Parteitag der Grünen Die neue Generation Grün

Leipzig · Auf dem Parteitag der Grünen in Leipzig zeigt sich der Wandel der Partei. Sie erreicht inzwischen die bürgerliche Mitte und strahlt Fröhlichkeit aus.

 Die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Für einen Parteitag ist es eine bemerkenswerte Inszenierung. Der grüne Parteichef Robert Habeck tritt für seine Schlussrede in Leipzig nicht mit ein paar Zetteln ans Pult. Er stellt sich in Cowboystiefeln, Jeans und Hemd vor eine Weltkarte. Während er spricht, die Grünen für ihren Fleiß, ihren Zusammenhalt und „ihren Dienst an der Demokratie“ lobt, läuft er vor den Golfstaaten und Afrika auf und ab.

Der Berufspolitiker und Schriftsteller Robert Habeck versteht es, nicht nur mit Worten umzugehen. Er versteht es auch zu umarmen – seine Parteimitglieder und all jene von links bis weit in die bürgerliche Mitte, die zweifeln, dass die Volksparteien noch die richtigen Rezepte haben. Er spricht viel von Bündnis und Bewegung und sagt: „Wir müssen uns weiterentwickeln, weil sich die Zeiten ändern.“ Ganz unverblümt freut er sich auch darüber, dass die Grünen „zur richtigen Zeit die richtigen Segel gesetzt“ hätten.

Habeck versäumt es auch nicht, noch einmal respektvoll an die Altvorderen zu erinnern, die die Grünen gegründet haben. Doch dann redet er, als wolle er einen Schlussstrich ziehen unter die einst als Ein-Generationen-Partei geschmähten Grünen, deren Saat auf der Ideologie der 68er wuchs. Im Saal sitzen längst deren Kinder und Enkel. Sie wollen auch wie ihre Väter und Mütter die Welt verbessern. Dabei sind sie smart, pragmatisch und verhandlungsbereit.

Der einzige Redner, der noch als 68er durchgeht, ist der frühere Parteichef Reinhard Bütikofer. Wobei er erst 14 Jahre alt war, als Rudi Dutschke 1967 zum Marsch durch die Institutionen aufrief. Sein weiß gewordenes Haupt verneigt Bütikofer demütig vor der Jugend im Saal, als er um einen guten Listenplatz und damit um eine Verlängerung seines Mandats im Europaparlament bittet. „Weltpolitikfähig“ müsse Europa werden, sagt er und bekommt den Listenplatz.

Zu den Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmen die Delegierten Ska Keller und Sven Giegold. Offiziell gehören die beiden zum linken Parteiflügel. Doch der kann angesichts der konsequenten Umarmungsstrategie der Parteiführung kaum noch einen Flügelschlag tun.

Bemerkenswert ist das Wahlergebnis für Sven Giegold. Nach einer inhaltlich kämpferischen Rede stattet ihn die Partei mit 98 Prozent aus. Giegold hatte bei seiner Bewerbungsrede eine Geschichte über die bröckelnden Kreidezähne seines zweijährigen Sohns erzählt. Ursache dafür ist nach seinen Recherchen Bisphenol A, das über Plastikverpackungen und Dosen in die Nahrung gelangen kann. Der 48-Jährige sagt, er sei es seinem Sohn schuldig, sich mit der Chemieindustrie anzulegen. Bei den 850 Delegierten kommt das an.

Ska Keller, die 88 Prozent bekommt, tritt wie die neuen Grünen auf: optimistisch und kämpferisch. Zum Höhenflug ihrer Partei sagt die 36-Jährige: „Es hat etwas damit zu tun, dass wir mit Fröhlichkeit die Welt verbessern.“

Eingetrübt wurde die gute Parteitagsstimmung nur von einem Einwurf des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Er hatte sich in einem Zeitungsinterview dafür ausgesprochen, „junge Männerhorden“ unter den Flüchtlingen aus Sicherheitsgründen von Großstädten fernzuhalten. „Salopp gesagt ist das Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht hat, junge Männerhorden“, sagte Kretschmann. Die Verärgerung der Parteispitze ist groß. Allerdings sehen sich die Grünen bundesweit so stark, dass Kretschmann als einziger grüner Ministerpräsident nicht mehr der entscheidende Machtfaktor in der Partei ist.

(qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort