU-Politiker noch ein ganz anderes Rennen: Eines zwischen Leben und Tod.

Im Wahljahr 2017 hatte der damalige CDU-Generalsekretär privat auf so ziemlich alles verzichtet, was in einem normalen Leben zum Alltag so dazu gehört. Regelmäßige Mahlzeiten, am Wochenende ausschlafen, Treffen mit Freunden, lesen. „Ich vergesse mich für dieses Jahr“, hatte Tauber beschlossen und sich vollends in den Dienst der CDU und ihrer damaligen Vorsitzenden, Kanzlerin Angela Merkel, gestellt. Er wollte unbedingt seinen Beitrag leisten, dass die CDU die drei Landtagswahlen und die Bundestagswahl gewinnt.

42 Jahre war er damals alt, er spürte schon den zunehmend rauen Wind in der Partei, die mit ihm fremdelte und ihn intern für unkommunikativ hielt. Ausgerechnet ihn, den Mann der sozialen Netzwerke, der von Digitalisierung mehr verstand als viele andere.  Und gleich zu Beginn seiner Amtszeit Anfang 2014 hatten sich manche in der Parteispitze über seinen Vorschlag zu einem Einwanderungsgesetz echauffiert. Späte Genugtuung: Am 19. Dezember 2018 wurde ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen.

Aber bereits vor der Bundestagswahl hatte er beschlossen: Danach ist Schluss als Generalsekretär. „Ich wusste, dass ich nach diesen aufreibenden vier Jahren am Ende meiner Kräfte war, dass ich mir immer viel zugemutet hatte. Viele Mitglieder wollten mir auch nicht mehr zuhören. Ich war in dem Amt ein Stück weit verbraucht, auch weil ich immer treu an der Seite der Kanzlerin stand. Und dann muss man

diesen Platz frei machen.“

Tauber sitzt jetzt in seinem Büro im Verteidigungsministerium. Der Historiker mit Doktortitel der Philosophie, seit fast zehn Jahren Mitglied des Bundestags, ist inzwischen Parlamentarischer Staatssekretär bei Ministerin Ursula von der Leyen (CDU). Er ist schmal geworden, acht, neun Kilo hat er verloren. Auch die eine oder andere Illusion von Politik. Aber das ist leicht zu verschmerzen. Denn gewonnen hat er in diesem Jahr sein Leben.

Das Einzige, das er 2017 für sich ganz persönlich reserviert hatte, war der Marathon in Frankfurt am 29. Oktober. Den würde er laufen, ob mit oder ohne Training. „Ich brauchte für dieses harte Wahljahr dringend etwas, worauf ich mich freuen konnte.“ Seine Bestzeit liegt knapp unter vier Stunden, aber daran ist nur zu denken, wenn  alles stimmt. 2016 in Berlin hatte er sich das vorgenommen. Aber kurz vor dem Start rief Merkel an und wollte etwas mit ihm klären. Bei Kilometer Zwei telefonierte er deswegen mit seinem Sprecher Jochen Blind und bei Kilometer Sieben schickte er der Kanzlerin eine SMS. Ins Ziel kam er nach vier Stunden und sieben Minuten.

Peter Tauber erzählt jetzt seine Geschichte, als würde er alles noch einmal durchlaufen. 4:29:15 braucht er nach dem harten Bundestagswahlkampf für den Lauf in Frankfurt. Er ist zufrieden. Direkt danach bereitet er sich auf die Jamaika-Sondierungen vor, ein Auftritt im ARD-Morgenmagazin ist geplant, doch am Vorabend bekommt er Bauchschmerzen, dann Schüttelfrost, schließlich hohes Fieber. Tauber lebt allein, er selbst mag keinen Notarzt rufen. Das hat er noch nie gemacht. Schließlich ist er Marathonläufer, jung und stark. „Ich hatte mir einen Schutzpanzer zugelegt, auch um die 80 bis 100 Stunden in der Woche und negative Schlagzeilen aushalten zu können, die natürlich schmerzen.“ Als das Fieberthermometer auf 40,8 Grad steigt, ruft er doch die 112 an. Um 02.30 Uhr fragen ihn die Rettungssanitäter, die den Politiker nicht erkennen, ob er in die Charité oder ins Bundeswehrkrankenhaus will. Er bittet um den kürzesten Weg. So kommt der Reserveoffizier ins Bundeswehrkrankenhaus.

