Peter Altmaier und die Energiewende Der Herr der Stromnetze

Berlin/Bonn · Der Bundeswirtschaftsminister hat erkannt: Ohne Beschleunigung des viel zu langsamen Stromnetzausbaus wird es nichts mit der Energiewende. Nun will er den Rückstand aufholen - und sich der Sorgen der Bürger mehr annehmen.

 Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Dienstag in Bonn bei der Bundesnetzagentur.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Dienstag in Bonn bei der Bundesnetzagentur.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Peter Altmaier (CDU) weiß, dass seine politische Reputation in dieser Legislaturperiode vor allem vom Weiterkommen bei der Energiewende abhängt. Der Wirtschaftsminister ist in erster Linie Energieminister: Keine Aufgabe in seinem Ressort ist größer und wichtiger als diese. Die Energiewende, für die Deutschland im Ausland bewundert und kritisiert wird, ist in den vergangenen Jahren gefährlich ins Stocken geraten. Der Ausbau der Stromnetze, insbesondere der großen Stromautobahnen von Nord nach Süd, kommt nicht wie geplant voran. Altmaier will sich der Sache nun energischer annehmen. Er hat sie zum Auftakt einer dreitägigen „Netzausbaureise“ am Dienstag durch Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zur „Chefsache“ erklärt. Am 20. September soll ein „Netzgipfel“ mit seinen Ministerkollegen aus den Ländern folgen. Fragen und Antworten dazu:

Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung mit der Energiewende? Im Koalitionsvertrag hat die schwarz-rote Regierung nicht nur bisherige Zielsetzungen der Vorgängerregierungen bestätigt, sondern diese teilweise sogar noch verschärft. So sollen aus Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse bis 2030 nicht mehr nur 50 Prozent, sondern 65 Prozent des Strombedarfs in Deutschland gedeckt werden. Bis 2050 soll dann 80 bis 95 Prozent erreicht werden. Dazu sind weitere enorme Anstrengungen nötig, denn aktuell deckt der Ökostrom erst 36 Prozent des Bedarfs. Die Erneuerbaren sollen schlicht die Lücke ausfüllen, die entsteht, wenn in Deutschland 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht. Zudem besteht weitgehend Konsens darüber, dass Deutschland aus Klimaschutzgründen gleichzeitig auch aus der Kohleverstromung aussteigen muss. Dazu hat die Regierung eine Kommission eingesetzt, die bis Ende des Jahres Vorschläge unterbreiten soll, wie der Kohleausstieg funktionieren kann.

Warum ist der Netzausbau so wichtig? Damit die Energiewende gelingt und der vor allem in Norddeutschland produzierte Windstrom überall in Deutschland ankommt, müssen Tausende Kilometer neue Stromleitungen gebaut werden. Hier gibt es massive Verzögerungen, wie Altmaier und der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, am Dienstag berichteten. Nach aktuellen Zahlen der Netzagentur sind von den erforderlichen 7700 Stromnetz-Kilometern erst 1750 genehmigt und nur 950 Kilometer realisiert worden. „Das ist keine Zahl, mit der man sich sehen lassen kann“, gestand Altmaier ein. Vor allem die drei Nord-Süd-Stromautobahnen Ultranet im Westen, Südlink in der Mitte und Südostlink im Osten hängen zurück. „Der Netzausbau ist das Nadelöhr der Energiewende. Wir müssen den Ausbau des Ökostroms enger an den Netzausbau koppeln“, sagt Manuel Frondel, Energie-Experte am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Es sei „sinnvoll, beim Ausbau der erneuerbaren Energien erst einmal auf die Bremse zu treten, bis der Netzausbau vorangeschritten ist“. Im Koalitionsvertrag habe die Koalition auf Druck der SPD aber genau das Gegenteil vorgesehen: Sie steigerte das Ausbauziel für die Erneuerbaren bis 2030 sogar noch von 50 auf 65 Prozent.

