Kampf gegen Personalnotstand So buhlt die Regierung um Pflegekräfte

Berlin · Gleich drei Minister haben sich den Kampf gegen den Personalnotstand in der Pflegebranche auf die Fahnen geschrieben. In kleinen Schritten geht es voran, während die Zahl der Pflegebedürftigen rasch wächst.

 Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) werben um mehr Pflegekräfte (v.l.)

Arbeitsminister Hubertus Heil, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) werben um mehr Pflegekräfte (v.l.)

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Einer der Lieblingssprüche von Politikern ist der, wonach Prognosen schwierig seien, da sie die Zukunft betreffen. Meistens wird der Hinweis genutzt, um langfristige Verantwortung von sich fern zu halten. Beim Thema Pflege allerdings lassen sich recht gut Prognosen treffen. Heute leben in Deutschland rund 3,4 Millionen Pflegebedürftige. Im Jahr 2050 werden es voraussichtlich 5,3 Millionen Menschen sein, die Pflegepersonal benötigen - allein in der Altenpflege. Zudem werden auch die Kliniken aufrüsten müssen, da eine wachsende Zahl an hochbetagten Menschen auch mehr Krankenhausaufenthalte verursachen.

Schon heute fehlt das Personal für Alten- und Krankenpflege allerorten. Offene Stellen bleiben monatelang unbesetzt. In manchen Städten schnappen sich die Kliniken das Pflegepersonal schon gegenseitig mit Prämienzahlungen weg.

Der Befund ist also einfach: Das Problem des Personalmangels in der Pflege ist heute schon enorm und wird sich in Zukunft dramatisieren, wenn es Bund, Ländern und der Branche selbst nicht gelingt, Kliniken, Pflegeheime und insbesondere auch mobile Pflegedienste mit Fachpersonal und mit Hilfskräften auszustatten. Mit der „konzertierten Aktion Pflege“, die am Montag erste Ergebnisse vorlegte, will die Bundesregierung gegen den in vielen Einrichtungen bereits herrschenden Pflegenotstand angehen.

Wenn von Fachkräftemangel in der Pflege die Rede ist, geht es häufig um Heime und Kliniken. Oft fällt unter den Tisch, dass insbesondere bei mobilen Pflegediensten die Personaldecke  gefährlich dünn ist. Wenn beispielsweise eine Pflegekraft erkrankt, kann es passieren, dass eine alte Dame morgens vergeblich auf die Hilfe beim Anlegen der Stützstrümpfe wartet und bei ihrem betagten Nachbarn niemand zum Waschen, Kämmen und Rasieren vorbeischaut. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen erleben es auch vielfach, dass die ihnen zustehenden Leistungen nicht erbracht werden können, insbesondere wenn es um einfache Hilfen wie beispielsweise im Haushalt geht.

Seit dem Wahlkampf 2017, in dem das Thema Pflegenotstand zahlreiche TV- und Debatten-Formate dominierte, steht das Thema Pflege stärker als zuvor im öffentlichen Fokus. Damals hatte die Regierung insbesondere für Leistungsverbesserungen und mehr Ansprüche der Pflegebedürftigen gesorgt. Umso mehr fiel anschließend auf, dass es nicht ausreichend Personal gibt, das die neuen Ansprüche  auch erfüllen kann.

Schon damals war die Reform der Ausbildung für Pflegekräfte auf dem Weg. Das Ziel: Die drei Pflegeberufe für Alte, Kranke und Kinder sollten in einem Ausbildungsgang zusammengefasst werden. Wegen des Widerstands der Pflegeheimbetreiber ist das nur in Teilen gelungen. Bei einer gleichen Ausbildung fürchteten die Arbeitgeber, dass sie in der Altenpflege künftig die gleichen Löhne wie in der Krankenpflege zahlen müssen, da ihnen sonst die Fachkräfte in die Kliniken abwandern könnten.

Die neue Ausbildung soll nun 2020 starten, wie Familienministerin Franziska Giffey (SPD)  am Montag bekräftigte. „Niemand wird in Deutschland mehr Schulgeld bezahlen müssen. Alle Auszubildenden bekommen eine angemessene Ausbildungsvergütung“, sagte Giffey.

Die neue Ausbildung soll Teil einer Ausbildungsoffensive der „konzertierten Aktion Pflege“ sein, die Giffey gemeinsam mit ihren Kabinettskollegen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)  in Angriff genommen hat. Das  Ziel der drei Minister ist es, die Zahl der Azubis in der Pflege bis 2023 um zehn Prozent zu steigern. Begleitet werden soll die Offensive von einer Werbekampagne des Familienministeriums für den Pflegeberuf. Geplant ist auch, Pflegekräfte mehr Angebote zur Gesundheitsförderung und zur digitalen Weiterbildung zu machen. Weiterhin sollen über die Pflegeeinrichtungen  5000 Plätze zur Weiterbildung von Pflegehelfern zu Fachkräften zur Verfügung gestellt werden.

Während in den vergangenen Jahren die Zahl der offenen Stellen in der Altenpflege kontinuierlich gewachsen war, verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit 2018 erstmals einen Rückgang von 24.279 im Jahr 2017 auf 22.950 im vergangenen Jahr.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft zieht eine erste vorsichtig positive Bilanz:  „Wir haben seit Jahren einen Anstieg an Beschäftigten, Auszubildenden und auch Ausbildungsplätzen im  Pflegebereich.  Was wir jetzt aber feststellen können, ist, dass der Pflegeberuf  insgesamt stärker im  Gespräch ist“, sagte DKG-Präsident Gerald Gaß unserer Redaktion. Die Wertschätzung in der Gesellschaft werde deutlicher und auch öffentlich kundgetan.

Die Regierungen in Bund und Ländern können nicht alles regeln. Die Beschäftigten in der Pflegebranche werden ihr Schicksal auch selbst in die Hand nehmen müssen. Gelegentliche TV-Auftritte einzelner Streiter in Wahlkämpfen oder die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft reichen dafür nicht aus. Die Branche sollte sich nach dem Vorbild der Ärzte in eigenen Kammern organisieren. Auf Landesebene existieren solche Kammern teilweise schon oder werden gerade gegründet.

Die Pflege braucht unbedingt auch eine berufsständische Vertretung auf Bundesebene. Nur dann haben die Pflegekräfte die Chance, ein Stimmrecht im wichtigsten Gremium des Gesundheitswesens zu erhalten, im Gemeinsamen Bundesausschuss. Dort sitzen längst Vertreter der Ärzte, der Kliniken und der Krankenkassen. Sie entscheiden über alle Belange des Gesundheitswesens, die nicht per Gesetz oder per Verordnung geregelt sind. Der Einfluss des Gremiums auf die Arbeit der Beschäftigten im Gesundheitswesen und auf die Versorgung der Patienten ist enorm.

(qua)
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