Es wird eine chronische Darmentzündung diagnostiziert, Sigmadivertikulitis. Ihm wird Antibiotika verabreicht, er bleibt sechs Tage auf Station und noch ein paar Tage zu Hause. Am 16. November ist er wieder Teil des Politik-Karussells in diesen nervösen Zeiten, er isst Nüsse, Schokolade, Eis und sondiert bis tief in die Nacht, ob Union, FDP und Grüne eine Koalition eingehen können. Können sie nicht, die FDP lässt das am 19. November platzen.

Zwei Tage später ist der Generalsekretär wegen erneuter Schmerzen wieder im Krankenhaus. In seinem „alten“ Zimmer. Er kann es nicht fassen, aber 30 Zentimeter des Darms müssen entfernt werden, allerdings erst, wenn die Entzündung vollständig zurückgegangen ist, etwa Mitte Januar. Er fragt, was denn nur los sei mit ihm, und sein Arzt fragt ihn, ob er diese Frage ernst meine. Er solle mal auf sein Leben in den vergangenen Jahren schauen. Der Panzer hatte Risse bekommen. Der Stress hatte sich durchgefressen.

Am 12. Januar wird Tauber operiert. Alles verläuft gut. Glaubt er. Irgendwann fangen nur diese Bauchschmerzen wieder an. Die berühmte Nacht, in der man über etwas schläft, damit es danach besser werden möge, erscheint ihm als zu riskant. Er bittet um Hilfe.  Später weiß er, dass er sonst nicht wieder aufgewacht wäre. Die Naht seines Darms war nicht dicht, Er hatte eine Blutvergiftung. Um 22.30 Uhr steht sein Arzt in Straßenkleidung an seinem Bett. Auf dem Weg ins Krankenhaus hat er ein OP-Team zusammengetrommelt. Tauber soll jetzt, mitten in der Nacht, noch einmal seine Mutter anrufen. Er will sie beruhigen. Aber der Anruf, mit Magensonde im Mund, bewirkt natürlich das Gegenteil. Der Arzt entscheidet sich für eine Risiko-Operation, das heißt, das Loch im Darm zunähen, den Darm reinigen und den Bauchraum ausspülen. Die Sicherheits-Operation wäre ein künstlicher Darmausgang gewesen.

Nach längerem Aufenthalt auf der Intensivstation kommt Tauber in die Reha im hessischen Bad Orb. Nicht weit von seinem Heimatort Gelnhausen. Als er sich das erste Mal wieder alleine im Bett aufrichten und mit dem Rollator zum Waschbecken gehen kann, fühlt sich das für ihn nach Olympiade an. Er schwört sich, in seinem Politikerleben künftig auch Erfolge besser anzunehmen und nicht gleich zum nächsten Termin zu hetzen, ohne sich über erreichte Schritte gefreut zu haben. Andererseits kann er „unproduktive Jammerei und Nörgelei“ nicht mehr gut haben.

Während der Reha bekommt er einen Tag Sonderurlaub, damit er in den Sitzungen von CDU-Präsidium und Vorstand in Berlin seinen Rückzug erklären kann. Merkel war seit langem vorbereitet, sie hatte Tauber im Krankenhaus besucht und versucht, Druck von ihm zu nehmen. Sie verhindert Nachfolgediskussionen, solange er so krank ist. Den Parteitag am 19. Februar, als die heutige Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer neue Generalsekretärin wird, verfolgt Tauber im Jogginganzug auf dem Laufband im Reha-Zentrum. Am 15. März wird er Verteidigungsstaatsekretär. Für ihn geht ein Traum in Erfüllung. Nun muss er sich auch nicht mehr um alle Themen gleichzeitig kümmern, am Wochenende kann er lesen, was ihn sonst noch so interessiert. Feuilleton statt Politik. Und jetzt kann er auch wieder trainieren.

Frankfurt, 28. Oktober 2018. Für Tauber schließt sich der Kreis. „Ich brauchte einen Abschluss.“ Mit dem Marathon 2017 hatte eine harte Zeit begonnen, mit dem Marathon 2018 sollte sie enden. Mit neuer Kraft und Gesundheit. Tauber läuft die 42,195 Kilometer in 4:03:56. Nah an seiner Bestzeit.

(kd)
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