Warum kommt der Netzausbau nicht voran? Überall dort, wo neue Leitungen geplant sind, regt sich der Widerstand der Bevölkerung. Zahlreiche Bürgerinitiativen machen gegen neue Strommasten mobil. Sie protestieren gegen die Leitungen aus gesundheitlichen, ästhetischen, vor allem aber auch aus finanziellen Gründen: Ein Strommast auf dem Grundstück oder in der Nähe mindert den Wert einer Immobilie erheblich. Frondel hält deshalb hohe Entschädigungen für unausweichlich, für die auch die Stromverbraucher aufkommen müssten. „Anwohner und Landwirte müssen erheblich höher entschädigt werden als bislang geplant. Denn der Wert ihrer Grundstücke verringert sich drastisch, wenn ein Strommast in der Nähe steht. Hier geht es nicht um ein paar Hundert Euro pro Jahr, sondern um Tausende. Das wird der Stromverbraucher bezahlen müssen“, sagt Frondel. Oft solidarisieren sich die Landesregierungen mit den Bürgerprotesten – und verzögern Baugenehmigungen. Der frühere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte zudem die Erdverkabelung von Teilen der Stromautobahnen von Nord nach Süd durchgesetzt, auch das führte zu massiven Verzögerungen. Damit konnte Seehofer die Proteste vorübergehend befrieden, doch jetzt formiert sich wachsende Widerstand auch gegen die Erdkabel.

Welche Kosten entstehen durch den verzögerten Netzausbau? Die Kosten des schleppenden Netzausbaus für die Stromverbraucher sind schon heute immens: Sie betrugen 2017 bereits 1,4 Milliarden Euro und könnten in den 2020-er Jahren auf vier Milliarden Euro jährlich steigen, warnte Netzagentur-Chef Homann. Der Grund: Die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber wie 50Hertz oder Tennet müssen in das zu schwache Netz sehr häufig eingreifen, um es zu stabilisieren. Im Norden müssen oft mehrmals am Tag Windparks abgeschaltet oder auch Gaskraftwerke heruntergefahren werden, weil sonst mehr Strom produziert würde, als die Netze aufnehmen können. Damit der Süden dann noch genügend Strom hat, müssen dort Reservekraftwerke hochgefahren werden. Diese so genannten „Redispatch“-Kosten sind vor allem der Union ein Dorn im Auge, weshalb sie beim Ökostrom-Ausbau gerade mächtig auf die Bremse tritt.

Wie will Energieminister Altmaier den Netzausbau beschleunigen? Der Minister stellte am Dienstag einen „Aktionsplan“ vor. Kernpunkt: Im Herbst will er ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz vorlegen, das sich auf bereits bestehende Stromtrassen konzentriert. Die Trassen sollen technisch verstärkt oder eine zweite daneben gelegt werden. Die Planungsverfahren für solche Parallel-Leitungen will Altmaier verkürzen. „Es hat ein Umdenken stattgefunden: Statt viele neue Netzkilometer bauen zu wollen, will man jetzt vor allem bestehende Trassen optimieren. Das ist ein richtiger Ansatz“, lobt RWI-Experte Frondel.

Welche Rolle spielt der so genannte Konverter bei Düsseldorf? Am südlichen Rand des Meerbuscher Stadtteils Osterath in Nordrhein-Westfalen soll auf dem Gelände des dortigen Umspannwerks ein riesiger Strom-Knotenpunkt - Stichwort „Konverter“ - entstehen, der aus dem vom Norden kommenden Gleichstrom Wechselstrom machen soll. Das ist notwendig, weil vom Endverbraucher nur Wechselstrom genutzt werden kann. Gleichstrom lässt sich aber effektiver und einfacher in großen Mengen transportieren. „Der Konverter wird irgendwo stehen müssen. Wenn wir alle nach dem Motto handeln: Ja zur Energiewende, aber nicht in meiner Umgebung, wird es nie etwas werden“, sagt Frondel.

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