Gastbeitrag Reißverschluss ist Pflicht
Gastbeitrag Eine Frauenquote für die Bundestagswahl ist überfällig. Bloß: Wie soll sie konkret aussehen? Verschiedene Ideen liegen auf dem Tisch, Brandenburg hat ein Gesetz beschlossen. Die Wahllisten sind der Ansatzpunkt.
Obwohl gleich viele Frauen wie Männer zur Wahl gehen, liegt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag nur bei 31 Prozent. In den Landtagen und Kommunalvertretungen finden sich noch weniger Frauen. Vor diesem Hintergrund wird diskutiert, ob der Gesetzgeber zur Steigerung des Frauenanteils Quoten vorschreiben darf.
Für den Bundestag, dessen Abgeordnete durch Direktwahl von Kandidaten (Erststimme) und Wahl starrer Landeslisten (Zweitstimme) gewählt werden, liegen für die Erststimme zwei Modelle auf dem Tisch. Am weitesten geht der Vorschlag, den Parteien aufzugeben, geschlechtsgemischte Tandems aufzustellen, die nur en bloc zur Wahl stehen. Der Bürger wählt mit seiner Erststimme Mann und Frau aus demselben Tandem oder aus verschiedenen Tandems. Über die Erststimme ziehen dann Frauen und Männer in gleicher Zahl in den Bundestag, was für Ergebnisparität sorgt.
Das Alternativ-Modell der schleswig-holsteinischen Justizministerin Sütterlin-Waack verpflichtet die Parteien ebenfalls zu geschlechtsgemischten Tandems in den Wahlkreisen. Der Bürger wählt aber mit seiner Erststimme Mann oder Frau. Bei diesem Modell gelangen Frauen und Männer nur dann zu gleichen Teilen in den Bundestag, wenn der Bürger sie gleichermaßen wählt. Erreicht wird nicht Ergebnisparität im Parlament, sondern Chancengleichheit bei der Wahl.
Beide Quotenmodelle beschränken die (Chancen‑)Gleichheit der männlichen Bewerber sowie die Autonomie und Chancengleichheit der Parteien. Die Wahl von En-bloc-Tandems greift außerdem in die Wahlfreiheit des Bürgers ein. Kann der Bürger dagegen aus den Tandems Mann oder Frau wählen, bleibt seine Wahlfreiheit unangetastet.
Nun sind zwar Eingriffe in das aktive und passive Wahlrecht der Bürger und die Parteienrechte nicht zwangsläufig unzulässig. Sie bedürfen aber der Rechtfertigung. Ein solcher Rechtfertigungsgrund ist Artikel 3 Grundgesetz, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Dieser Gleichberechtigungsauftrag trägt dem Umstand Rechnung, dass Frauen trotz gleicher Rechte oft faktische Nachteile beim Erreichen beruflicher Positionen haben. Der Staat muss die Nachteile beseitigen, damit Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Lebenswirklichkeit stattfindet. Dabei zielt das Grundgesetz auf Chancengleichheit, nicht auf Ergebnisgleichheit.
Faktische Nachteile für Frauen bestehen beim Zugang zum Bundestag. Sie sind dort unterrepräsentiert, weil die Parteien sie seltener nominieren als Männer oder häufiger auf aussichtslose Plätze setzen. Der Grund sind Männerbündnisse, männlich geprägte Karrieremuster, ungünstige Sitzungsbedingungen sowie Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen in den Parteien. Dass sich in den Parteien weniger Frauen finden als Männer, ist für den Befund ihrer Unterrepräsentation im Bundestag irrelevant. Denn beim Zutritt zum Parlament geht es um ein staatliches Organ, für das die Parteien Kandidaten aus dem gesamten Volk gewinnen können.
Diese Nachteile beseitigt der Gesetzgeber, wenn er die Parteien zur Aufstellung von Bewerber-Tandems verpflichtet und den Bürger mit seiner Erststimme zwischen Mann und Frau wählen lässt. Das Alternativmodell, den Bürger zur Wahl von En-bloc-Tandems zu verpflichten, schießt über das Ziel des Gleichberechtigungsauftrags hinaus. Es schafft nicht nur Chancengleichheit für Frauen, sondern Ergebnisparität im Parlament und ist verfassungswidrig.
Eine Tandem-Wahlpflicht des Bürgers ließe sich nur rechtfertigen, wenn nachweisbar wäre, dass Frauen trotz Bewerber-Tandems schlechtere Chancen bei der Wahl hätten. Etwa, wenn das Wahlvolk aufgrund überholter Rollenbilder Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen hätte; oder wenn die Parteien die Tandems so bestückten, dass sie den männlichen Kandidaten auf dem Silbertablett servierten. Man denke nur an Tandems aus einem erfolgreichen, charismatischen jungen Ministerpräsidenten und einer erfolglosen, blassen, älteren Miederwarenverkäuferin.
Schwieriger liegen die Dinge bei der Zweitstimme. Bei dem geltenden System starrer Wahllisten lässt sich Chancengleichheit nur durch abwechselnde Besetzung der Listenplätze mit Mann und Frau realisieren. Ein solches Reißverschlussverfahren schränkt ebenso wie En-bloc-Tandems die Wahlfreiheit des Bürgers und die (Chancen‑)Gleichheit der männlichen Bewerber ein. Und auch hier wird die Autonomie und Chancengleichheit der Parteien beschränkt. Gleichwohl ist das Reißverschlussverfahren gerechtfertigt durch den Gleichberechtigungsauftrag aus Artikel 3 Grundgesetz.
Zwar schafft es nicht nur Chancengleichheit für Frauen, sondern sorgt durch die Listenwahl auch für eine gleiche Zahl von Männern und Frauen im Bundestag, was über den Gleichberechtigungsauftrag hinausginge. Ein anderes Mittel zur Gewährleistung von Chancengleichheit gibt es aber bei starren Wahllisten nicht. Bei starren Listen ist das Reißverschlussprinzip für die Chancengleichheit notwendig und daher zulässig und geboten. Der Gesetzgeber könnte zwar alternativ offene, je zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzte Wahllisten einführen, aus denen der Bürger Kandidaten wählt. Solche offenen Listen verwirklichten Chancengleichheit bei der Wahl und nicht Ergebnisparität. Der Gesetzgeber darf aber das Wahlsystem frei regeln und muss daher keine offenen Listen einführen. Er darf an starren Listen festhalten, bei denen das Reißverschlussprinzip für Chancengleichheit unerlässlich ist.
Im Ergebnis ist eine Quote für die Wahl zum Bundestag überfällig. Ansonsten bliebe der Gleichberechtigungsauftrag des Grundgesetzes unerfüllt. Solange sich die faktischen Nachteile für Frauen darauf beschränken, nicht gleichberechtigt zur Wahl aufgestellt zu werden, genügen bei der Erststimme Bewerber-Tandems der Parteien, aus denen der Bürger Mann oder Frau wählen kann. Mit der Zweitstimme könnte er weiterhin Listen wählen, die von den Parteien abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden müssten. Parität im Bundestag würde bei der Erststimme nur erreicht, wenn das Volk Frauen und Männer in gleicher Zahl wählt. Wer sich wegen der Unberechenbarkeit des Volkes sorgt, den möge trösten, dass das Grundgesetz es so will: Das letzte Wort hat das Volk.